Mitteilungsblatt 1/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 01-2020 08 das Bundesjugendkuratorium (2009) 5 fest, dass nicht mehr von einer Lebenslage gesprochen werden kann und daher nicht mehr von der Jugend sondern den Jugenden gesprochen werden muss. Wurde bisher eine Überschrift wie „die skeptische Generation“, „Generati- on Praktikum“, „Generation Y“ oder „die pragmatische Generation“ gefunden, ist dies nun nicht mehr möglich, da die Zahl der Milieus unüberschaubar wird. Im gesell- schaftlichen Selbstverständnis gibt es einen Anspruch der Jugend auf eine eigene Kultur des Aufwachsens mit einer eigenen Strukturlogik. Diese wird in der medialen Kompetenz, den eigenen Symbolen und körperbezoge- nen Stilelementen sichtbar. Nebenwirkungen sind aller- dings die starke Ökonomisierung, die Vermassung und die Trivialisierung. Damit ist u.a. ein schneller Wechsel zwischen Stilen und Szenezugehörigkeit verbunden. 6 Die Lebensphase Jugend hat sich von einer relativ klar definierbaren Übergangs-, Existenz-, und Familien- gründungsphase, was bspw. im Jugendforschungs- konzept der Entwicklungsaufgaben vertreten wird, zu einem eigenständigen und relativ offenen Lebensbe- reich gewandelt. Die Übergänge (von der Kindheit in die Jugendphase und in das Erwachsenensein) sind zunehmend komplexer und entritualisierter und führen zu einer Statusinkonsistenz. Traditionen, Erfahrungs- wissen, soziokulturelle Deutungsmuster und ehemals bewährte Lebensplanungskompetenzen werden den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen keineswegs mehr gerecht. Der lebenszeitliche Erfahrungsvorsprung der Älteren schwindet und somit auch das erzieheri- sche Einwirken der älteren Generation. Existenziell wird daher die Notwendigkeit der Selbstsozialisation, die Jugendliche mit Gleichaltrigen und in Jugendkulturen bzw. Jugendszenen finden. 7 Jugendkultur als Ausdrucksform Der 15. Kinder- und Jugendbericht (2017) mit dem Titel „Jugend ermöglichen“ beschreibt die Verantwortung der Rahmenbedingungen als jugendpolitische und gesellschaftliche Aufgabe. Ein eigenes Kapitel stellt die Frage „Was tun Jugendliche in und mit Jugendkulturen und Jugendszenen?“. Jugendkulturen und Jugendsze- nen gelten als die jugendliche Ausdrucksform schlecht- hin und bieten Raum zur Erprobung. So werden z.B. Kleidung, Musik, Symbole und Sprache von den Ju- gendlichen selbst und in Gemeinschaft ausprobiert, ein Lebensgefühl erfunden und sich sichtbar abgrenzend ins- zeniert. Die individuelle und gesellschaftliche Relevanz ist zeitlich begrenzt. Medien und insbesondere digitale Medien sind ein zentrales Element, da sich Jugendkul- turen verstärkt mit und über Medien konstituieren. Die digitalen Medien ermöglichen den Zugang, die Kommu- nikation, Interaktion und Selbstdarstellung. Dies sind wiederum die Strukturmerkmale von Jugendkulturen. Jugendliche nutzen Jugendkulturen auch als Raum, der frei von Erwachsenen ist. So werden auch z.B. Ge- schlechterrollen ausprobiert. Gerade in der Jugendszene Anime ist Genderswapping ein Bestandteil. Kostüme werden unabhängig des Geschlechtes getragen und Figuren inszeniert. Da Stilelemente der Jugendkulturen über den Körper transportiert und inszeniert werden, sind diese als Leiberfahrungen und damit als untrennbar verknüpfte Körpererfahrung zu werten. Beispiele sind aggressiv inszenierte Körper der Metals und Ultras, ekstatische Elemente in der Techno-Szene, die Haltung und Gangart der Buggy-Hosenträger im Hip-Hop, die sportlichen Elemente bei Skatern und Body-Buildern. Dies bedeutet, dass der Körper in jeder Jugendkultur zum Medium einer Kultivierung wird. „Jugendkulturelle Szenen sind also für Jugendliche vor allem als Formationen bedeutsam, in denen gesell- schaftliche Verhältnisse infrage gestellt werden können, neue, auf Zeit wichtige, identitätsstiftende Elemente erprobt und wieder verworfen werden können, ohne dass sie direkte Konsequenzen hinsichtlich politisch eindeutiger Zugehörigkeiten nach sich ziehen.“ 8 Demographische Entwicklung und Öffentlichkeit Jugend ist aufgrund der demographischen Entwicklung dieser Gesellschaft erstmals im Verhältnis zu den über 50-Jährigen zu einer Minderheit geworden. Sie hat aber auch noch nie eine so eigenständige, medial und ge- sellschaftlich beachtete Positionierung eingenommen. Diese jugendliche Minorität splittet sich heute in eine solche Vielzahl unterschiedlicher kultureller Lebens- und Ausdrucksformen auf, dass selbst „szenekundige“ Jugendforscherinnen und Jugendforscher und auch zunehmend mehr Jugendliche nicht mehr in der Lage sind, die in immer rascherer Folge neu entstehenden Jugendkulturen oder deren Abspaltungen und Weiter- entwicklungen überhaupt nur zu kennen. 5 Bundesjugendkuratorium; 6 Simon; 7 Ferchhoff; 8 Quelle: 15. Kinder- und Jugendbericht I N F O

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