Mitteilungsblatt 02/22

Zentrum Bayern Familie und Soziales Bayerisches Landesjugendamt MIT TEILUNGS BLATT 02 2022 THEMA 02 Das Arbeiten der Jugendsozialarbeit an Schulen unter Pandemiebedingungen Info 12 45 Jahre Bayerisches Landesjugendamt 15 Ombudschaftswesen in Bayern 18 Bayerisches Familiengeld: Keine Anrechnung bei Jugendhilfeleistungen nach § 19 SGB VIII 19 Warnung vor verdeckter Scientolgy- Werbeaktion mit Kinderbroschüre 20 StMAS: Die Sensibilisierungsmaßnahme „Radikalisierung hat kein Geschlecht“ 22 Die Aktion Jugendschutz: Landesarbeitsstelle Bayern e. V. nähert sich dem Thema Inklusion an 25 BAG Landesjugendämter: Gesamtvorstand und Vorsitzender Lorenz Bahr wiedergewählt

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 2 D A S A R B E I T E N D E R J U G E N D S O Z I A L A R B E I T A N S C H U L E N U N T E R P A N D E M I E B E D I N G U N G E N „ES HAT SICH GRUNDSÄTZLICH ERST MAL ALLES GEÄNDERT!“ T H E M A Von 0 auf 100 und noch mehr Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat im Frühjahr 2020 den Alltag der Menschen verändert. In allen Bereichen des täglichen Lebens hat die Pandemie die Menschen vor große Herausforderungen gestellt. Zu Beginn der Pandemie hat die Gesellschaft den wachsamen Blick auf die jungen Menschen verloren, die Corona-Pandemie ist in den Fokus gerückt und hat dadurch keinen Platz für andere wichtige Themen gelassen. Die Pandemie hat nicht haltgemacht vor den Systemen Jugendhilfe und Schule und ein bis dahin scheinbar stabil stehendes Konstrukt wurde durch die Auswirkungen des Ausbruchs des SARS-CoV-2-Erregers ins Wanken gebracht (vgl. AGJ, 2020). Gerade im Bereich der Jugendhilfe wurde schnell von Handlungsunfähig keit und Stillstand gesprochen (vgl. Smessaert, 2020). Eine große Herausforderung stellte dabei der Zugang der Sozialarbeitenden zu den jungen Menschen und deren Familien dar. Die Pandemie traf die Jugendhilfe vermeintlich vollkommen unvorbereitet und zwang sie somit, ihre derzeitigen Handlungsstrategien und Verfahrenswege zu überdenken, zu bewerten und neu zu sortieren. - Das Statistische Bundesamt veröffentlichte in einer Pressemittteilung im Juli 2021 seine Statistik zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Jugend hilfe. Hervorgehoben wurde dabei, dass deutlich weniger Hinweise zur Gefährdung des Kindswohls aus der Schule kamen als in den Vorjahren, es aber im Gegensatz dazu einen Höchststand an Kindswohlge fährdungen im Jahr 2020 gab (vgl. DESTATIS, 2021). Waren vor Ausbruch der Pandemie die standardisierten Verfahrenswege bei Kindswohlgefährdungen klar zwi schen Schule und JaS abgesprochen und die jeweiligen Zuständigkeiten geklärt, entstand durch die Lockdowns und das Homeschooling ein Riss in diesem Netz. Dieser Riss veranschaulicht, wie wichtig die Verortung und die Präsenz der Jugendhilfe an der Schule ist, um eben ge nau diese Lücken an der Schnittstelle Jugendhilfe und Schule füllen zu können. Ein anderer Aspekt ist die Dis tanz-Beschulung der Schülerinnen und Schüler in den Lockdownphasen. Sowohl Lehrkräfte als auch Fachkräf te der Jugendhilfe verloren in dieser Zeit den „Zugriff“ auf die jungen Menschen und deren Familien. - - - - ­ - Was hat sich in der Arbeit der Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) während der Corona-Pandemie verändert? Welche Probleme ergaben sich daraus für die JaS? Welche Lösungsansätze und Strategien konnte die JaS in der Pandemie entwickeln und wie wirken diese über die Pandemie hinaus? Die qualitativ-partizipative Studie1 „Das Arbeiten der Jugendsozialarbeit an Schulen unter Pandemiebedingungen“ erforscht die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die JaS. 1 Die Studie entstand im Zuge einer Bachelorarbeit an der OTH Regensburg. Begleitet wurde die Studie von Prof. Dr. Martina Ortner. Verfasser der Studie ist Martin Reber. „Darauffolgende Lockdowns und die verschiedenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beherrschen seither die öffentliche Diskussion in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß, andere gesellschaftspolitische Herausforderungen und sog. „Megathemen“ sind dabei weitgehend in den Hintergrund getreten. Dies gilt z.B. auch für die Themen Klimawandel, Migration, Digitalisierung oder Kriminalität – Themen, die immer sehr stark mit „Jugend“ und deren Bedingungen des Aufwachsens verknüpft sind. Bestimmend sind vielmehr „Corona“, die Frage, wie wir als Gesellschaft aus der Krise herauskommen und – zumindest zeitweise – immer wieder auch der Blick auf die junge Generation bzw. auf Fragen der Bildung und Betreuung“ (Holthusen u. a. 2021, S. 52).

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 3 T H E M A An der Schnittstelle Jugendhilfe und Schule ist die Ju gendsozialarbeit an Schulen (JaS) in Bayern angesiedelt. Die JaS gilt als die intensivste Form der Zusammenar beit von Jugendhilfe und Schule. Sie leistet schnelle und individuelle Hilfe für eine Zielgruppe, die nach § 13 SGB VIII fest definiert ist (vgl. Lerch-Wolfrum, Renges, 2014, S. 43). Zur Zielgruppe der JaS gehören sozial be nachteiligte und/oder individuell beeinträchtigte junge Menschen, die an den Schulen, an denen die JaS-Fach kräfte tätig sind, beschult werden (vgl. Lerch-Wolfrum, Renges, 2014, S. 21). - - ­ - Da die Fachkräfte der JaS an der Schule tätig sind und täglich mit den jungen Menschen in Kontakt stehen, wa ren und sind gerade sie in Pandemiezeiten ein wichtiger Ansprechpartner für die Eltern und/oder Erziehungsbe rechtigten, die Lehrkräfte der Schule und die Fachkräfte der öffentlichen Jugendhilfe vor Ort, sprich der Bezirks sozialarbeit (BSA) der lokalen Jugendämter. In der Regel nehmen die Fachkräfte der JaS in der Schu le Kontakt zu den jungen Menschen auf. Der Lockdown im Frühjahr 2020 unterband diese Möglichkeit der Kon taktaufnahme und entzog den JaS-Fachkräften somit eines ihrer wirkungsvollsten Instrumente: das niedrig schwellige Beratungsangebot. - - - - - - Die Fachkräfte der JaS befanden sich somit zu Beginn der Pandemie in einer neuen Situation. Ihr Auftrag war stets klar formuliert, nämlich Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen an der Schule zu suchen, Aufträge zu klären und gegebenenfalls Hilfen anzubieten oder an andere Stellen zu verweisen. Aber wie die Verbindung herstellen, wenn die jungen Menschen nicht mehr am Ort Schule verweilen? Aufgrund strenger Datenschutz richtlinien konnten die JaS-Fachkräfte nicht auf die So zialdaten der Heranwachsenden, die an den Schulen gespeichert sind, zugreifen. Hinzu kamen die Kontakt beschränkungen, die es den Fachkräften auch schwierig machten und machen, Verbindung zu den ihnen bekann ten jungen Menschen aufzunehmen, beziehungsweise aufrechtzuerhalten. - - - - Da