Vollzeitpflege
Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ist eine Hilfe zur Erziehung für Eltern, die (derzeit) nicht in der Lage sind, eine dem Wohl ihres Kindes oder ihrer bzw. ihres Jugendlichen entsprechende Erziehung selbst zu gewährleisten. Daneben muss die Hilfe für die Entwicklung des jungen Menschen notwendig und geeignet sein.
Das Kind lebt für eine bestimmte Zeit oder auf Dauer in einer Pflegefamilie, die die Verantwortung für die Betreuung und Erziehung des Kindes im Alltag übernimmt. Vollzeitpflege unterscheidet sich dabei von anderen Hilfearten gemäß §§ 27 ff. SGB VIII. Sie wird vorwiegend nicht durch professionelle pädagogische Fachkräfte erbracht, sondern in der Regel von engagierten Laien.
Rechtsgrundlagen
Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 1630 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 1632 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 1684 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Ausgestaltung der Vollzeitpflege
Die konkrete Ausgestaltung der Hilfe – von der kurzfristigen Aufnahme bis hin zur langfristigen Lebensperspektive für das Kind oder die Jugendliche bzw. den Jugendlichen – richtet sich nach dem Bedarf sowie dem Wohl des zu betreuenden jungen Menschen. Während der gesamten Dauer eines Pflegeverhältnisses werden die leiblichen Eltern und die Pflegefamilie vom Jugendamt betreut. Im Rahmen regelmäßiger Hilfeplangespräche gemäß § 36 SGB VIII muss mit allen Beteiligten – in der Regel halbjährlich – gemeinsam die konkrete Ausgestaltung der Hilfe vereinbart und überprüft werden.
Haben Personen Interesse an der Aufnahme eines Pflegekindes und wollen sich hierüber beraten lassen, richten sie ihren Wunsch an das örtliche Jugendamt. Das anschließende Bewerbungsverfahren ist ein zweiseitiger Entscheidungsprozess. Bewerbende müssen sich entscheiden, ob sie eine Pflegefamilie werden wollen, und das Jugendamt muss die Entscheidung treffen, ob es die Bewerbenden grundsätzlich für die Aufnahme eines Pflegekindes für geeignet hält. Während dieses Beratungsprozesses können u. a. Einzelgespräche, Hausbesuche, Informationsveranstaltungen und Seminare zum Einsatz kommen.
Schutzkonzept gem. § 37b SGB VIII
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder-und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) am 10. Juni 2021 traten zahlreiche Neuregelungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ein. Ein Schwerpunkt der Gesetzesnovellierung bildet insbesondere die Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien aufwachsen. Der Bundesgesetzgeber hat in diesem Zuge die Verpflichtung zur Anwendung von Schutzkonzepten bei Pflegeverhältnissen eingeführt (vgl. § 37b Abs. 1 SGB VIII) sowie die Sicherstellung von Beschwerdemöglichkeiten während der Dauer eines Pflegeverhältnisses festgeschrieben (vgl. § 37b Abs. 2 SGB VIII).
Dabei sollen Schutzkonzepte gemäß § 37b Abs. 1 SGB VIII auf mehreren Ebenen wirken:
- Prävention von Gefährdungsfällen in Pflegeverhältnissen.
- Gewährleistung von Handlungssicherheit hinsichtlich einzuleitender Maßnahmen und Abstimmungsprozesse auf Seiten der zuständigen Fachkräfte, dem Pflegekind selbst, aber auch den Pflegepersonen und Herkunftseltern bei eingetretener Gefährdung.
- Sicherstellung zielgerichteter Aufarbeitung von sich ereigneten Gefährdungen.
Jugendämter sind gemäß § 79a S. 2 SGB VIII verpflichtet, zunächst auf struktureller Ebene ein übergeordnetes Schutzkonzept gemäß § 79a SGB VIII zu entwickeln und dieses dann auf die individuellen Pflegeverhältnisse anzupassen. Dabei ist das fallbezogene Schutzkonzept mit der sozialpädagogischen Diagnose und dem Hilfeplan gem. § 36 SGB VIII in Verbindung zu bringen und zu verknüpfen.
