Mitteilungsblatt 1/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 01-2020 20 einen tatbezogenen Dialog mit den jungen Menschen bieten. Durch die frühe Unterrichtung gemäß § 70 Abs. 2 JGG sowie der möglichen frühen Beteiligung im Zuge der §§ 67 Abs. 3 und 67a Abs. 4 JGG wird es der Jugend- gerichtshilfe per se ermöglicht, frühzeitig mit ihren Nachforschungen zu beginnen (vgl. § 38 Abs. 2 und 3 JGG). Vor allem im Kontext des neuen § 46a JGG [Anklage vor Berichterstattung] wird deutlich, welchem Stellenwert der sog. ersten Berichterstattung durch die Jugendgerichtshilfe beigemessen wird. Diese erste Berichterstattung, die nicht zwangsläufig in Schriftform erfolgen muss, kann mitunter dazu beitragen, dass auf eine Anklageerhebung verzichtet wird. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass auch ohne vorherige Berichterstattung durch die Jugendge- richtshilfe die Anklage erhoben werden kann, wenn dies „dem Wohl des Jugendlichen dient und zu erwarten ist, dass das Ergebnis der Nachforschungen spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen wird“ (§ 46a S. 1 JGG). Für die in Jugendstrafverfahren mitwirkenden Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe ergeben sich daraus mehrere Verpflichtungen. Erstens, dass zu einem möglichst frühen Zeitpunkt und vor der Anklageerhebung über das Ergebnis der Nachforschun- gen Bericht erstattet wird und zweitens, dass dieser Bericht dem Gebot der fortlaufenden Aktualisierung unterliegt, d. h. dass „ergänzende Nachforschungen“ angestellt werden müssen, wenn wesentliche Änderun- gen „bedeutsamer Umstände“ eintreten (§ 38 Abs. 3 S. 3 i. V. m. Abs. 2 S. 1 JGG). Für eine mögliche Neu- ausrichtung der Jugendhilfe in Strafverfahren bedeutet dies, dass der Prozess der Informationssammlung bzw. Datenerhebung durchweg neu anzulegen ist und kein statisches Ereignis im Verfahrensablauf darstellt. Vor dem Hintergrund eines hohen Fallaufkommens und knapper Terminierungen wird sich in der Praxis allerdings zeigen müssen, wie ein kontinuierliches Ge- sprächsangebot durch die mitwirkenden Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe vorgehalten werden kann und wie sich im Zusammenspiel mehrerer Akteure mehrere Termine mit den betroffenen jungen Menschen und den „Trägern der elterlichen Verantwortung“ realisieren lassen. Drittes und letztes Beispiel für eine empfohlene Neu- ausrichtung der Jugendhilfe in Strafverfahren soll die gesetzlich angelegte verpflichtende Teilnahme bzw. Anwesenheit der Jugendgerichtshilfe im Rahmen der Hauptverhandlung sein. Wie bereits ausgeführt, ist die Anwesenheit der Jugendgerichtshilfe im Rahmen der Hauptverhandlung keine Neuerung im JGG. § 50 Abs. 3 JGG war auch in seiner alten Fassung einschlägig. Neu ist, dass die Gerichte angehalten sind, „in ange- messener Frist vor dem vorgesehenen Termin“ Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Darüber hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen auf die Anwesenheit der Jugendgerichtshilfe verzichtet werden und ein schriftlicher Bericht verlesen werden. Beide neuen Regelungen stellen in erster Linie die Kooperati- onsbeziehung zwischen Jugendhilfe und Jugendgericht auf die Probe, und das in zweierlei Hinsicht: Durch die Terminierung des Jugendgerichts soll eine faire und realistische Teilnahme der in Jugendstrafverfahren mitwirkenden Fachkräfte der Kinder- und Jugendhil- fe ermöglicht werden. Zum anderen soll durch beide Akteure sichergestellt werden, dass § 38 Abs. 7 JGG, d. h. eine Nichtteilnahme der Jugendgerichtshilfe an der Hauptverhandlung und das Verlesen eines schriftlichen Berichts, nur den Ausnahmetatbestand erfüllen kann. § 38 Abs. 7 JGG benennt dafür im Wesentlichen zwei sich wechselseitig bedingende Parameter: Die „Um- stände des Falles“ und das „Wohl des Jugendlichen“. Während das Jugendgericht und im Vorverfahren auch die Jugendstaatsanwaltschaft auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 38 Abs. 3 JGG ohne Weiteres verzichten können, wird der Jugendgerichtshilfe dieser auch in Teilen mögliche Verzicht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung lediglich per Antrag offengelegt. Hierin liegt die Herausforderung bzw. die Notwendigkeit der Neuinterpretation des bisher gültigen fachlichen Standards: Der Regelfall muss die Gewährleistung der Teilnahme an der Hauptverhandlung durch die Jugend- gerichtshilfe sein (vgl. § 38 Abs. 4 S. 1 JGG). Nur so kann sichergestellt werden, dass alle bedeutsamen Gesichtspunkte des Einzelfalls tagesaktuell und mit dem gebotenen fachlichen Nachdruck an das Gericht und die Staatsanwaltschaft adressiert werden können. Dabei ist es nur folgerichtig, dass regelhaft diejenige Person in den Gerichtstermin entsandt wird, die auch tatsächlich die Nachforschungen zur Person des Jugendlichen oder Heranwachsenden selbst durchgeführt hat (vgl. § 38 Abs. 4 S. 2 JGG) und die ggf. über die Gewährung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe verbindlichen Zusagen treffen kann. Eine Diskussion um die Sicherstellung des fachlichen Standards und Prüfung einer aktiven Teilnahme im Rahmen der Hauptverhandlung muss vor dem Hinter- grund organisatorischer Fragen wie auch im Wissen um I N F O

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