auch die technische Ausstattung der Fachkräfte nicht auf ein Arbeiten unter Pandemiebedingungen ausgerichtet war, mussten sie auf andere Alternativen zurückgreifen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Gerade die Einzelfallarbeit und das Beratungssetting mussten dabei neu gedacht und verändert werden. Die Beratung in Präsenz und digital stellten dabei große Hürden für die JaS-Fachkräfte dar. Die Kooperation mit den Lehrkräften an den Schulen erlebte in der Pandemie eine große Veränderung: Wa ren die Lehrkräfte sonst täglich für die JaS-Fachkräfte erreichbar, so war es in den Zeiten der Lockdowns ­ schwierig, Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Die Lehrkräfte waren in diesem Zeitrum oftmals nicht an der Schule präsent, sondern arbeiteten aus dem Homeoffice. Somit brach auch hier eine der Konstanten in der Arbeit der JaS weg. Die Studie setzt sich mit der These „Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich die Arbeit/das Arbeitssetting der Jugendsozialarbeit an Schulen verändert. Das Bera tungssetting ist davon besonders betroffen“ auseinan der, erhellt sie aus unterschiedlichen Perspektiven und versucht, diese These zu stützen oder zu widerlegen. Was hat sich in der Arbeit der JaS während der Corona-Pandemie verändert? Welche Probleme ergeben sich daraus für die JaS? Welche Lösungsansätze konnte die JaS in der Pandemie entwickeln, welche Strategien hat sie entwickelt und welche Vorgehensweisen braucht es zukünftig? Die Jugendsozialarbeit an Schulen gibt es nunmehr seit fast 20 Jahren und die Herausforderungen der Pande mie stellten das Arbeits- und Beratungssetting und die Angebotsstruktur der JaS auf den Prüfstand. - - - Methode der Grounded Theory, eigene Darstellung von Martin Reber

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 4 T H E M A - Methode und Vorgehensweise der Untersuchung Bei der Studie zur Arbeit der JaS unter Pandemiebe dingungen handelt es sich um eine qualitativ-partizipa tive Studie, die nach den Prinzipien der Methodologie der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin, 1996, S. 3) erstellt wurde. Als Grundlage für die Datenerhebung wurde im September 2021 ein Expertinnen- und Exper ten-Workshops mit sechs Fachkräften der Jugend sozialarbeit an Schulen durchgeführt. Die Teilnehmen den kamen aus vier unterschiedlichen Regierungsbe zirken Bayerns und bilden einen Querschnitt aus allen Schultypen, an denen die JaS verortet ist. - - - Ist die JaS an den Herausforderungen der Pandemie ge scheitert oder konnte sie von der Krise profitieren und ihren Stellenwert gegenüber Jugendhilfe und Schule sogar steigern? - - - - - Die Methode Die Lehre der Grounded Theory diente als Grundlage für die Auswertung2 der Inhalte des Workshops. Der Grounded-Theory-Ansatz ist eine qualitative Forschungs methode aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich, um Daten systematisch sammeln und auswerten zu können. Ziel hierbei ist die Generierung einer Beschreibung, Typen oder Theoriebildung (vgl. Strauss/Corbin, 1996, S. 43). - - Typen Durch die Methode der Grounded Theory wurden die im Workshop verbalisierten Erfahrungen, Probleme und Lö sungen zu Phänomenen und Kategorien verdichtet. So konnte eine sehr große Zahl an Aussagesätzen nachvoll ziehbar und kohärent zu einer überschaubaren Anzahl an Aussagen verdichtet werden. In einem Mosaik mit tau senden kleinen Steinen konnte so ein Muster herausge arbeitet werden, das dem Betrachter unterschiedliche Perspektiven auf die Aussagen erlaubt. Insgesamt werden hierbei fünf Typen skizziert: die Krea tiven, die Verzweifelten, die Problemlöserinnen und Pro - - - - Um Daten für die Bildung einer neuen Theorie zu gene rieren, wurde ein Workshop mit Expertinnen und Exper ten der Jugendsozialarbeit an Schulen durchgeführt der Aufgrund der Corona-Pandemie als Online-Veranstaltung stattfand. Der Workshop wurde aufgezeichnet und in der Auswertungsphase der Studie nach Dresing und Pehl (2012) vollständig transkribiert. Das Transkript ­ - blemlöser, die Methodenmacherinnen und Methoden macher und die Visionärinnen und Visionäre. Wichtig ist dabei, dass diese Typen bei den einzelnen Teilnehmen den nicht in Reinform auftreten, sondern eine Person mehrere Typen in ihren Aussagen verkörpern kann. Die nachfolgenden Handlungstypen werden aus vier unterschiedlichen Perspektiven erhellt. - - - Wie ist die Ausgangssituation zu Beginn der Pandemie? - Welche belastenden Faktoren haben für die JaS eine Rolle gespielt? - Wie waren die Fachkräfte strukturell eingebettet, d. h. erhielten sie Unterstützung oder waren sie auf sich alleingestellt? - Welche Handlungsstrategien konnten sie entwickeln und was bedeutete dies in der konkreten Umsetzung ihrer Arbeit? Typ 1: Die Kreativen Belastende Faktoren, wie die Isolation vom Kollegium, der Einsatz an anderen Stellen, die Angst vor der Zukunft und auch fehlendes Equipment stellten die Fachkräfte vor große Herausforderungen zu Beginn der Corona-Pandemie. Sind die Fachkräfte eingebettet in einen funktionieren den Arbeitskontext, erfahren sie also Unterstützung durch ihre Vorgesetzten und haben sie ein gutes Koope rationsverhältnis mit der Schule und eine enge Koope ration mit dem Jugendamt, können sie trotz pandemi scher Bedingungen wirksam in ihrer Tätigkeit sein. Die ursprünglichen Bedingungen rücken für die Kreativen in den Hintergrund und sie beginnen, Handlungsstrategien aus den noch vorhandenen Ressourcen zu entwickeln. - - - - Das Arbeiten von zu Hause aus, sehen sie als Chance, von einem anderen Ort ihre Aufgaben weiter erledigen zu können, um nicht durch die veränderten RahmenH.: „Aber ich habe tatsächlich jeden meiner Ein zelfälle einzeln besucht. Zum Beispiel innerhalb von zwei Wochen stand ich überall auf der Matte. Weil das aber auch ging. Meine Chefin hat mir die Rückendeckung gegeben, dass ich das durfte. Das war da gar nicht so klar. Wir haben Verschickungen gemacht. Wir haben Notfall-Pakete an die Kiddies geschickt. Also auch mit Süßigkeiten, aber vor allem mit Notfall-Nummern, mit Kontaktmöglichkei ten.“ (Z. 285-291) - - 2 Eine genaue Beschreibung der Methode und der einzelnen Auswertungsschritte findet sich in der Bachelorarbeit von Martin Reber. Diese ist online abrufbar unter: https://bit.ly/3mKNWDP

