Sozialpädagogische Diagnose, Hilfeplan und Teilhabeplan
Das für jede längerfristig eingesetzte Hilfe zur Erziehung gem. § 27 SGB VIII, Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII und Hilfe für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII vorgesehene Hilfeplanverfahren ist ein wichtiges Qualitätsinstrument der Einzelfallhilfe (mit Bezug zur Jugendhilfeplanung).
Dem Hilfeplanverfahren geht grundsätzlich ein Beratungsprozess voraus, in dessen Rahmen die Personensorgeberechtigten und jungen Menschen hinsichtlich möglicher Folgen für die Entwicklung des jungen Menschen in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form aufzuklären sind und zwar vor ihrer Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe.
Sofern die Familie die Probleme aus eigener Kraft oder mit Hilfe ihres sozialen Umfelds nicht lösen kann und das zuständige Jugendamt das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen feststellt, ist ein Leistungsanspruch auf Hilfe im rechtlichen Sinn gegeben.
Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2021 wurden die Rechte von jungen Menschen und deren Eltern gestärkt, die Hilfen in (teil-)stationärer Form erhalten. Danach haben Eltern einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind (vgl. § 37 Abs. 1 SGB VIII). Zudem soll im Rahmen der Hilfeplanung eine (längerfristige) Perspektive für das Kind entwickelt werden.
Die entwickelte Lebensperspektive kann einerseits - innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums – die Rückführung des Kindes oder Jugendlichen in den elterlichen Haushalt bedeuten, sofern sich die Entwicklungs-, Teilhabe- oder Erziehungsbedingungen dort verbessert haben. Anderseits kann die Lebensperspektive auch auf eine mindestens längerfristige, wenn nicht dauerhafte Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen ausgelegt sein (vgl. §§ 37 Abs. 1, 37c Abs. 2 SGB VIII).
Dabei ist die entwickelte Lebensperspektive im Regelfall nicht statisch, sondern wird prozesshaft – unter Beteiligung des jungen Menschen und seiner Familie – entwickelt und ist im Hilfeplan zu dokumentieren (vgl. § 37c Abs. 1 SGB VIII).
Sozialpädagogische Diagnose-Tabellen
In der Medizin und Psychologie ist die Stellung einer Diagnose regelhafter Arbeitsalltag. Je sorgfältiger sie ausfällt, desto zielgenauer kann geholfen werden. Auch für Sozialpädagoginnen und -pädagogen in den Allgemeinen Sozialen Diensten und bei den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe hat sich die sozialpädagogische Diagnostik im Rahmen der Bedarfsermittlung und Hilfeplanung mittlerweile etabliert.
Die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen des ZBFS – Bayerisches Landesjugendamts helfen die Lebenssituation eines jungen Menschen, seiner Familie und seines sozialen Umfeldes umfassend zu betrachten und in strukturierter Form zu bewerten. Dabei werden Risiken und Ressourcen eines Familiensystems gleichgewichtig betrachtet. Zugute kommt ein solch strukturiertes Vorgehen in der Kinder- und Jugendhilfe letztendlich den hilfebedürftigen jungen Menschen und ihren Familien, da zu einem höheren Prozentsatz effektive Hilfen ausgewählt werden, Anschlusshilfen eher entfallen und die Zufriedenheit der Leistungsberechtigten steigt. Zudem erhalten die sozialpädagogischen Fachkräfte im Jugendamt mehr Handlungssicherheit.
Die ursprünglich 2001 vom ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt für sozialpädagogische Fachkräfte herausgegebene und 2009 nach erfolgreichem Abschluss eines fünfjährigen Evaluationsprojekts aufgelegte Handreichung "Sozialpädagogische Diagnose" wurde im Jahr 2013 unter dem Titel "Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle & Hilfeplan" komplett überarbeitet und neu aufgelegt. Mit der Neufassung aus dem Jahr 2020 wurden die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, v.a. in Bezug auf die jüngsten Entwicklungen und Anforderungen an die Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund des Bundesteilhabegesetz, erweitert.
Wesentliche Bestandteile der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen
- Sozialpädagogische-Diagnose-Tabelle "Schutz und Hilfe" zur Prüfung des erzieherischen Bedarfs und einer möglichen Kindeswohlgefährdung,
- Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle "Teilhabe" zur Prüfung einer Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a SGB VIII,
- Hilfeplan,
- an die Bedarfe der Kinder- und Jugendhilfe angepasster Mustervordruck Teilhabeplan auf Grundlage der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation.
