JALT 2023
[09.06.2023]
Vom 18. bis 20. April 2023 fand die 28. Gesamtbayerische Jugendamtsleitungstagung (JALT) in Würzburg statt. Das Motto lautete: "Kinder- und Jugendhilfe ist endlich! Die Vielfalt der Anforderungen aus Gesellschaft und Politik an ein gestresstes System". Hier geht es zur Zusammenfassung.
28. Gesamtbayerische Jugendamtsleitungstagung 2023 in Würzburg
"Kinder- und Jugendhilfe ist endlich! Die Vielfalt der Anforderungen aus Politik und Gesellschaft an ein gestresstes System"
"Kinder- und Jugendhilfe ist endlich" – dieser Ausruf stand über der diesjährigen gesamtbayerischen Jugendamtsleitertagung und gab viel Raum für Interpretationsmöglichkeiten und Spekulation. Die Tagung konnte erstmals seit 2019 wieder in gewohnter Form stattfinden: Dreitägig in Präsenz und vor allem eine Tagung, an der alle Jugendamtsleitungen gemeinsam und gleichzeitig teilnehmen konnten.

Der Fokus lag auf der "Vielfalt der Anforderungen aus Politik und Gesellschaft an ein gestresstes System". Bereits in der Vorbereitung zeigte sich, wie vielfältig die aktuellen Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe sind. Für die Tagung wurden folgende Themenfelder ausgewählt:
- Sozialräumlich ausgerichtete Jugendhilfeplanung,
- die Zukunft der Arbeit im öffentlichen Dienst,
- Verfahrenslotsen,
- Ombudschaftswesen in Bayern.
Daneben gab es eine Fülle an Informationen aus dem StMAS, dem ZBFS, dem ifb (Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg) und dem Bayerischen Landesjugendamt. Ebenso war ausreichend Zeit für den kollegialen Austausch vorgesehen.
In den verschiedenen thematischen Schwerpunkten wurde deutlich, welche Herausforderungen sich durch die Vielfalt der Anforderungen ergeben. Zugleich zeigte sich, dass die Menge an Herausforderungen und Ansprüchen oft in einem Widerspruch zu vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten steht. Klar ist: Kinder- und Jugendhilfe stirbt nicht, aber sie kann nur endlich reagieren. Die Reaktionsmöglichkeiten sind dabei nicht nur durch die mangelnden Ressourcen eingeschränkt, sondern auch von der Unvorhersehbarkeit der verschiedenen Krisen, welche die Arbeit der letzten Jahre geprägt haben.

Der Grundton der Tagung war, dass Jugendhilfe nicht ausschließlich reagieren, sondern auch agieren will und muss. Hierzu braucht es nicht nur präventive und niedrigschwellige Angebote, sondern auch breit aufgestellte Kooperations- und Vernetzungsstrukturen sowie eine bereichsübergreifende Infrastrukturplanung. Die Zeichen der Zeit müssen früh erkannt werden und dementsprechende Antwortmöglichkeiten entwickelt und umgesetzt werden. Es werden Strukturen benötigt, die es ermöglichen, Arbeitsfelder und Themen proaktiv voranzubringen und neue Lösungsansätze auszuprobieren. Dies erfordert nicht nur unterschiedliche Blickwinkel und multiprofessionelle Zusammenarbeit, sondern auch die Bündelung von Ressourcen. Möglich scheint das nur, wenn es gelingt, trotz aller Krisen zumindest Teile des Amtes aus dem Krisenmodus hinauskommen zu lassen. Denn auch das zeigten die verschiedenen Diskussionen: Die Bewältigung verschiedener Krisen ist nach Einschätzung vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer mittlerweile Teil des Kerngeschäftes, aber "Jugendhilfe kann Krise".

Die Kinder- und Jugendhilfe wurde als ein System beschrieben, das sich von der Jugendwohlfahrt hin zu einem maximal flexiblen System entwickelt hat, welches immer wieder verschiedene Transformationsprozesse durchlaufen hat und sehr wahrscheinlich auch noch durchlaufen wird. Der Fokus hat sich dabei immer mehr verschoben, weg vom ausschließlichen Blick auf Krisenintervention und Begleitung und Hilfe im Einzelfall, hin zu einem Gesamtsystem zur Unterstützung des gelingenden Aufwachsens aller Kinder und Jugendlichen. Die Aufgaben der Jugendhilfe wurden dabei immer wieder ausgeweitet. Dies spiegelt die steigende Anzahl der Ausgaben und Angebote im Bereich der Beratung, Entlastung und Unterstützung, sowie im Ausbau der Kinderbetreuung, Jugendarbeit, Familienbildung, dem erzieherischen Kinder- und Jugendschutz und der Frühen Hilfen wider. Dabei tritt der Anspruch der Partizipation aller Betroffen und das Ziel einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe immer stärker in den Vordergrund. Diese zunehmenden Erwartungen aus Politik, Gesellschaft und angrenzenden Systemen treffen auf ein System, dessen Ressourcen nicht nur durch die beschriebenen steigenden Erwartungen, sondern auch durch eine steigende Komplexität der Fallarbeit und durch die Umsetzung der SGB-VIII-Reform stark gebunden sind. Gleichzeitig ist die Menge der vorhandenen Ressourcen nicht nur durch fehlende finanzielle Mittel und Personalstellen, sondern auch durch fehlende Fachkräfte beschränkt.
Die Erkenntnis, dass das System endlich ist, beinhaltet aber auch das Wissen darüber, dass Kinder- und Jugendhilfe Teil eines größeren Gesamtsystems ist, in dem verschiedene endliche Systeme ineinandergreifen müssen. Die Regelungen des § 81 SGB VIII präzisieren dabei die Notwendigkeit der strukturellen Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen. Gerade der Blick in den Sozialraum zeigt, dass Rahmenbedingungen oft nur gemeinsam mit anderen Akteurinnen und Akteuren und Systemen verbessert werden können. Entscheidend ist hier das Bewusstsein darüber, wo Problemlagen entstehen, wie diesen präventiv begegnet werden kann und wer das Wissen, die Kompetenz, die Ressourcen und den Auftrag hat, auf vorhandene Problemlagen reagieren zu können. Voraussetzung für eine solche systemübergreifende Zusammenarbeit ist das Bewusstsein über Auftrag und Grenzen des eigenen Systems. Lösungen müssen dort entwickelt werden, wo die Kompetenz sitzt, wo Einflussnahme möglich ist und wo neue Wege auch verantwortet werden können. Teils erfordert dies eine enge Zusammenarbeit mit angrenzenden Systemen wie Schule und Gesundheitswesen, teils aber auch eine klare Verständigung über Zuständigkeiten und Abgrenzungsnotwendigkeiten.
Während der Tagung wurde deutlich, dass diesen vielfältigen Herausforderungen nur begegnet werden kann, wenn bei allen Akteurinnen und Akteuren die Bereitschaft vorhanden ist, zuzuhören und gemeinsam Probleme anzugehen. Klar wurde dabei auch, dass nicht nur die Erwartungshaltung an die Kinder- und Jugendhilfe sehr groß, sondern auch die Taktung für alle Akteurinnen und Akteure sehr eng ist. Umso wichtiger erscheint es, dass trotz aller alltäglichen Herausforderungen Gelegenheit zum Austausch und gemeinsamer Lösungsentwicklung vorhanden ist.