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 5 T H E M A bedingungen in die Handlungsunfähigkeit abzugleiten. Früh denken sie über die Möglichkeiten der Beratung in Präsenz unter Einhaltung der Abstandsregeln nach und entwickeln Konzepte, unter denen Kontakt zu den jungen Menschen und deren Familien möglich ist. Sie sind von Beginn an daran interessiert, frühzeitig Kontakt zu ihren Einzelfällen aufzunehmen. Durch die Unterstützung, die sie durch ihre Vorgesetzten erfahren und den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen via Telefon und über digitale Plattformen, können sie dafür Lösungen finden. Die Kreativen sehen die Veränderungen, die sich durch die Pandemie für ihr Arbeitssetting ergeben, als Chance. Sowohl durch ihr offenes Herangehen an für sie neue Methoden der Beratung in Präsenz als auch der kreati ven Umsetzung der Beratung über das Telefon und/oder digitale Plattformen sorgen sie dafür, dass die Jugend sozialarbeit an Schulen sowohl im System Schule als auch im System Jugendhilfe an Bedeutung gewinnt. Die Kreativen bedienen sich bei ihrer Methodenwahl sowohl an den Werkzeugen der Sozialen Arbeit als auch an den Werkzeugen aus anderen Disziplinen und Professionen. - - Typ 2: Die Verzweifelten Durch die Corona-Pandemie und die darauffolgenden Lockdowns geraten die Verzweifelten in eine Sinnkri se. Ist die Arbeit unter diesen Voraussetzungen in der JaS noch möglich? Wie soll das weitergehen? Was ist, wenn ich an Corona erkranke oder selbst jemanden anstecke? - Durch die hohen Belastungen, nicht nur im Arbeitsalltag, fühlen sie sich handlungsunfähig. Das zunehmende Kon fliktpotenzial bei den jungen Menschen und die Arbeit mit problematischen Eltern stellt sie vor Herausforderungen, denen sie sich nicht mehr gewachsen fühlen. - Die permanenten Veränderungen im Corona-Regelwerk stellen für sie schon nach kurzer Zeit einen Dschungel aus Vorschriften und Empfehlungen dar, den sie nur schwierig überblicken können. Die anfängliche Isolation von ihrem Netzwerk und den Kolleginnen und Kollegen erhöht den Leidensdruck. Fehlendes Equipment, aber auch das fehlende Know-how im Umgang mit digitalen Werkzeugen erschweren ihre Situation zunehmend. Von den fachlichen Leitungen fühlen sie sich nur wenig unterstützt und alleingelassen. Durch die zeitweise Versetzung in andere Bereiche der Jugendhilfe fühlen sie sich gegängelt und nicht wertgeschätzt. Sie hinter fragen die Bedeutung und den Stellenwert der JaS. Die Arbeit im Homeoffice führt dazu, dass sie den Kontakt zu ihren Hauptkooperationspartnerinnen und -partnern, den Lehrkräften, schon früh in der Pandemie verlieren. Ihren Fokus legen sie auf das Finden von Lösungen, scheitern aber immer wieder aufgrund fehlender Kennt nisse im digitalen Bereich. Ihr Lieblingswerkzeug, das Beratungssetting in Präsenz, können sie anfänglich nicht einsetzen. Die Kontaktaufnahme zu den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern und/oder Erziehungsbe rechtigten erweist sich durch die strengen Datenschutz richtlinien als schwierig. Dies stellt für sie eine zusätzli che Belastung dar. - - - - - Die Verzweifelten legen all ihre Energie auf das schnelle Zurückkehren an den Ort Schule. Die Einzelfallarbeit und Beratung in Präsenz haben dabei oberste Priorität für sie. Die Reaktivierung der Netzwerke und Koopera tionspartnerinnen und -partner und der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen steht für sie ebenfalls im Vordergrund. - Typ 3: Die Problemlöserinnen und Problemlöser Probleme sind Herausforderungen und diese gilt es zu bewältigen – das ist der Leitsatz der Problemlösenden und Problemlöser. Angefangen bei den Grundvorausset zungen, also den ursächlichen Bedingungen zu Beginn der Pandemie, bis hin zu den Konsequenzen für das zukünftige Handeln gehen sie proaktiv auf alle Heraus forderungen zu. - - Belastungssituationen bewältigen sie durch ein kollegi ales Miteinander. Die Problemlösenden sind von Beginn an gut vernetzt und lassen sich von anfänglichen Kom - - L.: „Ja, am Anfang war schon einfach die Angst. Was ist das jetzt? Ist es wirklich gefährlich? Ist es nicht gefährlich? Kann ich Hausbesuche machen? Passiert mir was? Ich habe selber auch Asthma und von daher war ich auch so ein bisschen verunsi chert. Was kann ich denn machen? Wo muss ich auf mich aufpassen? In dieser Zeit fand ich am belastendsten, immer am Ball zu bleiben.“ (Z. 592-597) - T.: „… das erste, was ich da gemacht habe, war, dass ich mich in verschiedenen Klassenzimmern fo tografiert habe und einen schönen Brief geschrieben habe, den dann die Lehrer wiederum an die Kinder weitergegeben haben mit der Bitte, sie sollen sich unter folgender Rufnummer, Mail etc. melden, …“ (Z. 265-269) -

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 6 T H E M A munikationsproblemen nur wenig irritieren. Die Isolation empfinden sie als Möglichkeit, kurz innezuhalten, um für gerade anstehende Problemstellungen Lösungsansätze finden zu können. Fehlendes Equipment ersetzen sie zeitweise unbürokra tisch mit privaten Geräten. So machen sie zum Beispiel das anfängliche Arbeiten im Homeoffice mit dem pri vaten Rechner möglich. Ebenso scheuen sie sich auch nicht, mit dem privaten Handy über WhatsApp Kontakt zu den jungen Menschen zu halten. Rechtliche Grenzen, die der Datenschutz aufzeigt, werden von ihnen ge dehnt und/oder überschritten. Der Datenschutz stellt für sie eine Hürde dar, die aber überwindbar ist. Gestützt werden sie in ihrem Handeln von einem offe nen Arbeitsklima, einer unterstützenden Leitung und einer gelingenden Kooperation mit der Schulleitung und den Lehrkräften. - - - - Die Problemlöserinnen und Problemlöser fokussieren sich in ihren Handlungsstrategien an den Gegebenhei ten, die ihnen das aktuelle Pandemiegeschehen vorgibt. Sie arbeiten in den Lockdowns von zu Hause aus. In den Phasen der Lockerung arbeiten sie an der Schule oder suchen den Kontakt zu den Schülerinnen und Schüler unter Wahrung der Distanzregeln. Konsequent arbeiten sie an Lösungen für die digitale Beratung der jungen Menschen und deren Familien. Um ihre Einzelfälle besser begleiten zu können, arbeiten sie eng mit der Schule zusammen und können dadurch Lösungen finden, um den Kontakt zu ihrer Klientel konti nuierlich aufrechtzuerhalten. - - Typ 4: Die Methodenmacherinnen und Methodenmacher Die JaS bedient sich in ihrer täglichen Arbeit der verschie densten Methoden aus den unterschiedlichen Bereichen der Sozialen Arbeit. Fallen Zugangsmöglichkeiten zum Beispiel durch verhängte Kontaktverbote und Distanzre geln für den Kontakt mit der Zielgruppe weg, spielen die Methodenmachenden eine ausschlaggebende Rolle. - - Die strukturellen Probleme, die durch die Pandemie ent stehen, rücken für sie dabei in den Hintergrund. Sie fokussieren sich darauf, den bereits bestehenden Methodenpool auf die jeweilige Situation anzupassen, beziehungsweise diesen an die durch die Pandemie entstandenen Gegebenheiten zu adaptieren. Die Metho denmachenden verändern gezielt ihr Methoden-Setup, nehmen neue Impulse auch aus anderen Professionen auf und setzen diese für ihren Arbeitsbereich um. Sie sind immer auf der Suche nach neuen Methoden und probieren