Mitteilungsblatt 01/2022

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 1 - 2 0 2 2 9 Die Beratungsgespräche Aufgrund gestiegener Anmeldezahlen wurden 2019 und 2020 weitere Beraterinnen und Berater im ZBFS – Bay erisches Landesjugendamt eingestellt. Um die vielen traumatischen Erlebnisse der Betroffenen sensibel aufzuarbeiten und behutsam unterstützen zu können, lag der Schwerpunkt hinsichtlich der Qualifikation der Beratungsfachkräfte in psychosozialer Beratungskom petenz. Zahlreiche Rückmeldungen der Betroffenen nach den Anerkennungs- und Beratungsgesprächen zeigen, wie wichtig diese Gespräche sind. Wird in den Beratungsgesprächen plausibel dargelegt, dass die Betroffenen während der Zeit ihrer Unterbringung Leid und Unrecht erlitten haben, kann die betroffene Person eine einmalige, personenbezogene Geldpauschale in Höhe von € 9.000,00 erhalten. Zusätzlich können bis zu € 5.000,00 ausbezahlt werden, wenn die betroffene Person zwischen ihrem 14. Lebensjahr und ihrer Volljäh rigkeit in den Einrichtungen gearbeitet hat, ohne dass dafür Sozialversicherungsbeiträge gezahlt wurden. In den Beratungsgesprächen berichten fast alle Perso nen von erlebter psychischer und physischer Gewalt. - - - - Beispiele für häufige und flächendeckende Gewalt erfahrungen: - • physische und psychische Gewalt, • sexuelle Übergriffe, • entwürdigende Strafpraktiken, wie Isolation, • erzwungene Arbeit, • emotionale Vernachlässigung, • medikamentöse Ruhigstellung, • Essenszwang, • mangelnde gesundheitliche Versorgung, • Unterbindung des Kontaktes zur Herkunftsfamilie Grundsätzlich sind die Schilderungen der Betroffenen wie auch ihre Biografien sehr unterschiedlich. Bei man chen sprudelt es nur so heraus und es besteht ein sehr großes Bedürfnis, das Geschehene endlich zu erzählen. Die Erzählungen sind dann lebhaft und oft auch emoti onal. - - Andere Betroffene sind sehr zurückhaltend, erzählten nur bruchstückhaft und hören nach kurzer Zeit auch wieder auf. Die Beraterinnen und Berater hören immer wieder Sätze wie: „Ich denke, es reicht, was ich erzählt habe. Ich möchte jetzt auch gar nicht mehr erzählen.“ Es scheint manchen Klientinnen und Klienten schwer zu fallen, sich an konkrete Erlebnisse zu erinnern. Das Heim und das Betreuungspersonal sind jedoch auch bei denjenigen mit „Erinnerungslücken“ negativ abgespeichert. Typische Aussagen sind dabei: „Nein, ich gehe nie auf Klassentreffen. Ich würde dort nie hingehen. Es war schrecklich! Wenn ich Fotos vom Heim sehe, fühle ich mich wie erstarrt. Ich fühle mich dann wieder wie das kleine Kind von damals. Noch bis heute wird mir plötzlich schlecht, wenn ich mit dem Auto an dem Heim vorbeifahre.“ Diese Ohnmachtserfahrung ist Teil der Aufarbeitung im Gespräch mit den Beraterinnen und Beratern. Dabei wird den heute Erwachsenen oft zum ersten Mal Glau ben geschenkt und deutlich gemacht, dass sie nicht selbst die Verantwortung für das ihnen zugefügte Leid tragen. Zahlreiche Betroffene machen dadurch eine positive Erfahrung in ihrem Leben. - Die Folgen für das Leben der betroffenen Personen sind sehr individuell und oft prägend. Sie berichten von Ängsten oder davon, dass sie sich schnell unterordnen. Auch Misstrauen oder psychosomatische Beschwerden werden als Folgen der Unterbringung genannt. Manche geben an, die Vergangenheit für sich bewältigt zu haben. Wieder andere würden gerne ihre Geschich te mit therapeutischer Hilfe aufarbeiten. Mit diesem Wunsch stoßen sie jedoch oft an Grenzen. Es gibt nur sehr wenige Therapiemöglichkeiten in psychosomati schen Kliniken oder bei Therapeutinnen und Therapeu ten, welche der Gebärdensprache mächtig sind. Viele, die in die Beratungsstelle kamen, fühlen sich deshalb auch weiterhin ungehört und mit ihrer Vergangenheit alleingelassen. - - - Betroffene, die heute noch in Einrichtungen leben, be finden sich im Gespräch oft in einem Loyalitätskonflikt. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind bis heute noch in Abhängigkeit der Einrichtung und berichten, dass sie alles gut finden. Nur sehr zögerlich erzählen sie von der Vergangenheit und trauen sich kaum etwas Negatives zu sagen. Behutsame Nachfragen ergeben oftmals, dass sie meist die gleichen schrecklichen Erfahrungen gemacht haben. - Und dann kam Corona … Die erste Infektionswelle traf die bayerische Anlauf stelle – wie alle anderen Geschäftsbereiche – komplett unvorbereitet. Insgesamt war die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstellen der Stiftung im Jahr 2020 durch die Corona-Pandemie stark geprägt und massiv einge schränkt. Der Zugang zu den zahlreichen Einrichtungen war für die Beraterinnen und Berater der Anlaufstelle nicht möglich. Im Frühjahr 2020 wurden sogar für zwei - - B E R I C H T E

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