Mitteilungsblatt 1/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 01-2020 19 Ebenso wenig operationalisierbar erscheinen aus dem Gesetz resultierende Handlungsaufträge, • die auf der Grundlage zeitlich unbestimmter Begriffe geschehen sollen (z.B. „Sobald es im Verfahren von Bedeutung ist…“ oder „…möglichst zeitnah Aus- kunft“; § 38 Abs. 3 S. 1 JGG), • subjektive Interpretationen und Ermessensspielräu- me erlauben (z.B. bei möglicherweise auftretenden „bedeutsamen Umständen“, die ggf. „ergänzende Nachforschungen“ erfordern; § 38 Abs. 3 S. 3 JGG) oder • die eine Art Ausfallbürgschaft bei Wegfall von Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern durch „eine andere für den Schutz der Interessen des Jugendlichen geeignete volljährige Person“ opti- onal garantieren sollen, ohne dass diese „Person“ in Funktion und Rolle eindeutig zu bestimmen ist (vgl. § 67 Abs. 3 JGG bzw. § 67a Abs. 4 JGG). Gerade der letztgenannte Punkt der Ausfallbürgschaft schlug in Bayern hohe Wellen und ist hinsichtlich seines verpflichtenden Charakters in der Umsetzung noch nicht abschließend geklärt. Zeitabläufe, Zugänge und Mitwirkungsmög- lichkeiten in unterschiedlichen Stadien Was sich durch Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugend- strafverfahren maßgeblich ändern wird, sind Zeitpunkte einer möglichen Intervention durch die Kinder- und Jugendhilfe sowie Varianten in der Kontaktgestaltung mit den jungen Menschen und ihren Eltern bzw. den „Trägern der elterlichen Verantwortung“. Damit verbun- den sind neue Routinen in der Gestaltung der Mitwir- kungsmöglichkeiten in den unterschiedlichen Stadien des Jugendstrafverfahrens wie auch eine Umwuchtung des Arbeitsschwerpunkts, vom Hauptverfahren ins Ermittlungs- bzw. Vorverfahren. Hinzu kommt, dass generell Kooperationsbeziehungen neu abzustimmen und zumindest mit einem Akteur, dem Rechtsbeistand bzw. der „notwendigen Verteidigung“, grundlegend neu zu gestalten sind. Anhand der nachfolgenden Beispiele lässt sich aufzei- gen, worin neue Herausforderungen liegen und welche konkreten Chancen sich zur Neuausrichtung für die in Jugendstrafverfahren mitwirkende Kinder- und Jugend- hilfe bieten. § 70 JGG [Mitteilungen an amtliche Stellen] ist nicht gänzlich neu gefasst. In Abs. 2 wird allerdings neu geregelt, dass die Jugendgerichtshilfe von der Einlei- tung des Verfahrens „spätestens zum Zeitpunkt der Ladung des Jugendlichen zu seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter zu unterrichten“ ist. In Abs. 2 S. 2 wird dann noch eine Ausnahme für den Fall beschrie- ben, dass die Jugendgerichtshilfe „unverzüglich“ nach einer ersten Beschuldigtenvernehmung ohne vorherige Ladung unterrichtet werden muss. Dadurch ergibt sich eine frühere Kenntnisnahme für die Jugendgerichtshilfe darüber, dass ein Jugendlicher oder Heranwachsender Beschuldigter in einem Strafverfahren ist. Während in der Vergangenheit abzuwarten war, bis die Ermittlungs- behörden ihre Arbeit abgeschlossen und in einem – in der Regel – Polizeibericht niedergelegt hatten, kann nun bereits zum ersten Zeitpunkt der Information bzw. Unterrichtung ein Gesprächsangebot an die jungen Menschen erfolgen. Damit wird der erstmögliche Interventionszeitpunkt in ein sehr frühes Stadium des Verfahrens vorverlegt. Bislang vergingen zwischen (po- lizeilicher) Ermittlungstätigkeit, einschließlich Beweis- mittelsicherung und Zeugenvernehmungen, und dem Eingang der schriftlichen Anzeige bei der Jugendge- richtshilfe und der Staatsanwaltschaft oftmals Wochen und Monate. Dieses erste Momentum des Bekanntwer- dens der Tat qua polizeilicher Unterrichtung kann durch die in Jugendstrafverfahren mitwirkenden Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe aktiv genutzt werden, auch um dem o.g. Prüfauftrag gemäß § 52 Abs. 2 SGB VIII frühestmöglich nachkommen zu können. So kann in einer ersten Aktivität mehr als nur eine „Kenntnisnah- me“ des Sachverhalts erfolgen. Es können im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe örtliche und sachliche Zuständigkeiten geprüft, Anhaltspunkte für „schutzwür- dige Interessen“ oder eine Kindeswohlgefährdung (bei Jugendlichen) gesammelt und – sofern es die Informa- tionslage zulässt – bereits ein erster Vorschlag zur Ver- fahrenserledigung an die zuständige Staatsanwaltschaft gemacht werden. Letzteres kann auch dann geschehen, wenn das Verfahren unabhängig von Sanktionen durch die Staatsanwaltschaft „folgenlos“ eingestellt wird. Ein Abwarten bis die Staatsanwaltschaft in ihrer Eigenschaft als „Herrin des Verfahrens“ entscheidet, ist nach wie vor wenig zielführend und widerspricht dem Gedanken der RL (EU) 2016/800 hinsichtlich einer „zügigen Bear- beitung“ (Art. 13). Kritisch lässt sich anmerken, dass erste Erfahrungswer- te mit der frühen Unterrichtung gemäß § 70 Abs. 2 JGG aus der Praxis belegen, dass die an die Jugendhilfe in Strafverfahren übersandten Informationen sehr rudi- mentär sind und wenig Anknüpfungsmöglichkeiten für I N F O

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