diese gerne aus. Das Try-and-Error-Prinzip, also das Lernen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum, ist ihr Credo. Fehlschläge bei der Methodensuche neh men sie dabei bewusst in Kauf. Sie scheuen auch nicht davor zurück, eigene Methoden zu entwickeln und diese in ihr Arbeitsfeld einzubringen. - - - Ein enger Kontakt zur Leitung und der regelmäßige Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der Ju gendhilfe ist für die Methodenmacherinnen und Methodenmacher grundlegend. Sie sind Teamplayer und darauf angewiesen, von ihren Kolleginnen und Kollegen Rückmeldung über deren momentanen Arbeitsstatus und Informationen zu erhalten, was für diese gerade im Vordergrund ihrer täglichen Arbeit steht. Gerne setzten sie sich mit den Problemstellungen ihrer Kolleginnen und Kollegen auseinander und lassen diese in ihr methodisches Denken einfließen. Sie sind offen für den Dialog: Die Methodenmachenenden teilen ihre Ergebnisse gerne mit anderen, fordern diese dazu auf, Neues auszuprobieren und die Erfahrungen dabei mit ihnen zu diskutieren. Im System Schule sind die Methodenmachenden gut vernetzt. Sie stehen im regelmäßigen Kontakt mit den Lehrkräften und der Schulleitung. Beide Seiten sind an einem regelmäßigen Austausch interessiert. In der Pandemie profitieren beide Systeme vom Know-how des jeweils anderen. Konsequent setzen sie sich mit den Problemstellun gen der Methoden in Präsenz, der digitalen Beratung und der Entwicklung neuer wirksamer Methoden in Pandemiezeiten auseinander. - - Typ 5: Die Visionärinnen und Visionäre Die stetige Weiterentwicklung der JaS, auch unter Pande miebedingungen, steht für die Visionärinnen und Visionäre an oberster Stelle. Dabei verlieren sie ihre Zielgruppe nicht aus den Augen, sondern sind an einer nachhaltigen Zusammenarbeit mit ihrer Klientel interessiert. Gerade in Zeiten der Distanz ist es für sie von Bedeu tung, ihre Angebote transparent zu gestalten und die Zugänge zu diesen für die Heranwachsenden und deren - - A.: „Und die neuen Methoden! Dass es eher ein niederschwelliges Angebot ist oder auch, dass man mal weg von der Schule ist, also auf dieses Walk and Talk oder Unternehmungen, rausgehen zum Sporteln oder man holt sich halt mal ein Eis. Dass es irgendwie nicht so mit der Schule immer verbunden ist. Und ja, auch das Nachrichten schrei ben, chatten, wo die Jugendlichen sich auch oft aufhalten, dass man da auch den Zugang hatte.“ (Z. 892-898) -

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 7 T H E M A Eltern und/oder Erziehungsberechtigten leicht zugäng lich zu machen, sie also teilhaben zu lassen. Wichtig ist dabei für sie, einfache Sprache einzusetzen und barrierefreie Zugänge zu schaffen, um kognitive und sprachliche Barrieren zu überwinden. Sie wissen um die Defizite der Eltern im Umgang mit den digitalen Medien und setzen dabei auf Schulungen für die Eltern und/oder Erziehungsberechtigten, die den Zugang für eine digitale Beratung auch zukünftig erleichtern werden. „Keine Schule, keine Kinder“ ist für sie eine inakzep table Aussage. Sie kennen die Stärken der JaS und deren Möglichkeiten, Zugänge zu den Schülerinnen und Schülern zu erlangen. Die Visionärinnen und Visionäre haben den gesamten Kontext der Jugendhilfe im Blick. - - Sie wissen um die Not der Jugendämter bei der Arbeit mit dem Klientel in Pandemiezeiten. So können sie Angebote erarbeiten, wie die JaS unterstützend tätig werden kann, um somit das Helfersystem der Jugend hilfe aufrecht zu erhalten und es zu stützen. Auch in Zeiten des Lockdowns erkennen sie in der Einzelfallarbeit das große Potenzial der jungen Men schen und deren Familien. Nicht das negative Erleben der Pandemie steht für sie im Vordergrund, sondern das Wachsen an der Pandemie. Die Visionärinnen und Visionäre benötigen ein stabiles Unterstützersystem aus Leitung und Kollegium, um wirksam zu sein. Sie kooperieren mit der Schulleitung und den Lehrkräften, erkennen und akzeptieren das Ex pertenwissen der jeweiligen Kooperationspartnerinnen und -partner. Sie sehen die Schule als ein die Jugendhil fe (unter)stützendes System. In ihrer täglichen Arbeit setzen sie dabei auf die Methodenvielfalt in der Jugendsozialarbeit an Schulen. Ihre Offenheit für adaptierte oder neue Methoden in der Gruppenberatung und der Einzelfallarbeit lässt sie dabei gewinnbringend mit der Zielgruppe interagieren. Sie hinterfragen das JaS-Setting in der Pandemie und geben durch ihr Vorwärtsdenken neue Impulse für Veränderun gen, auch auf konzeptioneller Ebene. Neben der alltäglichen Arbeit ist das primäre Ziel der Vi sionärinnen und Visionäre die Zukunftsfähigkeit der JaS. - - - - - - Die Theorie Bei der Analyse der Aussagen, der Verarbeitung in Phänomene und Konzepte und der Typisierung werden mindestens drei theoretische Muster erkenn-, begründ und belegbar. Diese werden hier dargestellt. - Die Pandemie als Brennglas Die Pandemie hat, wie in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens (z. B. Versorgungsketten, medizini sche Notfalleinrichtungen, Katastrophenschutz), auch in der Jugendsozialarbeit an Schulen bestehende Schwä chen wie in einem Brennglas sichtbar werden lassen. Zum einen war die Digitalisierung in den Schulen offen sichtlich noch nicht bei der JaS angekommen. Weder die Ausrüstung noch die Kenntnisse der JaS waren vor Beginn der Pandemie auf eine nicht mehr analoge Arbeit mit den jungen Menschen ausgerichtet. So berichteten fast alle Teilnehmenden über einen Mangel an Laptops, Diensthandys und die fehlende Erfahrung mit Online-Tools. Durch wenig agile Dienstanweisungen und veraltete Datenschutzbestimmungen war die JaS nicht in der Lage, schnell und wirksam auf die veränderte Situation zu reagieren: Allgemein benutzte Kommunikationsplatt formen wie WhatsApp konnten nicht genutzt werden, es gab kaum Planungen und Ausrüstung für das Home office etc.. - - - - ­ Durch die datenrechtliche Trennung von der Schule hat ten die meisten Teilnehmenden keine aktuellen Kontakt daten von den Kindern und Jugendlichen und konnten diese so nicht erreichen. Die unsichtbare Wand zwischen Schulfamilie und JaS sorgte dafür, dass zu Beginn der Pandemie zum einen die JaS-Mitarbeitenden isoliert waren und zum anderen starke Energieverluste und wenig Synergien entstanden – in einer Zeit, in der alle Betroffenen von gesammelter Energie und Synergien stark profitiert hätten. - - Der Aufstieg der JaS in der Pandemie War JaS vor der Pandemie zunächst ein ungeliebtes Stief kind, in seiner Funktion als Scharnier zwischen Jugendhilfe und Schule, im System Schule, so hat sich ihr Status in der Schulfamilie während der Pandemie stark verbessert. Durch ihre große Zuverlässigkeit, ihre dauerhafte Präsenz an der Schule und dem damit einhergehenden stabilen Kontakt zu der Zielgruppe hat sich die JaS wäh rend der Pandemie einen hohen Stellenwert im System Jugendhilfe erarbeitet. Die JaS zeigte gerade in den Lockdownphasen eine hohe Wirksamkeit und wurde somit zu einem unver zichtbaren Kooperationspartner für die Bezirkssozialar - - - - T: „Das war das größte Problem für mich in der ersten Lockdown-Zeit. Wie kriege ich den Kon takt zu den Jugendlichen? Wie schaffe ich es bei den Vorgesetzten das Bewusstsein, dass die das einfach mal checken, dass es nicht bedeutet keine Schule, keine Schüler!“ (Z. 252-256) -

