III. Die Tätigkeit als JaS-Fachkraft – die Praxis 52 JaS-Handbuch Für viele Menschen und vor allem für viele damit Beschriebene ist der Begriff „Migrationshintergrund“ negativ konnotiert. Zudem stellt der Begriff eine Kategorisierung dar, die in ein „Wir“ und die „Anderen“ unterteilt. Denn im Begriff Migrationshintergrund findet man mit dem Begriff der Migration eine Zuwanderung zu einer Gesellschaft: „[…] der Migrationshintergrund markiert seinen Träger damit als tendenziell „neuer“, als jene ohne und in der öffentlichen Wahrnehmung auch als tendenziell fremd, auch wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft in dritter und vierter Generation besitzen.“ (Foroutan, 2010). Oftmals werden mit dem Begriff Probleme assoziiert und eine sehr heterogene Gruppe homogenisiert. Zuwanderungsgeschichte kann und darf nicht gleichgesetzt werden mit Problemlage. Vielmehr gilt es den Blick zu schärfen auf die Ressourcen und die Bereicherung der Gesellschaft durch Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte sowie für gelingende und gelungene Integrationsprozesse. Jedoch muss auch eine Auseinandersetzung mit den Risikofaktoren auf die Lebenssituation junger Migrantinnen und Migranten erfolgen. Zu diesen gehören neben Bildung, Sprache und Einkommen auch die Qualität des Sozialraums, traumatische Kriegs- und Vertreibungserlebnisse, individuelle Faktoren wie Gewalterfahrung, unbeachteter Einstieg in die Kriminalität und konkurrierende Wertesysteme. Zur Zielgruppe der JaS gehören auch junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Oftmals haben diese mit vielfältigen Benachteiligungen zu kämpfen. Folgende Konstellationen sind häufig anzutreffen: Die Familien leben in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die Arbeitsbelastungen sind überdurchschnittlich und die zeitliche Belastung des Familienlebens, durch Schichtarbeit und ungünstige Arbeitszeiten im niedrigen Dienstleistungsgewerbe, besonders hoch. Hinzu kommt die finanzielle Unterstützung der Verwandten im Herkunftsland oder das Ansparen für die eigene Rückkehr. Das Familienleben ist oft stark reduziert, häufig ohne Kontakte zur deutschen Bevölkerung und gleichzeitig geprägt vom Festhalten an traditionellen Rollen. Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte besuchen deutlich häufiger die Mittelschulen und Förderzentren, dafür aber seltener die Gymnasien als junge Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Somit erreichen Migrantinnen und Migranten weniger hochwertige Schulabschlüsse. Hinzu kommt, dass diese deutlich häufiger die Schule ohne einen allgemeinen Bildungsabschluss oder mit einem Mittelschulabschluss verlassen (vgl. Siegert, 2008). Oftmals liegt die scheinbar mangelnde Motivation der Eltern, ihre Kinder auf weiterführende Schule zu schicken, daran, dass ihnen das deutsche Schulsystem nicht hinreichend bekannt ist und sie nicht wissen, dass ein Mittelschulabschluss nicht für alle Ausbildungsberufe ausreichend ist. Der Wechsel auf eine weiterführende Schule wie die Realschule oder das Gymnasium wird ihnen oft verwehrt oder aber innerfamiliär nicht gefördert. Somit sind junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte an Gymnasien unter- und an den Förderzentren und Mittelschulen überrepräsentiert. Das Wissen über und die unterschiedlichen Erfahrungen der Eltern mit dem System Schule in ihren jeweiligen Herkunftsländern beeinflusst deren Einstellung gegenüber dem deutschen Schulsystem. So übernimmt Schule in den Herkunftsländern der Eltern eben oft nicht nur die Bildung der jungen Menschen, sondern auch umfassende Erziehungsaufgaben und disziplinarische Maßnahmen ohne Miteinbezug der Eltern. Die in Deutschland geforderte Erziehungspartnerschaft von Eltern und Schule wird somit als häufig fremd erlebt. Die Arbeitslosenquote heranwachsender Migrantinnen und Migranten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erreichen, ist unabhängig von ihrem Schulabschluss weitaus höher als bei Heranwachsenden ohne Zuwanderungsgeschichte (vgl. bpb., 2021). Bei jungen Frauen mit dieser potenzieren sich die Benachteiligungen. Oft kommen die jungen Menschen und ihre Familien aus Ländern, in denen Krieg herrscht oder sie aus unterschiedlichen Gründen vor einem totalitären Regime auf der Flucht sind. Probleme werden meist innerfamiliär gelöst. Hilfen von außen wurden und werden auch aus Angst vor Repressalien eher selten in Anspruch genommen. Sie sind es in der Regel nicht gewöhnt, sich Hilfe suchend an sozialpädagogische Fachkräfte oder spezialisierte Beratungsstellen zu wenden, um von ihren Problemen zu erzählen. Dies bedeutet für die JaS-Fachkräfte, dass sie viel Geduld und ein hohes zeitliches Engagement in die Vertrauens- und Kennenlernphase investieren müssen. In der Arbeit mit jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist es wichtig, diese mit ihrer ganzen Persönlichkeit wahrzunehmen und sie nicht vorrangig als Vertreterin oder als Vertreter einer Ethnie zu sehen. Die Zuwanderungsgeschichte muss von der JaS aber in die sozialpädagogische Anamnese für ein besseres Verstehen und für die Bildung eines Gesamteindrucks der möglichen Problemlagen miteinbezogen werden. Das Ungleichgewicht
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