Die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen liegen weiterhin in Form einer bearbeitbaren PDF-Datei vor, die eine Verknüpfung mit dem an die Sozialpädagogische Diagnostik angeschlossenen Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahren ermöglicht.
Das diagnostische Verfahren hilft, die Arbeit der Jugendämter, die immer wieder im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik stehen, zu verbessern. Haben sie doch die schwierige Aufgabe, Eltern einerseits in Erziehungsfragen zu beraten, andererseits Kinder zu schützen und rechtzeitig wirksame Hilfe zu leisten, wenn es ohne Unterstützung von außen nicht mehr geht. Die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, Hilfeplan & Teilhabeplan tragen auch dazu bei, den Wandel des Jugendamts von der ehemaligen Fürsorgebehörde zum modernen sozialen Dienstleistungsunternehmen in der öffentlichen Meinung deutlich zu machen.
Das Jugendamt schätzt nach Durchführung der Sozialpädagogischen Diagnostik die Lebenssituation des jungen Menschen, seiner Familie und seines sozialen Umfeldes in Hinblick auf den Beratungs-, Leistungs- oder Interventionsbedarf ein. Hierzu hat das ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt ein eigenes Hilfeplanverfahren entwickelt. Im Zusammenwirken mit der Familie, weiteren Bezugspersonen und anderen Fachkräften wird beraten, welches Leistungsangebot der Familie unterbreitet werden kann. Die sich daran anschließende Problemanalyse im Fachkräfteteam, an deren Ende ein Entscheidungsvorschlag im Hinblick auf die notwendige und geeignete Hilfe(n) in Form einer knappen "Zusammenfassenden Feststellung des Hilfebedarfs" steht, soll nicht nur defizitäre oder problematische Entwicklungen berücksichtigen, sondern gleichermaßen Ressourcen und perspektivische Potenziale, wie zum Beispiel tragfähige und verlässliche Beziehungen im sozialen Nahraum, die negative Erfahrungen und Handlungsmuster ausgleichen könnten.
Stimmen die Leistungsadressaten und die angefragten Leistungserbringer zu, entfaltet der Vorschlag Wirkungskraft und die Hilfeplanung im engen Sinn kann beginnen. Das Hilfeplanverfahren enthält alle Schritte zur Steuerung einer Hilfe, bis hin zu deren Abschluss und Evaluation im Einzelfall.
Der an die Bedarfe der Kinder- und Jugendhilfe angepasste Teilhabeplan, der auf dem Mustervordruck Teilhabeplan der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation basiert, stellt für den örtlichen Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe die Grundlage für das Teilhabeplanverfahren gem. § 19 SGB IX dar.
Aufgaben des Landesjugendamts
Das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt berät und qualifiziert die Fachkräfte der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe in Bayern grundsätzlich und fallbezogen in rechtlichen, sozialpädagogischen und administrativen Fragen.
Fachbeiträge und Publikationen
Veröffentlichungen des ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt
ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt (2020): Sozialpädagogische Diagnose-Tabellen, Hilfeplan & Teilhabeplan. Arbeitshilfe zur Prüfung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls, zur Abklärung von Leistungsvoraussetzungen einer Hilfe zur Erziehung und einer Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, zur Durchführung des Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahrens in der Praxis.
ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt (2020): Arbeitshilfe zur Anwendung der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, des Hilfeplans und des Mustervordrucks Teilhabeplan. (noch nicht barrierefrei)
Fingerhut, Marie (2023): Hinweis zur Anwendung der Sozialpädagogischen Diagnosetabellen. Mitteilungsblatt 04/2023, S. 33-34.
ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt (2013): Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle & Hilfeplan. Arbeitshilfe zur Anwendung der Instrumente bei der Prüfung von Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls, der Abklärung von Leistungsvoraussetzungen einer Hilfe zur Erziehung und der Durchführung des Hilfeplanverfahrens in der Praxis.
Hillmeier, Hans; Britze, Harald (2013): Sozialpädagogische Diagnose – ein Meilenstein auf dem Weg zu einer wirkungsorientierten Prozessgestaltung in der Einzelfallhilfe; in: Gahleitner, Silke Brigitta; Wahlen, Karl; Bilke-Hentsch, Oliver; Hillenbrand, Dorothee. (Hrsg.): Biopsychosoziale Diagnostik in der Kinder- und Jugendhilfe – Interprofessionelle und interdisziplinäre Perspektiven; Kohlhammer Verlag; S. 143-158; Stuttgart.
ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt; Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration; Institut für Kinder- und Jugendhilfe Mainz (Hrsg) (2008): EST! Evaluation der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen. Abschlussbericht; München.