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 8 T H E M A beit/dem allgemeinen sozialpädagogischen Fachdienst der Jugendämter der Kommunen und der Landkreise in Bayern. Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie für die Post-Corona-Zeit Praktisch alle Teilnehmenden diagnostizierten die Ent wicklungen innerhalb der JaS während Corona auch als Chance für die Zeit nach der Pandemie. Der Ausgleich der sichtbar gewordenen Schwächen durch informelle und formelle Regeln, Investitionen, neue Kompetenzen und neue Lösungen wird die JaS in der Zeit nach der Pandemie schlagkräftiger und effektiver machen, so das Fazit der Teilnehmenden und des Verfassers. - Die Interpretation Wie vorangehend beschrieben ist die folgende These für diese Studie untersuchungsleitend:„Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich die Arbeit/das Arbeitssetting der Jugendsozialarbeit an Schulen verändert. Das Bera tungssetting ist davon besonders betroffen“. Die Interviews mit den Teilnehmenden und die Verdich tung der Aussagen in Phänomene, Kernkategorien, Hand lungstypen und Theorie machen deutlich, dass die These auf zwei Ebenen differenziert werden muss. Zu unterschei den sind dabei die theoretisch-konzeptionelle Ebene und die operative Ebene. Hinzu kommen die Faktoren des individu ellen Erlebens der Corona-Pandemie der JaS-Fachkräfte. - - - - - Theoretisch-konzeptionelle Ebene der JaS Auf die theoretisch-konzeptionelle Ebene der JaS hat Corona wenig Auswirkungen. So bleiben die Beratung der jungen Menschen und deren Eltern und/oder Erzie hungsberechtigten, die Einzelfallarbeit und die sozial pädagogische Gruppenarbeit Kerntätigkeiten der JaS – auch während und nach der Pandemie. Das Gleiche gilt für die Kooperation mit der Schule und den Fach kräften der Jugendämter. Auch ihre originäre Funktion als Scharnier zwischen Jugendhilfe und Schule erfüllt die JaS weiterhin. Rechtlich ändert sich, auch nach der SGB-VIII-Reform, nichts am Status der Jugendsozialar beit an Schulen: Sie ist und bleibt weiterhin verortet im Paragraf 13 des achten Sozialgesetzbuchs. Handlungsbedarf auf konzeptioneller Ebene besteht beim Kinderschutz, dem damit verbundenen Wächter amt und der Sicherstellung des Schutzauftrages bei Kindswohlgefährdungen. In Zeiten der Pandemie hat die Jugendsozialarbeit an Schulen gerade in diesem Bereich mehr Verantwortung übernehmen müssen. Die wichtige Arbeit, die die JaS in diesem Bereich seit 2020 leistet, wird sich, so die Hoffnung des Verfassers, in erwei - - - - - - terten Kompetenzfeldern und höherer Kooperation mit anderen Stellen manifestieren. Dabei bleibt das Jugendamt nach wie vor die zentra le Steuerungsinstanz beim Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII. Für das konkrete Handeln braucht es neue Absprachen zwischen der Bezirkssozialarbeit und der Jugendsozialarbeit an Schulen. In diesen müssen kon krete Verfahrenswege benannt werden, die auch unter Pandemiebedingungen den Kinderschutz gewährleisen. Diese Verfahrenswege müssen neu konzipiert und in den Förderrichtlinien für die JaS festgelegt werden. Bei der großen Kontinuität im theoretisch-konzeptio nellen Bereich bedeuten gerade die Veränderungen im Bereich des Kinderschutzes für die JaS einen Zuwachs an Verantwortung. Wie mit diesem Zuwachs und dem damit einhergehenden Mehraufwand zukünftig umzuge hen ist, muss an anderer Stelle diskutiert werden. - - - - Operative Ebene des Handelns der JaS Auf der operativen Ebene sind unter Pandemiebedin gungen grundlegende Veränderungen festzustellen. Vor Corona war das Beratungssetting ausschließlich auf die Beratung „face-to-face“ und in Präsenz ausgelegt. Und zwar ausschließlich in der Schule. Und fast ausschließ lich während der Schulzeiten. Durch und während der Pandemie mussten die Fachkräfte ihr Beratungssetting immer wieder neu strukturieren, um- und ausbauen. Veränderungen ergaben sich dabei in der Beratung in Präsenz. Durch Maskenpflicht und Abstandsregeln werden die Beratungsbedingungen für die Fachkräfte ebenso erschwert wie für die zu beratenden Klientinnen und Klienten. Gerade der teilweise Verlust der Mimik durch das Tragen der Maske fordert von den JaS-Fach kräften viel Gespür und Empathie für das Gegenüber, um eine konstruktive Beratungssituation zu gestalten. In Pandemiezeiten bleibt die Beratung in Präsenz unter Wahrung der Abstandsregelungen auch weiterhin eine Herausforderung für die JaS-Fachkräfte und verändert nachhaltig das Beratungssetting. - - - Durch die dem Pandemiegeschehen geschuldeten Lockdowns mussten die JaS-Fachkräfte neue Strategien entwickeln, um mit den jungen Menschen und deren Eltern und/oder Erziehungsberechtigten in Kontakt zu treten. Aus dieser Herausforderung entwickelten sich zwei neue, grundlegende Bausteine für das Portfolio der JaS: Die Beratung in Distanz und die Hausbesuche. Diese werden zukünftig nicht mehr aus dem Angebots katalog der JaS wegzudenken sein. Die Beratung in Distanz über digitale Medien gehörte bisher nicht zu den Angeboten der JaS. Dabei waren an fangs für die Fachkräfte nicht nur methodische Hürden - -

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 9 in der Beratung auf Distanz zu überwinden. Denn nicht alle JaS-Fachkräfte waren mit dem techni schen Equipment für Beratung auf Distanz ausgestattet. Priorität hatte deshalb für die Jugendämter die Beschaf fung der nötigen Hard- und Software, die den Fachkräf ten den Zugang zur digitalen Beratung ermöglichte. Im Umgang mit Software und digitalen Plattformen waren die Fachkräfte dabei auf sich alleingestellt. Ohne Schulungen in die Beratungswerkzeuge, ohne erprobte Methoden galt hier für sie das Prinzip des „learning-by-doing“: Methodische Bausteine mussten selbst erarbeitet, Transfers aus Präsenz auf Distanzbera tung selbst vollzogen und eine steile Lernkurve schnell genommen werden. Trotz dieser Widrigkeiten zeigte sich die Beratung auf Distanz als Erfolgsmodell und wird zukünftig, auch nach der Pandemie, ein fester Bestand teil des Repertoires der JaS sein. - - - - - Eine Renaissance in der JaS erlebte der Hausbesuch in der Corona-Krise. Vor der Pandemie war es unüblich, Hausbesuche bei