Mitteilungsblatt 01/2022

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 1 - 2 0 2 2 20 Unterbringung eines Kindes bzw. Jugendlichen in einer Pflegefamilie, einem Heim oder seine Betreuung durch Kafala6 oder eine entsprechende Einrichtung. Die Rege lungen des Art. 82 Brüssel IIb-VO - 7 bzw. des Art. 33 KSÜ erstrecken sich ausschließlich auf Minderjährige. Nach hiesiger Meinung ist die Formulierung in § 38 Abs. 2 S. 1 SGB VIII „Hilfe, die […] teilweise im Ausland erbracht wird“ – analog zu den Regelungen des Art. 82 Brüssel IIb-VO8 bzw. des Art. 33 KSÜ – auf Maßnahmen zu beziehen, die aufgrund ihrer konzeptionellen Aus richtung stationär (über Tag und Nacht) phasenweise sowohl im Inland als auch im Ausland erbracht werden. - § 38 SGB VIII zielt insbesondere auf Unterbringungen im Ausland im Einrichtungskontext und damit auf statio näre Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 34, 35 SGB VIII ab. Darüber hinaus werden vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen weitere mögliche Hilfesettings im Ausland wie folgt eingeordnet: - 1.1. Erziehung in einer Tagesgruppe gemäß § 32 SGB VIII Teilstationäre Hilfen zur Erziehung gemäß § 32 SGB VIII sind von den Regelungen des § 38 SGB VIII nicht erfasst: Die Kinder und Jugendlichen kehren täg lich in den elterlichen Haushalt zurück, es handelt sich somit nicht um eine stationäre Unterbringung über Tag und Nacht im Ausland. Zugleich stellt die Elternarbeit einen wesentlichen Bestandteil dieser Hilfe zur Erzie hung dar. - - 1.2. Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII Bei Hilfen zur Erziehung gemäß § 33 SGB VIII handelt es sich um eine stationäre Unterbringung über Tag und Nacht. Eine Trägeranbindung i. V. m. dem Betrieb einer erlaub nispflichtigen Einrichtung sowie ein Fachkräftegebot sind bei Hilfen gemäß § 33 SGB VIII strukturell und kon zeptionell nicht vorgesehen. Die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Nr. 2a und Nr. 2c SGB VIII sind insofern in der überwiegenden Zahl der Fälle einer Hilfe gemäß § 33 SGB VIII im Ausland nicht zu gewährleisten. - - Es ist davon auszugehen, dass es weder Ziel des Ge setzgebers war, Hilfen gemäß § 33 SGB VIII im Ausland generell auszuschließen, noch diese von den Auslands maßnahmen auszunehmen. Insofern ist die Vorschrift hinsichtlich der Vorgaben des § 38 Abs. 2 Nr. 2a und Nr. 2c SGB VIII teleologisch zu reduzieren. Alle weiteren Vorgaben des § 38 SGB VIII – und damit auch die Melde pflichten gemäß § 38 Abs. 5 SGB VIII – finden Anwen dung (so auch Wiesner, Wapler, 2022, S. 887, Rn. 16). - - - - Zur Sicherung und Gewährleistung des Kindeswohls in Hilfen gemäß § 33 SGB VIII sind die Vorgaben der §§ 33, 37, 37a-c SGB VIII und Art. 43 AGSG einschlägig und insbesondere auch bei einer Unterbringung junger Menschen in einer Pflegefamilie im Ausland zu berück sichtigen. Diesbezüglich ist eine entsprechende räum liche Nähe zwischen fallzuständigem Jugendamt und Pflegefamilie erforderlich. - - 1.3. Kurzzeitige individualpädagogische Projekte gemäß §§ 34, 35 SGB VIII Die zeitliche Dauer der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen im Ausland ist vor dem Hintergrund der Vorgaben des § 38 SGB VIII, des Art. 82 Brüssel IIb-VO9 bzw. des Art. 33 KSÜ ohne Belang. Daher ist davon auszugehen, dass grundsätzlich auch bei einer kurzzei tigen Unterbringung10 die Vorgaben des § 38 SGB VIII umzusetzen sind und ein entsprechendes Konsultations verfahren zu durchlaufen ist (vgl. auch BAG Landesju gendämter, 2016, S. 28). - - - Die Regelungen des § 38 SGB VIII umfassen auch Jugendhilfemaßnahmen, die als Reiseprojekte in bzw. durch verschiedene Länder durchgeführt werden (so auch Wiesner, Wapler 2022, S. 887, Rn. 16). Bei diesen Jugendhilfemaßnahmen muss mit den Zentralen Behör den der betroffenen Staaten abgeklärt werden, ob ein Zustimmungs- und Konsultationsverfahren erforderlich ist. Dabei ist an jedes Land, durch das das Reiseprojekt führt, eine entsprechende Anfrage zu richten und ggf. ein eigenes Konsultations- und Zustimmungsverfahren durchzuführen. Die Jugendhilfemaßnahme im Ausland darf erst begonnen werden, wenn die zuständige Stelle im Ausland die Zustimmung erteilt hat oder die Notwen digkeit eines Zustimmungs- und Konsultationsverfah rens verneint hat. - - - 6 Die vom ausländischen Gericht ausgesprochene Kafala entspricht in islamischen Staaten dem Verfahren der legalen Kindesaufnahme und bezeichnet im famili enrechtlichen Sinne die Übernahme einer Vormundschaft und Pflegschaft für ein Kind. - 7 Bis 31.07.2022: Art. 56 Brüssel IIa-VO. 8 Bis 31.07.2022: Art. 56 Brüssel IIa-VO. 9 Bis 31.07.2022: Art. 56 Brüssel IIa-VO. 10 Bspw. bei kurzzeitigen einzelfallbezogenen erlebnispädagogischen Interventionen. I N F O

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