II. Die beiden kooperierenden Systeme 22 JaS-Handbuch II.1.2.8 Vertrauensschutz Verschwiegenheit und Vertrauensschutz gehören zu den Grundbedingungen für eine erfolgreiche Arbeit mit jungen Menschen und Familien in der Jugendhilfe. Denn nur dort, wo das Angebot eines grundsätzlich informationsgeschützten „Hilferaums“ besteht, können sich zwischen Hilfesuchenden und Helfenden vertrauensvolle Beziehungen entwickeln. Der Vertrauensschutz ist deshalb die verbindliche Arbeitsgrundlage für alle in der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Fachkräfte. Der Datenschutz spielt dabei eine übergeordnete Rolle, auf die im Späteren noch vertieft eingegangen wird. Um die Vertrauensbeziehung zwischen Ratsuchenden und Beratenden umfassend zu schützen, wurden datenschutzrechtliche Bestimmungen in das SGB VIII aufgenommen. Die Adressatinnen und Adressaten der Jugendhilfe müssen wissen und darauf vertrauen können, dass alle sie betreffenden Daten und Informationen nicht an Dritte weitergegeben werden. In manchen Fällen kann die Weitergabe von Daten an Dritte sinnvoll sein. In den Beratungsgesprächen ist dann darauf hinzuwirken, dass die Betroffenen einer Weitergabe von Daten an Dritte zustimmen. Nur in Ausnahmefällen können auch ohne die Zustimmung oder ohne Kenntnis der Betroffenen Informationen an Dritte weitergegeben werden. Diese Ausnahmen betreffen vor allem die Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdungen. II.1.2.9 Wahrnehmung des staatlichen Wächteramts „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ (Art. 6 Abs. 2 GG). Im Grundgesetz wird mit diesem Artikel der weite Spielraum formuliert, den Eltern hinsichtlich der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts haben. Es liefert gleichzeitig die verfassungsrechtliche Grundlage für das sogenannte „staatliche Wächteramt“. Das Wächteramt befugt und verpflichtet die staatliche Gemeinschaft, wenn Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden (können) und deswegen eine Gefährdung oder sogar Schädigung des Wohles des Kindes bzw. der oder des Jugendlichen droht, diese Gefahr abzuwehren respektive zu beseitigen. Das staatliche Wächteramt nimmt zwei verschiedene Formen an: einerseits Eltern in der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen und deren Kinder zu fördern, andererseits einzugreifen, wenn der Schutz des Kindes nicht anders sichergestellt werden kann. Somit sind sowohl die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere die Hilfen zur Erziehung als auch die hoheitlichen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, wie beispielsweise die Inobhutnahme als vorläufige Schutzmaßnahme bei Kindeswohlgefährdung, Elemente des staatlichen Wächteramtes. Als Erscheinungsformen von Kindeswohlgefährdung lassen sich grundsätzlich unterscheiden:9 Körperliche und seelische Vernachlässigung: Die andauernde oder wiederholte fehlende bzw. unzureichende Erfüllung der elementaren körperlichen, emotionalen oder erzieherischen Bedürfnisse des Kindes bzw. der oder des Jugendlichen und/oder die mangelnde Gewährleistung von Sicherheit und Schutz für das Kind bzw. die Jugendliche oder den Jugendlichen. Seelische Misshandlung: Das wiederholte absichtsvolle oder massiv abwertende Verhalten wesentlicher Bezugspersonen, welches dem Kind bzw. der oder dem Jugendlichen vermittelt, wertlos, fehlerbehaftet, ungeliebt oder unnütz zu sein und damit dem Kind bzw. der oder dem Jugendlichen (potenziell) psychologischen oder emotionalen Schaden zufügt. Körperliche Misshandlung: Die Anwendung von Gewalt durch wesentliche Bezugspersonen gegen das Kind bzw. die Jugendliche oder den Jugendlichen, welche zu körperlichen Schmerzen, Verletzungen oder gar zum Tode führt – oder das Potenzial dazu hat. Sexueller Missbrauch/sexuelle Gewalt/sexualisierte Gewalt:10 Jede versuchte oder durchgeführte sexuelle Handlung – mit oder ohne direkten Körperkontakt –, die an, vor oder mit Kindern und Jugendlichen von wesentlichen Bezugspersonen vorgenommen und/oder von wesentlichen Bezugspersonen zugelassen wird. Ausgeübt wird das staatliche Wächteramt insbesondere durch das Jugendamt und das Familiengericht, die diesbezüglich eine Verantwortungsgemeinschaft bilden. 9 Die zentralen Bezugspunkte der hier vorgenommenen Definitionen sind: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (2012), Kindler u. a. (2006), Ziegenhain, u. a. (2016). 10 Zu dieser Erscheinungsform von Kindeswohlgefährdung zählen auch Kinderpornografie und sexuelle Übergriffe im virtuellen Raum, wie beispielsweise in Chatrooms oder durch Cybergrooming. -konkret In manchen Beratungssituationen ist es wichtig, weitere Personen in die Beratung des jungen Menschen mit einzubeziehen, z. B. die Lehrkraft. In diesen Fällen sollten die JaS-Fachkräfte darauf hinwirken, dass die zu Beratenden einer Weitergabe von Daten an Dritte zustimmen. Staatliches Wächteramt Formen von Kindeswohlgefährdung Verantwortungsgemeinschaft Jugendamt und Familiengericht
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