den Schülerinnen und Schülern zu ma chen. Aus Sicherheitsgründen kamen die Widerstände bezüglich der Hausbesuche auch von Trägerseite. Um in der Pandemie und gerade in der Zeit des Homeschoo lings regelmäßigen Kontakt zu den jungen Menschen halten zu können war die JaS auf diese Form des päda gogischen Handelns angewiesen. Und profitierte davon. Denn nicht nur von Seiten der Schülerinnen und Schüler und/oder deren Erziehungsberechtigten, sondern auch von der JaS selbst wurde die Kontaktaufnahme am Lebensort der Heranwachsenden als gewinnbringend angesehen. Schule und Jugendhilfe profitierten dabei auch in der Beziehungsarbeit von der proaktiven Haltung und aufsuchenden Arbeit der JaS. Als beliebtes und hochwirksames und mittlerweile von allen Seiten erlern tes Element ist der Hausbesuch zukünftig nicht mehr aus dem Portfolio der JaS wegzudenken. - - - - Die These: Nicht Revolution. Evolution. Abschließend kann an dieser Stelle festgestellt werden, dass die These „Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich die Arbeit/das Arbeitssetting der Jugendsozialarbeit an Schulen verändert. Das Beratungssetting ist davon besonders betroffen“ durch qualitativ erhobene Daten und deren Auswertung durch die Methode der Groun ded Theory gestützt wird. Die Arbeit und die Arbeitsumgebung der JaS haben sich aufgrund der Corona-Pandemie weiterentwickelt. Dabei ist kein genereller Prozess der Veränderung im Sinne einer Revolution festzustellen. Vielmehr hat sich die JaS in einem evolutionären Akt operativ an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Auch auf der konzep - - tionellen Ebene haben sich gerade im Kinderschutz Lücken aufgezeigt, die geschlossen werden müssen. Auf beiden Ebenen bedarf es der konzeptionellen sowie der methodischen Nachbesserung. Die Handlungsempfehlungen Die Veränderungsprozesse, die im Verlauf der Coro na-Pandemie in der Arbeit der JaS stattgefunden haben, änderten sowohl in konzeptioneller als auch in opera tiver Weise die Arbeit und Verfahrenswege der JaS. Um in der Post-Corona-Zeit auf die Herausforderungen vorbereitet zu sein braucht es klare Veränderungen auch im Setting der JaS. Der Verfasser gibt im Folgenden Handlungsempfehlungen, die entwickelt und in Bezuge gesetzt werden zu den Ergebnissen der qualitativ erho benen Daten dieser Studie. - - - Ausstattung Die Pandemie hat gezeigt, dass die JaS-Fachkräfte nur unzureichend mit Hard- und Software ausgestattet waren. Um jederzeit handlungsfähig zu bleiben, ist es für die JaS notwendig, mit den richtigen Digital-Werk zeugen ausgestattet zu sein. Diese Aufgabe stellt sich den Trägern der JaS. Sie müssen kontinuierlich dafür Sorge tragen, dass die Fachkräfte mit den Werkzeugen ausgestattet sind, die sie für die professionelle Erledi gung ihrer täglichen Arbeit benötigen. Auch perspek tivisch muss kontinuierlich überprüft werden, ob die Werkzeuge noch ausreichend sind und/oder ob und wie nachgebessert werden muss. - - - Supervision Die Fachkräfte der JaS waren im Verlauf der Coro na-Pandemie permanent starken Belastungen ausge setzt. Durch die Lockdowns waren dabei weder kolle giale Beratung noch Supervision möglich. Im Sinne der Arbeitnehmergesundheit und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist es deshalb dringend zu empfehlen, auch in wiederkehrenden Phasen des Abstands für Supervision der JaS zu sorgen. Dies kann sowohl in Präsenz, unter Einhaltung der Abstandsregeln, als auch digital erfolgen. - - - Fortbildung Das Handling mit neuen digitalen Medien, Kommunika tionsdiensten und Online-Plattformen für die Beratung erfordert Schulung und auch Übung im Umgang damit. Gerade das Distance Counseling, die psychosoziale Beratung in Distanz über Online-Plattformen oder auch das Telefon, erfordert Know-how. - T H E M A

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 10 Um wirksame Beratung in Distanz umzusetzen, brau chen die JaS-Fachkräfte auch Wissen zum methodi schen Vorgehen bei dieser Art der Beratung. Verantwortlich für die Fortbildung und Schulung der Fachkräfte sind die Träger der Jugendsozialarbeit an Schulen. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass die JaS auch zukünftig wirksam und nachhaltig mit den jungen Menschen und deren Eltern und/oder Erziehungsberech tigten arbeiten kann. Ihre Aufgabe ist es deshalb, die Mittel und das zeitliche Kontingent für die Fortbildungen der Fachkräfte zur Verfügung zu stellen. Das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt (BLJA) ist originär für die Fortbildung der JaS-Fachkräfte verant wortlich (BayMBI, FöRil JaS, 2021). Somit muss das BLJA zukünftig Fortbildungsangebote für die Bereiche des Distance Counseling für die JaS bereitstellen. - - - - Datenschutz Immer wieder wurden die JaS-Fachkräfte in der Pandemie durch ihr Handeln an die Grenze des rechtlich Erlaubten im Sinne des Sozialdatenschutzes gebracht. Alle befragten Fachkräfte, die schon seit vielen Jahren in der JaS tätig sind, dehnten und überschritten dabei die rechtlichen Gren zen. Zu hinterfragen ist an dieser Stelle, ob die Datenschutz bestimmungen im SGB VIII sowie die Datenschutz-Grund verordnung noch zeitgemäß für die Arbeit der JaS und generell für die Soziale Arbeit sind. Oder ob diese die JaS und andere Bereiche der Sozialen Arbeit unter Pandemie bedingungen nicht in die Handlungsunfähigkeit treiben. Um diese Frage zu klären, bedarf es einer fachlichen und gleichzeitig juristischen Diskussion, die auf anderer Ebene zu führen ist. Einzubeziehen sind dabei die Träger der JaS und der Datenschutzbeauftragte des Freistaats Bayern. - - - - Das Fazit In der Studie „Das Arbeiten der Jugendsozialarbeit an Schulen unter Pandemiebedingungen“ wurde dem Phä nomen der Arbeit der JaS in Bayern unter Corona-Be dingungen nachgespürt. Dabei wurde die Methode der Grounded Theory eingesetzt, um diesem Phänomen möglichst ohne Vorannahmen, offen und aus unter schiedlichen Perspektiven zu begegnen. Als Ergebnis kann festgestellt werden, dass es „die Ar beit“ unter Corona-Bedingungen nicht gegeben hat: Für alle Teilnehmenden der Studie haben sich die Auswir kungen durch Corona unterschiedlich dargestellt. Neben der persönlichen Situation der einzelnen Teilnehmenden bestimmen Faktoren wie digitale Kompetenz, Support durch die Träger der Jugendhilfe und die Schulfamilie, aber auch die lokalen Zusammenhänge und Befindlich keiten der jungen Menschen das Erleben der eigenen Arbeit in der Corona-Pandemie. - - - - - - In Kategorien und fünf Typen konnten die unterschiedli chen Aussagen und Erlebnisse dennoch systematisiert werden und anschließend in drei Theorien fixiert wer den. Corona brachte bereits bestehende Schwächen an das Tageslicht und erschwerte die konkrete Arbeit der JaS