Mitteilungsblatt_02_2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 02-2020 06 I N F O Grenzen religiöser Kindererziehung Diese Vielzahl existierender religiöser Strömungen und „Sekten“ sind oftmals neureligiös, esoterisch oder quasi-psychologisch geprägt, verstärkt aber auch von traditionalistischer und fundamentalistischer Herkunft. Gemeinsam ist vielen konfliktträchtigen religiösen Gruppierungen die besondere Bedeutung, die sie Kin- dern und ihrer Erziehung zuschreiben. Oft wird die noch „formbare“ kindliche Persönlichkeit als optimale Grundlage zur Beeinflussung hinsichtlich erwünschter Verhaltensweisen gesehen. Die grundgesetzlich garantierte Glaubensfreiheit und das Elternrecht schützen dabei zunächst die Möglichkeit der Eltern, ihre Kinder in religiöser und weltanschau- licher Hinsicht zu erziehen und ihre Glaubensvorstel- lungen weiterzugeben. Zusätzlich unterstreicht das Bundesverfassungsgericht, dass der Staat allen Reli- gions- und Weltanschauungsgemeinschaften neutral und tolerant gegenüberstehen muss. Doch auch unter Berufung auf eine „ungestörte Religionsausübung“ und die Glaubensfreiheit kann sich Erziehungsverhalten nicht schrankenlos den religiösen oder weltanschauli- chen Ansichten unterordnen. Auch wenn sie religiös motiviert ist, endet die elterliche Erziehungsfreiheit dort, wo die Grundrechte des Kindes beeinträchtigt werden. Das Kindeswohl ist damit der Maßstab, an dem sich el- terliches Handeln ausrichten muss und an dem sich im Zweifelsfall die tatsächlichen, konkreten Auswirkungen religiös oder weltanschaulich motivierter Einstellungen und Handlungen prüfen lassen müssen. Spezifische Problemlagen in der Jugendhilfe Die sich daraus in der Praxis ergebenden Fragestellun- gen stehen daher oftmals in Bezug zum Kindeswohl, der elterlichen Sorge und des Umgangs. Stehen ein oder beide Elternteile unter dem Einfluss einer prob- lematischen weltanschaulichen Gruppierung, können sich gravierende Auswirkungen auf das erzieherische Handeln und den Umgang mit Kindern ergeben, die bis hin zu Kindeswohlgefährdungen reichen können. Im Einzelfall spielen dabei auch Meinungsverschieden- heiten der Eltern über die Nutzung unterschiedlicher schulbezogener Angebote, „persönlichkeitsentwickeln- der“ Kurse bzw. „Coachings“ oder gar „therapeuti- scher“ Behandlungen für Kinder eine Rolle. Hier er- scheinen immer wieder Angebote mit problematischen weltanschaulichen Hintergründen und pädagogischen Methoden. Ein besonderer Blick ist auch auf die Eignungsprüfung von Pflege- und Adoptiveltern-Bewerbern zu legen. Grundsätzlich gilt, dass eine Mitgliedschaft in einer problematischen Gruppierung als solche kein Kriterium für oder gegen die Geeignetheit einer Person darstellt und rechtlich auch keines sein darf. Allerdings stellt sie einen Anlass zur besonders kritischen Überprüfung dar, ob möglicherweise negative Auswirkungen auf das er- zieherische Handeln zu befürchten sind. Es bedarf also grundsätzlich einer genauen Betrachtung des Einzel- falls, um die Erziehungshaltung und die Persönlichkeit von Mitgliedern, oftmals nur kleiner und undurchsich- tiger Gruppen, um „Gurus“, „Führer“, „Coaches“ und „Heiler“ objektiv einschätzen und Prognosen über das K O N F L I K T T R Ä C H T I G E W E L T A N S C H A U L I C H E G R U P P I E R U N G E N ZWISCHEN RELIGIONSFREIHEIT UND KINDER- SCHUTZ – EIN BERATUNGSANGEBOT FÜR FACH- KRÄFTE DER JUGENDHILFE Die zunehmende Pluralisierung von Glaubensvorstellungen und weltanschaulichen Deutungsmustern trägt zu vielfäl- tigen Möglichkeit bei, sich auch außerhalb eines traditionellen, religiösen Kontextes zu bewegen. Es entwickeln sich unterschiedlichste Szenen, Bewegungen, Gemeinschaften und firmenartige Anbieter mit mehr oder weniger extremen Lehren und Aktivitäten. Das Neutralitätsgebot des Staates hat dabei dem Grundrecht der Religionsfreiheit umfassend zu entsprechen – dennoch hat das staatliche Wächteramt tätig zu werden, wenn Grundrechte von Kindern und Jugendlichen eingeschränkt oder verletzt werden. Bezüglich dieser Problematik bietet das Landesjugendamt den Fach- kräften spezifische Beratung und Unterstützung an.

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