Analog der Hilfeplanung sind fallbezogenen Schutzkonzepte im Verlauf des Pflegeverhältnisses regelhaft zu überprüfen, zu aktualisieren und fortzuschreiben. Sowohl bei der Erstellung als auch bei der Fortschreibung sind das Pflegekind, die Pflegepersonen, die Herkunftseltern und weitere relevante Akteurinnen und Akteure aus dem Umfeld des Pflegekindes seitens des Pflegekinderdienstes einzubeziehen und zu beteiligen.
Aufgaben des Landesjugendamts
Das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt unterstützt die Jugendämter bei der Erfüllung ihrer Beratungs- und Unterstützungsaufgaben durch Fachberatung, Fortbildungen, Fachtage und praxisnahe Arbeitshilfen. Die Unterbringung eines Kindes bzw. Jugendlichen aus dem europäischen Ausland in einer Pflegefamilie in Bayern bedarf der Zustimmung des Bayerischen Landesjugendamts.
Sollte die Unterbringung eines Kindes aus dem Ausland in einer Pflegefamilie in Bayern von einer ausländischen Behörde oder von einem ausländischen Gericht in Erwägung gezogen werden, sind vor der Unterbringung in Bayern die Regelungen des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes zu beachten, die die Vorgaben der Brüssel-IIb-Verordnung und des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ) konkretisieren. Das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt ist dann zuständig für die Durchführung des Konsultations- und Zustimmungsverfahrens.
Fachbeiträge und Publikationen
Veröffentlichungen des Landesjugendamts
ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt (Hrsg.) (2023): Fachliche Empfehlungen Schutzkonzepte in der Pflegekinderhilfe gemäß § 37b Abs. 1 SGB VIII. Beschluss des Bayerischen Landesjugendhilfeausschusses vom 15. November 2023.
Döbel, Heidrun; Zeh-Hauswald, Stefanie (2018): Orientierungshilfe zur Abgrenzung von Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII und Erziehungsstellen gemäß § 34 SGB VIII. In: ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt, Mitteilungsblatt 2/2018, S. 8-12. (noch nicht barrierefrei)
ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt (Hrsg.) (2016): Vollzeitpflege – Arbeitshilfe für die Praxis der Jugendhilfe; 3. vollständig überarbeitete Auflage. (noch nicht barrierefrei)
ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt (2020): Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle, Hilfeplan & Teilhabeplan. Arbeitshilfe zur Prüfung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls, zur Abklärung von Leistungsvoraussetzungen einer Hilfe zur Erziehung und einer Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, zur Durchführung des Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahrens in der Praxis.
ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt, (2020): Arbeitshilfe zur Anwendung der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, des Hilfeplans und des Mustervordrucks Teilhabeplan.
ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt (Hrsg.) (2010): Fragebögen für Verwandtenpflegebewerber; Checkliste, Basisbogen, Informationen und Fragen zur Aufnahme des Kindes/Jugendlichen. (Dokumente noch nicht barrierefrei)
ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt (2021): Fragebogen für Pflege- und Adoptionsbewerber (Basisbogen)
Wunsch, Angelika (2010): Sind Mitglieder sogenannter Sekten und Psychogruppen geeignet als Tages- und Vollzeitpflegepersonen? In: ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt, 1/2010, S. 9-19. (noch nicht barrierefrei)
Weitere empfohlene Veröffentlichungen
Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (2022): Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Strukturen, Verfahren und pädagogischen Prozessen in der Pflegekinderhilfe (Teil I und II).
Empfehlungen des Bayerischen Landkreistags und des Bayerischen Städtetags für die Vollzeitpflege nach dem SGB VIII (Stand 01.01.2024)
· Anhang: Beurteilungsbogen zum Mehrbedarf bei Sonderpflege (Stand 01.01.2024)
Britze, Harald; Döbel, Heidrun (2016): Qualitätsstandards für die Auswahl und Qualifizierung von Pflegefamilien. In: Michael Macsenaere, Klaus Esser, Stephan Hiller (Hg.): Pflegekinderhilfe zwischen Profession und Familie; Freiburg im Breisgau.