zunächst. Durch Einsatz und Öffnung für Kooperati onen verbesserte die JaS ihr Ansehen deutlich und wur de in der Pandemie als starker Partner der Schulfamilie und der Jugendhilfe erkannt. Dank der Überwindung der aufgedeckten Schwächen und durch den höheren Stellenwert der JaS an den Schulen geht die JaS insge samt gestärkt aus der Krise. Viele der neu entwickelten Lösungen und Konzepte verbessern die Arbeit der JaS auch nach der Corona-Pandemie. In den Bereichen der digitalen Bratung und der Beratung in Präsenz haben deutliche Veränderungen stattgefunden, Neues wurde geschaffen und Altes den Herausforde rungen der Pandemie angeglichen und nachgebessert, die das Beratungssetting der JaS nachhaltig verändern werden. - - - - - - Die These „Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich die Arbeit/das Arbeitssetting der Jugendsozialarbeit an Schu len verändert. Das Beratungssetting ist davon besonders betroffen“ wurde im Verlauf des Forschungsprozesses, durch die qualitativ erhobenen Daten und deren Aus wertung durch die Methodologie der Grounded Theory verifiziert. Selbstverständlich ist im Rahmen einer Bachelor-Arbeit und insbesondere bei der anhaltenden pandemischen Lage eine Analyse des Phänomens nicht vollständig mög lich – schon gar nicht abschließend. Die Studie hat aber nicht nur gezeigt, dass eine intensivere Beschäftigung mit diesem Thema ein lohnendes wissenschaftliches Projekt wäre. Die Ergebnisse zeigen auch, dass das System JaS in der Lage ist, auch unter gänzlich neuen Bedingungen - - - T H E M A Die diesjährigen Fachtage des ZBFS-BLJA, die in Kooperation mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) veranstaltet werden, tra gen den Titel „Strategien pädagogischen Handelns in Präsenz und Digital“. Die Fachtage sind der Kickoff für eine Reihe verschiedener Fortbildungen des BLJA, die sich mit der Problemstellung der Beratung in Distanz und Digital auseinandersetzen und den JaS-Fachkräf ten Lösungsmöglichkeiten für genau diese Heraus forderung an die Hand geben werden. Die Fachtage finden in diesem Jahr von 14. bis 16.11.2022 in der ALP Dillingen statt und richten sich sowohl an JaS-Fachkräfte als auch an Lehrkräfte. - - -

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 11 T H E M A seinen Aufgaben nachzukommen. Dass dabei mittel- und langfristig weitere Veränderungen und agilere Strukturen notwendig sind, wäre die Handlungsempfehlung dieser Arbeit, wenn der Autor um eine solche gebeten würde. Literaturverzeichnis: Bayerisches Mitteilungsblatt (BayMBI): Richtlinie zur Förderung der Jugendsozialarbeit an Schulen – JaS, 2021. München: Bayerischen Staatsministeriums für Fa milie, Arbeit und Soziales, S. 3, 1.2.6.1 cc) aaa) Satz 3. - Dresing, T.; Pehl, T. (2011): Praxisbuch Interview, Tran skription & Analyse Anleitungen und Regel Systeme für qualitativ Forschende. Marburg: Eigenverlag Marburg, dr dresing & pehl GmbH. - Gaupp, N.; Holthusen, B.; Milbradt, B.; Lüders, C.; Seckinger, M. (Hrsg.) (2021): Jugend ermöglichen – auch unter den Bedingungen des Pandemieschutzes. München: Deutsches Jugendinstitut. Kutscher, N.; Ley, T.; Seelmeyer, U.; Siller, F.; Tillmann, A. (2020): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim: Beltz Juventa, S. 476-478. Kutscher, N. (2014): Apps, Facebook, Onlineberatung. In Sozial Extra 4. Praxis Aktuell, Wiesbaden: Springer Verlag, S. 39-41. Kutscher, N. (2015): Mediatisierung in der Sozialen Arbeit. Hohengehren: Schneider Verlag. Lerch-Wolfrum, G.; Renges, A. (2014): Handbuch zur Jugendsozialarbeit an Schulen in Bayern. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialord nung, Familie und Frauen. - Mairhofer, A.; Peucker, C.; Pluto, L.; van Santen, E.; Seckinger, M. (2020): Kinder- und Jugendhilfe in Zeiten der Corona-Pandemie. München: Deutsches Jugendinstitut. Strauss, A.; Corbin, J. (2015): Basics of qualitative rese arch: techniques and procedures for developing groun ded theory. Newbury Park, Calif.: SAGE. - - Strauss, A.; Corbin, J. (1996): Grounded Theory: Grund lagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz, Psychologie-Verlag-Union. - West-Leuer, B.; Löwer-Hirsch, M.; Gerstädt, M. (2021): Coaching-Weiterbildung in Zeiten der Maske. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Vol. 28. Springer Nature B.V., S. 109-119. Online-Veröffentlichungen: Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) 2020: Schutz für die besonders Schutzbedürftigen. Zwischenruf der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. Berlin. Online veröffentlicht am 10.12.2020. Verfügbar unter: https://bit.ly/3aIhvTK (Zu griff am 09.12.2021) und https://bit.ly/3O09CqT (Zugriff am 03.12.2021) - Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (StMUK) (2021): Coronavirus aktuell. Digitale Werkzeuge unterstützen den Distanzunterricht. Online veröffentlicht am 15.01.21. Verfügbar unter: https://bit.ly/390lmuG (Zugriff am 04.11.2021) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ) (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutsch land. Online veröffentlicht am 21.02.2013. Verfügbar unter: https://bit.ly/3mx2kiw (Zugriff am 25.10.2021) - Buschle, C.; Meyer, N. (2020): Soziale Arbeit im Ausnah mezustand. In: Soziale Passagen. Online veröffentlicht am 19. Juni 2020. Verfügbar unter: https://bit.ly/3xug 5VL (Zugriff am 04.12.2021) - - Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit (LAG JSA) (2020): Befragung im Arbeitsfeld JaS. Landesar beitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit in Bayern. Mün chen. Online veröffentlicht am 03.06.2020. Verfügbar unter: https://bit.ly/3zwKzYm (Zugriff am 24.08.21) - - - Statistisches Bundesamt (2021): Corona und Jugendhil fe. Online veröffentlicht am 21.07.21. Verfügbar unter: https://bit.ly/3mx2xlO (Zugriff am 07.12.2021) - Smessaert, A. (2020): Zwischenruf der AGJ 2020. Mün chen: Online veröffentlicht am 10.12.2020. Verfügbar unter: https://bit.ly/3Qcth9c (Zugriff am 28.11.2021) - Bei Fragen zur Studie erreichen Sie den Autoren unter: Martin.Reber@zbfs.bayern.de M A R T I N R E B E R

