Mitteilungsblatt_03-04_2019

M I T T E I L U N G S B L A T T 03+04-2019 25 I N F O Nimmt eine privat krankenversicherte und beihilfebe- rechtigte Pflegeperson ein Kind in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII bei sich auf, dessen Krankenhilfe bislang nicht sichergestellt ist, kann und darf eine Pflegeper- son im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB VIII vom Jugendamt selbst dann nicht verpflichtet werden, das Pflegekind in die eigene private Krankenversicherung aufzunehmen, wenn der bestehende Versicherungsvertrag dies recht- lich ermöglichen und das Jugendamt der Pflegeperson die entsprechend erhöhten Versicherungsbeiträge ent- stehende Beitragsdifferenz erstatten würde. Ein derartiges Vorgehen des Jugendamtes würde die Pflegeperson insoweit ungerechtfertigt belasten, als sie damit selbst Beitragsschuldner mit der Folge der grund- sätzlichen Vorleistungsverpflichtung sowie dem erhöh- ten Nachweisaufwand sowohl bei Krankenversicherung als auch Beihilfe wäre und die Vertragsrisiken zu ihren Lasten gingen. 11. Urteil des SG Nürnberg S 5 SO 6.18 vom 17.09.2018 zur Bedeutung der wesent- lichen Behinderung bei der Beurteilung des Leistungsnachrangs nach § 10 Abs. 4 SGB VIII Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gehen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Men- schen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistun- gen des Jugendhilferechts vor. Gleichzeitig regelt § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII einen Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe für Men- schen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, einge- schränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinde- rung bedroht sind. Für behinderte Menschen ohne wesentliche Einschrän- kung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden Eingliederungshilfeleistungen lediglich als Kann-Leistungen definiert. In der Praxis der Eingliederungshilfe sorgt diese Schnitt- stelle in den beiden Sozialleistungsgesetzen sowohl bei der Klärung der sachlichen Zuständigkeiten als auch im Bereich der Kostenerstattung immer wieder für streiti- ge Auseinandersetzungen zwischen Jugendhilfe- und Sozialhilfeträgern und offenbart damit eine strukturelle Schwäche in der gegenseitigen Abstimmung der beiden Leistungskomplexe. Das Sozialgericht Nürnberg befasste sich in einem Kostenerstattungsstreit zwischen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe mit der Frage, welche Bedeutung dem Begriff der Wesentlichkeit bei Vorliegen einer Mehrfach- behinderung als Abgrenzungskriterium der sachlichen Zuständigkeit beizumessen ist. Hat ein nach jugendhilferechtlichen Vorschriften nach- rangig leistungsverpflichteter Jugendhilfeträger Sozial- leistungen erbracht, ist nach Einschätzung des Gerichts der Leistungsträger kostenerstattungspflichtig, gegen den der berechtigte Leistungsempfänger vorrangig einen Anspruch hatte. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Die Wesentlichkeit kann und darf nach Überzeugung des Gerichts in diesem Zusammenhang keine grund- sätzliche Rolle spielen und bezieht sich nicht auf das Ausmaß der Behinderung selbst, sondern vielmehr auf das Ausmaß der Einschränkung der Teilhabefähigkeit. Den Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sieht das Gericht dabei auch dann eröffnet, wenn nicht der Grad der Behinderung, sondern vielmehr der Grad der Teilhabebeeinträchtigung als wesentlich einzu- schätzen ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung des Sozialge- richts geeignet ist, den Dialog zwischen den Leistungs- trägern nach dem SGB VIII und dem SGB XII zu fördern. K L A U S M Ü L L E R

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