Mitteilungsblatt 1/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 01-2020 15 I N F O Ein Blick zurück – Intentionen der RL (EU) 2016/800 Obwohl die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auch Vertragsparteien der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowie des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (VN-KRK) sind, belegen Erfahrungswerte, dass damit allein kein hinrei- chendes Vertrauen in die Strafrechtspflege des jeweils anderen Mitgliedsstaates bestand. Infolgedessen beschloss der Rat der Europäischen Union bereits im Jahr 2009, dass es nicht nur der Schaffung einer grund- legenden Vertrauensbasis in die Strafrechtspflege der einzelnen Staaten bedarf, sondern vielmehr eine Verein- heitlichung von multinational gültigen Mindeststandards das Ziel der gemeinsamen Anstrengungen sein muss. Teilziel des Beschlusses war neben einer schrittweisen Harmonisierung der Verfahrensgestaltung auch die Umsetzung bestimmter Maßnahmen, die europarechts- konforme Zustände herstellen und die gemeinsame Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen erleichtern sollten. Folgende fünf Maßnahmen sollten durch die Mitgliedsstaaten indikativ umgesetzt werden und ein faires Verfahren garantieren: 34 • das Recht auf Übersetzung und Dolmetscherleistungen, • das Recht auf Belehrung über die Rechte und Unter- richtung über die Beschuldigung, • das Recht auf Rechtsbeistandschaft und Prozesskos- tenhilfe, • das Recht auf Kommunikation mit Angehörigen, Arbeitgebern und Konsularbehörden sowie • besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächti- ge oder Beschuldigte. Die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen wurde in einem „Fahrplan“ festgeschrieben und sollte schritt- weise erfolgen. So wurden von 2010 bis 2016 auf der Grundlage der o.g. Maßnahmen vier aufeinander aufbau- ende Richtlinien erlassen. 35 Die Umsetzung der fünften Maßnahme stellte eine besondere Herausforderung dar, galt es doch, die Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz 36 bzw. die EU-Kinderrechtsricht- linie genauso zu berücksichtigen wie die teils unter- schiedlichen Handlungslogiken der Mitgliedsstaaten im Umgang mit minderjährigen Personen. Dabei sollte durchweg garantiert werden, dass diese Minderjährigen Träger eigener Verfahrensrechte sind. 37 Gegenstand der Diskussion waren u. a. auch die national uneinheit- liche Definition von Altersgrenzen, einschließlich zu beantwortender Fragen zur Strafmündigkeit und des Geltungsbereichs der jeweiligen Jugendstrafgesetze, sowie der mögliche Einbezug von Eltern bzw. Personen- sorgeberechtigten. Hierzu brauchte es Abstimmungen über eventuell notwendige (medizinische) Untersuchun- gen zur Feststellung des tatsächlichen Alters wie auch zur Gewährleistung von Unterstützungsformen in der Durchsetzung individueller Rechte und notwendiger Schutzmaßnahmen. R E F O R M D E S J U G E N D G E R I C H T S G E S E T Z E S GELEGENHEIT ZUR NEUAUSRICHTUNG DER MITWIRKUNG GEMÄSS § 52 SGB VIII Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren am 17. Dezember 2019 wurde eine Vorgabe des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfah- rensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (RL [EU] 2016/800) 32 , im bundesdeutschen (Jugendstraf-)Recht verankert. 33 Warum die RL (EU) 2016/800 und die dadurch not- wendig gewordenen Änderungen im Jugendgerichtsgesetz (JGG) eine Gelegenheit zur Neuausrichtung der im Jugend- strafverfahren mitwirkenden Kinder- und Jugendhilfe darstellen, soll im nachfolgenden Beitrag begründet werden. 32 Download der RL (EU) 2016/800 unter: https://eurolex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32016L0800; 33 Bundesgesetzblatt 2145, G 5705, Nr. 47 aus 2019, S. 2146 ff.; 34 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union I. 132, S. 1, Nr. 4; 35 Vgl. RL (EU) 2010/64, RL (EU) 2012/13, RL (EU) 2013/48 und RL (EU) 2016/343 36 Vgl. Leitlinien des Ministerkomitees des Europarates für eine kindgerechte Justiz, verabschiedet durch das Ministerkomitee des Europarates am 17. November 2010 und Begründung; Bestandteil des Programms des Europarates „Aufbau eines Europas für Kinder und mit Kindern“; Download unter: www.coe.int/children. Letzter Zugriff am 11.02.2020. 37 Erinnert sei an dieser Stelle an die bundesdeutsche Debatte zur Umsetzung von Kinderrechten im Grundgesetz.

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