Mitteilungsblatt 3/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 03-2020 09 spricht, benenne das Frauenhaus denselben Mann als „Misshandler“. Auch die (teilweise) unterschiedlichen Ziele und Arbeits- aufträge können die Kooperationsbeziehung zwischen den Hilfesystemen belasten. Während beispielsweise der ASD die Aufgabe hat, das gesamte Familiensys- tem zu unterstützen, zu beraten, Hilfen zu initiieren, zu koordinieren und Kinder zu schützen, liegt die Aufgabe der Frauenunterstützungssysteme im Clearing und der Durchführung von Hilfen mit dem vordringlichen Fokus auf dem Schutz der Frauen und in diesem Kontext auch auf dem ihrer Kinder. Wesentlich dabei ist, die Handlungsfreiheit der Frau zu berücksichtigen und ihre Handlungsfähigkeit zu stützen. Zusätzlich negativ für die Kooperation können sich einseitige Vorannahmen und Vorurteile bezüglich des anderen Systems auswirken. Dem Frauenhaus wird beispielsweise die ausschließliche Parteilichkeit im Sin- ne der gewaltbetroffenen Frau unterstellt, wodurch die Bedarfe der Kinder aus dem Blick geraten würden. Beim ASD wird vermutet, dass dieser sich oft und zu stark von der Darstellung der Väter beeinflussen und teilwei- se instrumentalisieren ließe. Unterschiedliche Handlungserwartungen können zudem die Kooperationsbereitschaft beeinträchtigen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Frauenhaus die Er- wartung an den ASD formuliert, dieser solle Umgangs- regelungen ohne Berücksichtigung beider Elternteile im Sinne der gewaltbetroffenen Frau und der Kinder „verordnen“. Auch die Unterschiedlichkeit der Kooperationspartner hinsichtlich der Entscheidungsstrukturen, „Regelungs- dichte“ und Handlungsspielräume können erfahrungs- gemäß die Kooperationsbeziehung erschweren. So orientiere sich der ASD als Organisationseinheit einer Verwaltung in seinem fachlichen Handeln stärker an festgelegten Standards, Verfahren und Dokumentations- pflichten. Die Arbeit des Frauenhauses basiert eben- falls auf fachlichen Standards, steht aber unter einem vergleichbar wesentlich geringeren Entscheidungs- und Begründungsdruck in Bezug auf gesetzliche Grundlagen. Kooperation benötigt Leitungsauftrag, Haltung, Diskurs, Ressourcen und Verbindlichkeit. Als Gelingensfaktoren und Handlungsbedarfe für eine gebotene Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Frauenunterstützungssystem wurden die struktu- rellen Rahmenbedingungen, Haltungsfragen und die Notwendigkeit von Wissenstransfer und Austausch thematisiert. Hinsichtlich der strukturellen Rahmenbedingungen wur- de es als erforderlich eingeschätzt, dass die Kooperati- on „Top down“ gewollt ist und der Entwicklungs- und Umsetzungsprozess einer Kooperationsvereinbarung begleitet wird. Das bedeutet: Leitungskräfte müssen in der eigenen Organisation aktiv den Kooperationsauftrag erteilen und an der weiteren Konkretisierung von Zielen und Prozessen erkennbar beteiligt sein. Für die Erarbeitung von Kooperationsvereinbarungen, die verbindlich und personenunabhängig umgesetzt werden sollen, sowie für den kontinuierlichen, struktu- rell verankerten Austausch zwischen den beiden Hilfe- systemen, müssen dauerhaft Ressourcen eingeplant bzw. bereitgestellt werden. Ein Perspektivwechsel der Beteiligten scheint für diesen Prozess ebenso hilfreich wie die Einstellung, sich nicht als konkurrierende Hilfen und Einrichtungen zu verste- hen, sondern als ergänzende zu handeln. Dies befördert zusätzlich die Chance, die „Schnittstellen“ als Nahtstel- len und zur Handlungsoptimierung zu nutzen. Die Kooperationsvereinbarung sollte insbesondere Regelungen umfassen für die fallbezogene und für die fallunabhängige Kooperation mit dem Ziel, Transparenz und Kontinuität der Information herzustellen, „Stolper- steine“ zu thematisieren und auszuräumen. Im selben Zuge können damit Vorurteile abgebaut sowie eine ge- genseitige Einschätzbarkeit der Arbeitsgrundlagen und wechselseitiges Vertrauen in die Handlungskompetenz der jeweiligen Partner aufgebaut werden. Workshop 2: „Kinderfachberatung“ als Un- terstützung für Kinder bei elterlicher Partner- schaftsgewalt In diesem Workshop informierte Ulrike Lein über ihre Erfahrungen als Fachberaterin von Kindern und Jugendlichen der Interventionsstelle Landkreis Mün- chen (ILM). Die ILM bietet Hilfe und Unterstützung für Frauen und Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Bemerkenswert ist, dass die ILM strukturell dem Jugendamt des Landkreis München zugeordnet ist. Dies resultiert aus der Erfahrung der Kommune, dass 80 % der Frauen, die sich als von Gewalt Betroffene an die Beratungsstelle wenden, Mütter minderjähriger Kinder sind. Bei Partnerschaftsgewalt benötigen Kinder zeitnahe, professionelle, altersgerechte Unterstützung für die Aufarbeitung der traumatisierenden Erfahrung und für die Entwicklung von Coping-Strategien. B E R I C H T E

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