Mitteilungsblatt 01/2022

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 1 - 2 0 2 2 15 Interview mit Helga Hanusa, langjährige Beraterin Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen in der Beratung des Umfeldes von Personen, die sich affin zu rechten Ideologien zeigen? Vor über 10 Jahren hatten wir es viel mit Eltern und Fachkräften zu tun, die sich an uns gewandt haben, weil Jugendliche durch offen neonazistische Akteure wie die NPD oder den III. Weg sozialisiert wurden und dadurch schnell negativ aufgefallen sind. Heute beraten wir in einer Situation, in der Normalisierung und Tolerierung von demokratiefeindlichen, men schenverachtenden und antisemitischen Tendenzen sowohl in der Gesellschaft, wie auch den Medien und von einzelnen Parteien im Parlament eine unübersehbare Präsenz haben. Eine gewisse Gewöhnung bringt jedoch die Gefahr mit sich, dass das Ausmaß des Problems nicht gesehen wird. Menschen, die bei uns anfragen, sind alarmiert und sehen den schädlichen Einfluss auf ihr Kind oder in ihrem persönlichen Umfeld. - Institutionen sind zum Teil hilflos oder nicht ausreichend reaktionsfähig, wenn sie mit rechtem Anschauungen und Verschwörungserzählungen konfrontiert werden. Was hat sich aus Ihrer Sicht seit der Pandemie und durch die stärkere Präsenz antisemitischer Verschwö rungserzählungen verändert? - Es gibt fast keine Beratungsanfrage, wo das Thema Verschwörungsmythen nicht auch ein Bestandteil ist. Seither zugenommen haben Anfragen, bei denen es um Erwachsene geht: Partnerinnen/Partner, Freundinnen/Freun de, Kolleginnen/Kollegen, Vorgesetzte usw. In einer vermeintlichen „Rebellion“ gegen die Corona-Maßnahmen sehen wir ein zusätzliches Einfallstor für die extreme Rechte, um Unzufriedenheit und das diffuse Unbehagen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Als Folge koppeln sich immer mehr Menschen ab und werden immer schwerer zugänglich für eine Auseinandersetzung. Gleichzeitig fühlen sie sich durch die große Anzahl der teilweise gewaltbereit auftretenden Demonstrierenden in ihren Ansichten legitimiert. - Wie unterstützen Sie Fachkräfte, wenn diese im Arbeitsumfeld mit rechten Ideologien konfrontiert wer den? - Wir helfen, die Anzeichen einzuordnen und auch dabei den entwicklungsgeschichtlichen Prozess mit in den Blick zu nehmen: Wie lange ist das schon so? Gibt es ein konkretes Gefährdungspotential? Wodurch wird diese Hinwendung zu rechten Welterklärungen gespeist? Für welches Leid und welchen Frust werden dort Antworten gesucht und welche Erklärungen und welcher Halt werden dort angeboten? Unser Angebot versucht zusammen mit den Fachkräften die persönliche, subjektive Motivation ihrer Klientinnen und Klienten für eine Hinwendung zu extrem rechten Positionen heraus zu finden. Diese lebensgeschichtlich als Bewältigungsmuster zu verstehen, heißt nicht Verständnis für menschenfeindli che Auffassungen zu haben, sondern nach Ansatzpunkten der Veränderung und demokratischer Orientierung zu suchen. - B E R I C H T E

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