Mitteilungsblatt 1/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 01-2020 11 aufgrund gestörter Konnexität entstehen und in jugend- kulturellen Gruppierungen verlorengegangene Konnexi- tät wiedergefunden wird. Bei der Analyse des Grades an Intimität wird deutlich, dass Jugendkulturen eine nichtfamiliäre Intimität bieten und den Wunsch danach im Heranwachsen stillen. Da Jugendkulturen nicht oder wenig institutionalisiert sind, können hier Jugendliche Entscheidungen selbst treffen und sind wenig externen Entscheidungen ausgeliefert. Auch in der Frage aller Formen von Kontrolle stehen Jugendkulturen dieser skeptisch und abwehrend gegenüber. Jugendkultu- ren verhalten sich kritisch/abwehrend zu allgemeinen Wertebesetzungen (partiell oder total). Der Raum zur Selbsterprobung, für Abenteuer und Risiko steht im Vordergrund. Die moderne Gesellschaft wird daher in den bereitge- haltenen Lebens- und Entwicklungszonen in Bezug auf Konnexität, Intimität, Institutionalisierung, Kontrolle und Wertbesetzung kritisiert. Jugendkulturen und -szenen sind Ausdruck einer Lebens- und Handlungspraxis und gehen über die Kritik hinaus, indem andere Modelle der Lebenserfahrung entwickelt werden. Da aber die beschriebenen Zonen bereits systemfunktional besetzt sind, beanspruchen Jugendkulturen eigene Räume, in denen ihre Ziele und Stile umgesetzt werden können. Die Umsetzungsform fasst Baacke in dem Begriff der jugendkulturellen Szene zusammen, die mit einem starken Ereignischarakter und Intensität Raum und Zeit definieren und dafür Räume zur Erprobung der Inszenie- rung erobern. In diesem Rahmen ist es möglich, sich in vorhandene Zonen-Angebote einzugliedern, sich Räume anzueignen oder dies als Teil-Aneignung von Räumen auf Zeit zu vollziehen oder gleich Räume umzudefinieren. Die Bewältigungsstrategie liegt nun darin, dass, durch die Umwandlung von räumlichen Zonen in Szenen, Jugendkulturen überhaupt entstehen können und dies eine fundamentale Voraussetzung ist. Die Regelverlet- zung der Umwandlung ist zugleich eine Kompensation, da sich Jugendliche fremd fühlen und nicht zugelassen sind. Sie brechen mit der herrschenden Ordnung und kommen dem Verbindlichkeitsanspruch etablierter Ritua- le nicht nach. Es wird auch von kulturellen Praktiken des Regelbruches gesprochen, der sich z.B. in der Sprache (aufdecken von Widersprüchen, Toiletten als öffentlicher Raum für Statements, durchbrechen von Argumentation mit Neu-Kombination von Sinnzusammenhängen), der Provokation über Musik und Kleidung oder der Absichts- losigkeit manifestiert. Je aggressiver die Gesellschaft auf die Subkultur reagiert, umso enger werden sich deren Mitglieder zusammenschließen und umso stärker werden sie sich aus der Gesamtgesellschaft zurückzie- hen. In der Protestbewegung von Fridays For Future ist die Raumaneignung und der Regelbruch gewähltes Stilelement, um Diskurse und Veränderungen herbeizu- führen. Auch Dr. B. Strauber proklamiert die zunehmend ris- kanteren, zunehmend reversibleren und zunehmend unplanbaren Übergänge. Sie fasst dies in dem Begriff der YoYo-Übergänge, zwischen Selbständigkeit und Abhängigkeit, also zwischen Jugendstatus und Erwach- senenstatus, zusammen. So müssen Ausbildungsent- scheidungen immer wieder neu getroffen werden, damit auch die Wohnortfrage und die Gestaltung der Beziehung zu den Eltern. Neben der Strategie der räum- lichen Aneignung erweitert Stauber dies auf die Ebene der Körperstrategien (Mode, Styling, Bewegungskul- turen und Formen der körperlichen Selbstdarstellung, szenespezifische Drogenkulturen) und die Ebene der ästhetischen, symbolischen, stilistischen Orientierungen mit geschlechtsbezogenen Identitätsarbeit. 21 Infragestellen von Werten und Normen sowie riskantes Verhalten Die Shell Jugendstudie 22 verdeutlicht, dass 92% der Jugendlichen das Verhältnis zu ihren Eltern als gut und bestens beschreiben. Die meisten Jugendlichen wün- schen sich Kinder und ihre Eltern bleiben mehrheitlich Erziehungsvorbilder. Dies belegt, dass Jugendliche nicht grundsätzlich mit den Werten und Normen der Gesell- schaft brechen und insgesamt zuversichtlich in ihre Zukunft sehen. Abgesehen davon ist ein erhöhtes substanzmittelbezo- genes Risikoverhalten (z.B. Alkohol-, Tabak-, Medika- menten- und Drogenkonsum) sowie explizit risiko-kon- notative Risikoverhaltensweisen (z.B. S-Bahn-Surfen, Autorennen) in der Jugendphase feststellbar. Im Bereich der explizit risiko-konnotativen Risikover- haltensweisen lassen sich Mutproben einordnen. 21 Stauber; 22 Shell Jugendstudie 2019 I N F O

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