Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(§ 8a SGB VIII)
Allgemeine Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist es, alle Kinder und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen § 1 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII.
§ 8a SGB VIII konkretisiert den grundgesetzlich verankerten Schutzauftrag als Aufgabe der Jugendämter und klärt, welche Schritte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte im Einzelfall zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos vorzunehmen sind. Wird in diesem Prozess eine Kindeswohlgefährdung festgestellt, hat das Jugendamt den Personensorgeberechtigten geeignete und notwendige Hilfen anzubieten bzw. muss mittels eines Schutzplans (bzw. einer Schutzvereinbarung mit den Sorgeberechtigten) festlegen, mit welchen Maßnahmen die Gefährdung abgewendet und der Schutz des Kindes bzw. der/des Jugendlichen wiederhergestellt werden kann. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Familiengerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind bzw. die Jugendliche oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.
§ 8a SGB VIII verdeutlicht weiterst die Beteiligung der Träger von Einrichtungen und Diensten sowie der Kindertagespflegepersonen am Schutzauftrag. Die Einhaltung der entsprechenden Verfahrensstandards sind in Vereinbarungen zwischen Jugendamt und Trägern bzw. Kindertagespflegepersonen sicherzustellen.
Rechtsgrundlage
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 6 Abs. 2 GG
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 1666 BGB
Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe
§ 1 Abs. 2 SGB VIII
FamFG
§ 157 Erörterung der Kindeswohlgefährdung; einstweilige Anordnung
Staatliches Wächteramt
"Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft" (Art. 6 Abs. 2 GG).
Im Grundgesetz wird mit diesem Artikel der weite Spielraum formuliert, den Eltern hinsichtlich der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts haben. Er liefert gleichzeitig die verfassungsrechtliche Grundlage für das sogenannte "staatliche Wächteramt". Das Wächteramt befugt und verpflichtet die staatliche Gemeinschaft, wenn Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden (können) und deswegen eine Gefährdung oder sogar Schädigung des Wohles des Kindes bzw. der oder des Jugendlichen droht, diese Gefahr abzuwehren respektive zu beseitigen. Das staatliche Wächteramt nimmt somit zwei verschiedene Formen an: einerseits Eltern in der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen und deren Kinder zu fördern, andererseits einzugreifen, wenn der Schutz des Kindes nicht anders sichergestellt werden kann.
Ausgeübt wird das staatliche Wächteramt insbesondere durch das Jugendamt und das Familiengericht, die diesbezüglich eine Verantwortungsgemeinschaft bilden.
Das Jugendamt erfüllt sein Wächteramt, in dem es eine breite Palette an Leistungen für Eltern und andere Personensorgeberechtigte sowie für die jungen Menschen anbietet und so dem Recht auf Förderung der Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit Geltung verleiht. Gleichzeitig ist das Jugendamt bei einer festgestellten Kindeswohlgefährdung verpflichtet, das Familiengericht anzurufen, wenn die Sorgeberechtigten – selbst mit Unterstützung von fachlich geeigneten und notwendigen Hilfen – eine Gefährdung nicht abwenden wollen oder können.
Dem Familiengericht obliegt es bei einer Gefährdung, die notwendigen Entscheidungen zur Gefahrenabwehr, die die elterliche Sorge berühren, zu treffen. Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 1666 Abs. 1 BGB:
"Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind."
Die Legitimation des Familiengerichts, im Rahmen des Wächteramtes in die elterliche Erziehungsverantwortung einzugreifen, setzt also die gerichtliche Feststellung einer Kindeswohlgefährdung sowie ein Tun von Schädlichem bzw. ein Unterlassen von Notwendigen, um die Gefährdung abzuwenden seitens der Personensorgeberechtigten voraus. Ein allein "ungünstiges" Erziehungsverhalten reicht nicht aus.
Aufgaben des Landesjugendamts
Das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt unterstützt die örtlichen Jugendämter sowie die von den Jugendämtern in die Aufgaben einbezogenen freien Träger bei der Erfüllung ihrer Beratungs- und Unterstützungsaufgaben durch Fachberatung, Fortbildungen und praxisnahe Arbeitshilfen.
Fachbeiträge und Publikationen
Veröffentlichungen des ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt
ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt: Fachliche Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII. Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 15. März 2006, geänderte Fassung vom 23. November 2022.
ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt: Empfehlungen zur Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen gemäß § 42 SGB VIII. Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses in seiner 108. Sitzung am 09.10.2007, geändert durch Beschluss des Vorstands des Landesjugendhilfeausschusses am 21.09.2009.
ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt (Hrsg.): Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle, Hilfeplan & Teilhabeplan. Arbeitshilfe zur Prüfung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls, zur Abklärung von Leistungsvoraussetzungen einer Hilfe zur Erziehung und einer Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, zur Durchführung des Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahrens in der Praxis; München 2020
Weitere empfohlene Veröffentlichungen:
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (Hrsg.): Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Erkennen und Handeln. Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte; München 2012
Empfehlung der Landesjugendhilfeausschüsse LVR- Landesjugendamt Rheinland und des LWL-Landesjugendamtes Westfalen: Wahrnehmung des Schutzauftrags gemäß § 8a SGB VIII bei Anhaltspunkten für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (BAGLJÄ): Empfehlungen Qualitätsmaßstäbe und Gelingensfaktoren für die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII – Erstauflage 2015 beschlossen auf der 118. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter vom 6. bis 8. Mai 2015 in Kiel; zuletzt abgerufen am 21.09.2022