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 12 I N F O Am 1. Juli 2022 feierte das Bayerische Landesjugendamt ein besonderes Jubiläum: Es wurde 45 Jahre alt. Die Ur sprünge des Landesjugendamts gehen allerdings noch viel weiter in der Zeit zurück. Bereits das Reichsjugend wohlfahrtsgesetz aus dem Jahr 1922 sah die Errichtung von Landesjugendämtern vor. Sie sehen, auch hier steht ein Jubiläum im Raum, aber darauf werden wir in einer späteren Ausgabe des Mitteilungsblattes eingehen. - - Die Anfänge 1922 bis 1977 erlebte das Landesjugendamt dynamische Jahre. Seine Entstehungsgeschichte beginnt in der Nachkriegszeit im Innenministerium mit seinem ersten Leiter Franz Josef Strauß. Es war dort als ein Teil der Abteilung II (Fürsorge und Wohlfahrtspflege) das zentrale Landesjugendamt für Bayern. Mit Inkrafttreten des Bayerischen Jugendamts gesetzes im Jahr 1966 wechselte die Zuständigkeit für das Referat Landesjugendamt in das Sozialministerium. Erst im Jahre 1977 wurde ein eigenes, räumlich ge trenntes „Bayerisches Landesjugendamt“ geschaffen. Den Ausschlag, das Referat Landesjugendamt aus der ministeriellen Obhut zu lösen, setzte das neu geschaf fene Adoptionsvermittlungsgesetz vom 2. Juli 1976. Es beschrieb an mehreren Stellen die Aufgaben eines über örtlichen Trägers, die aber nur wahrgenommen werden durften, wenn das Landesjugendamt über eine Zentrale Adoptionsstelle verfügt (siehe § 2 Adoptionsvermitt lungsgesetz vom 02.07.1976). Dies bewegte den Bayerischen Gesetzgeber, diese Aufgabe aus dem Ministerium herauszulösen und ein eigenes Bayerisches Landesjugendamt mit einer Zentra len Adoptionsstelle zu schaffen. - - - - - - Am 1. Juli 1977 trat das Gesetz in Kraft und sorgte dafür, dass eine Handvoll Mitarbeitende an diesem Tag ihre Arbeit in der Pilgersheimerstraße 20 in München unter der Leitung des Regierungsdirektors Nay auf nahmen. Dieser Tag bezeichnet die Geburtsstunde des Bayerischen Landesjugendamts außerhalb der ministeri ellen Ebene. - - Die erste JALT Und schon im Herbst 1977 fanden die ersten Jugend amtsleitungstagungen (JALT) statt, organisiert vom Landesjugendamt. Die vier regionalen Arbeitstagungen fanden in der Zeit vom 27.09. bis 10.11.1977 in Tutzing, Nürnberg, Augsburg und Passau statt. Es verwundert nicht, dass sich die Themen vorrangig um den Bereich der Adoption drehten. Auf der Tagesordnung standen: ­ - Entscheidungshilfen im Vormundschaftsgerichtsverfahren, - das neue Adoptions- und Adoptionsvermittlungsrecht, - Rechtsfragen und Organisationsprobleme und - das Familienrechtsänderungsgesetz und seine Auswirkungen. 4 5 J A H R E B A Y E R I S C H E S L A N D E S J U G E N D A M T EINE KURZE RETROSPEKTIVE Verordnung über die Errichtung einer zentralen Adoptionsstelle vom 26. Mai 1977 aus dem Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt 13/1977

M I T T E I L U N G S B L A T T 0 2 - 2 0 2 2 13 I N F O Vollständige Unabhängigkeit vom Ministerium … Das Amt wurde aber sehr bald um weitere Aufgaben bereiche ergänzt. Nach und nach wanderten Aufgaben, für die bisher die ministerielle Bürokratie als Landes jugendamt zuständig war, an das Landesjugendamt. Zunächst entstanden eine eigene Fortbildungsabteilung, eine Rechtsabteilung, eine Personal- und Haushalts abteilung und im Laufe der Jahre auch eine Abteilung für den Jugendschutz und für das Pflegekinderwesen. Gesetzlich nachvollzogen wurde diese Erweiterung des Aufgabenbereichs mit Art. 10 des Bayerischen Ju gendamtsgesetzes vom 01.01.1983. Ganz war die Unabhängigkeit vom Ministerium aber noch nicht vollzogen, denn nach wie vor bestimmte Absatz 3 der Verordnung über die Errichtung einer zentralen Adoptionsstelle, dass der Geschäftsbetrieb und die Unterschriftsbefugnis nach wie vor der Referent für Jugendfürsorge im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung regelte. Die Leitung der Dienststelle des Bayerischen Landesjugendamts wurde dementsprechend nur als „der ständige Vertreter des Referenten“ bezeichnet. Auch wenn die Befugnisse des „ständigen Vertreters“ stetig anwuchsen und die Abhängigkeit letztendlich nur noch auf dem Papier bestand, so wurde die Eigenständigkeit der Leitung des Bayerischen Landesjugendamts erst durch die Reform des Bayerischen Jugendamtsgesetzes vom 1. Juli 1990 gesetzlich manifestiert. Art. 10 Abs. 3 legte nun fest: „Die Verwaltung des Landesjugendamts führen der vom Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung bestellte Leiter für dessen Geschäftsbereich…“. Die Abnabelung war damit auch auf dem Papier vollzogen. - - - - … und Eingliederung ins ZBFS Eine letzte organisatorische Veränderung ergab sich 2005, als das Bayerische Landesjugendamt zusammen mit der Versorgungsverwaltung, der Hauptfürsorgestelle und dem Inklusionsamt zur Gesamtbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales verschmolzen. Dort nimmt es seitdem als eigenständig verfasste Dienststelle sei nen Platz als Fachbereich II ein. - Erweiterung der Aufgaben Seit 1977 hat sich der Aufgabenzuschnitt des Bayeri schen Landesjugendamts ständig erweitert. Hier ein paar Schlaglichter auf neue Aufgabenbereiche, die ne ben den klassischen Aufgabenfeldern des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe gemäß § 85 Abs. 2 SGB VIII eingeführt und fortgeführt wurden: - - - Fortbildungsverantwortung für den Bereich der Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) - Einführung der Jugendhilfeberichterstattung Bayern (JuBB) - Einführung der Personalbemessung Bayern (PeB) - Einführung eines digitalen Bildungsangebots für Familien, zunächst unter dem Namen „Eltern im Netz“ jetzt als „Bayerischer Erziehungsratgeber“ (BAER) - Elternbriefe und Medienbriefe des Landesjugendamts als Angebot der Familienbildung - Maßgebliche Begleitung des Projekts Koordinierende Kinderschutzstellen (KoKi) - Maßgebliche Begleitung des Projekts Frühe Hilfen und Familienhebammen (BIFH) - Scientology Krisenberatungsstelle (SoKri) - Schaffung, Begleitung und Koordinierung des Landesheimrates (LHR) - Auswahl und Begleitung der Modellprojekte „Ombudschaftswesen in Bayern“ - Verantwortung für die Regionale „Anlauf- und Beratungsstelle Bayern“ (RABE) - Verantwortung für die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ in Bayern - Auswahl und Begleitung des Modellversuchs „Verfahrenslotse“ in Bayern Dies führt seit 1977 auch dazu, dass der Personalkörper von anfangs fünf Mitarbeitenden mittlerweile auf über 60 Personen angewachsen ist. Als Leitungen des Landesjugendamts waren bisher tätig: Regierungsdirektor Nay (1977), Georg Nawratil (1978-1989), Jörg Haggenmüller (1989-1990), Dr. Robert Sauter (1990-2010), Stefanie Krüger (20102014), Hans Reinfelder (seit 2014). Verlagerungen der Standorte Die Geschichte des Landesjugendamts ist aber auch geprägt von örtlichen Verlagerungen, missglückten wie geglückten. So verkündete der damalige Staatsminister Gebhard Glück auf dem Neujahrsempfang der Passauer CSU 1993, er wolle das Landesjugendamt von München nach Passau verlagern. Die Beschäftigten erfuhren dies erst in den ersten Januartagen, als die Passauer Presse titelte: “Das Landesjugendamt soll nach Passau“. In Folge der Ankündigungen wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, das Projekt zu realisieren, Umorganisationspläne wurden entworfen, Räumlichkei ten in Passau gesichtet. Neu eingestellte Mitarbeitende -

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