Mitteilungsblatt 01/2022

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 1 - 2 0 2 2 12 B E R I C H T E Erlebniswelten zeigen, haben Kontinuität bis heute. Das Arbeitsfeld hat sich seither jedoch stetig gewandelt und ausgeweitet. Spätestens mit dem Aufkommen der PEGIDA-Demonstrationen ab 2015 wurde deutlich, dass sich ein breiter Querschnitt der Bevölkerung offen und distanzlos zu Fragmenten rechter Ideologien verhält. Seitdem beziehen sich Beratungsanfragen zunehmend auf Probleme mit rechten Eltern und Großeltern, mit den eigenen Partnerinnen und Partnern, den Arbeits oder Vereinskolleginnen und Vereinskollegen. Die oft fehlende Bereitschaft zu einer Abgrenzung ge genüber extrem rechten Akteurinnen und Akteuren wird aktuell im Protest der sogenannten Querdenkerinnen und Querdenkern gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besonders deutlich. Dies schlägt sich auch in der Beratungspraxis nieder. In einem Drittel der Anfragen aus dem Jahr 2021 standen antisemitische und demokratiefeindliche Verschwörungserzählungen rund um die Corona-Krise im Mittelpunkt. - - Eine Frage der Einstellung Für das Beratungsangebot von F.U.E.R. ist ein Verständ nis von Rechtsextremismus wichtig, das vor allem die Einstellungsebene von Menschen in den Blick nimmt. Als wichtige Arbeitsgrundlage dient daher der sozialwis senschaftliche Ansatz der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (vgl. Reber, 2021). Dieser zielt darauf ab, menschenfeindliche und diskriminierende Einstellun gen in der gesamten Gesellschaft zu erfassen. Im Kern dieser Einstellungen steht eine Ideologie der Ungleich wertigkeit. Diese stellt auch im Rechtsextremismus ein zentrales Element dar und wird durch ein Zusammen spiel verschiedenster Faktoren im persönlichen und soziokulturellen Umfeld einer Person begünstigt. - - - - - „Die humane Qualität einer Gesellschaft erkennt man nicht an Ethikdebatten in Feuilletons meinungsbildender Printmedien oder in Talkshows, sondern an ihrem Umgang mit schwachen Gruppen“ (Universität Bielefeld, IKG, 2013, S. 2). Erkenntnisse aus der sozialwissenschaftlichen For schung zeigen, dass bei Personen, die menschenfeind liche Einstellungen aufweisen, häufig ein Gefühl des „Abgehängtseins“ und einer gesellschaftlichen Desinte gration vorherrscht. Damit einher gehen Vertrauensver luste in demokratische Institutionen, oftmals befeuert vom Glauben an Verschwörungserzählungen und einer Flucht ins Irrationale. - - - - Erfahrungen in der Arbeit mit extrem rechts orientierten Jugendlichen legen nahe, dass Gewalt oder Drogen missbrauch im familiären Umfeld ebenso eine Rolle spielen können wie das Fehlen stabiler, emotionaler Bindungen. Begleitet wird dies oft durch Ereignisse, die als Einschnitte in der eigenen Biografie erlebt werden, wie beispielsweise das Scheitern von Beziehungen, der Verlust von Freundschaften oder Schulabbrüche (vgl. Haase, 2020, S. 140f.; Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus, 2020). - Monokausale Erklärungsansätze für die Hinwendung von Personen zum Rechtsextremismus greifen zu kurz. Um zu verstehen, was einen Einstieg begünstig, ist ein Blick auf individuelle Problemlagen unumgänglich. Für die Auseinandersetzung mit der Frage, warum Personen sich von extrem rechten Ideologien und Verschwörungs- erzählungen angezogen fühlen, sind verschiedene Dimensionen von Relevanz. Diese Spurensuche unter stützt F.U.E.R. - Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit und dem jeweils relevanten Akteur sumfeld der Person ist dabei zentral. F.U.E.R. begleitet diesen Prozess mit der notwendigen Fachexpertise und zieht gegebenenfalls weitere Fachstellen bei der Ein schätzung der Situation hinzu. In kollegialer Fallberatung wird auch die schwierige Frage erörtert, wie der Aufbau und das Aufrechterhalten belastbarer und vertrauens voller Beziehungen zu Klientinnen und Klienten vor dem Hintergrund einer extrem rechten Orientierung gelingen kann. Wie weit können sich pädagogische Fachkräfte dabei positionieren, ohne die Klientinnen und Klienten vor den Kopf zu stoßen? Wie die eigene Haltung zeigen, ohne den Beziehungsaufbau zu gefährden? - - - Haltung zeigen Das Zeigen der eigenen, authentischen Haltung gegen über menschenfeindlichen Einstellungen, gegenüber Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierungen ist nicht nur für die Beziehungsarbeit wichtig. Ein Schwei gen wird von Rechtsextremen häufig als eine Art stille - - Abbildung 1: Das Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (vgl. Zick et al., 2016, S. 37)

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