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Exkurs: Das Beispiel der Sozialraumorientierung
Sozialraumorientierung bedeutet in der aktuellen Fachdiskussion im Wesentlichen nichts
anderes als die Budgetierung der Aufwendungen für die Hilfen zur Erziehung in einem be-
stimmten, als Sozialraum definierten Stadtbezirk, und die Zuweisung eines solchen Budgets
an einen freien Träger, der unter Beachtung bestimmter Vorgaben dann die Hilfen zur Erzie-
hung aus einer Hand erbringt. Im besten Fall kommen noch Gesichtspunkte der Aktivierung
von anderen Ressourcen im sozialen Raum hinzu, sie sind aber unter dem Gesichtspunkt der
Finanzsteuerung letztlich konzeptionell nicht relevant.
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Bei dieser Zuspitzung des Terminus
„Sozialraum“ wird indes der gesellschaftliche und (sozial-)politische Gehalt des sozialen
Raums völlig zugeschüttet. Im Folgenden sollen einige dieser Schichten wieder abgetragen
werden.
Aus der Sicht der Betroffenen ist der soziale Raum zunächst einmal der Ort, an dem man
lebt, an dem man seine Wohnung hat, in dessen Nachbarschaft man sich heimisch fühlt, in
dem man arbeitet oder aus der man aus der Arbeit zurückgekehrt, in dem die Kinder auf-
wachsen und ihre ersten Erfahrungen mit ihrer Umwelt machen. Das ist oftmals der Ort, an
dem man sich im Verein, in der Kirche, in einer Bürgerinitiative engagiert. Es ist der Ort, an
dem die Kinder in die Kita und dann in die Schule gehen und so weiter. Dass in diesem Sozial-
raum dann auch Jugendhilfe stattfindet, kommt im Erleben der Betroffenen gegebenenfalls
hinzu, aber meist nicht als vorrangige oder vorherrschende Erfahrung. Die Verhältnisse in
diesem Sozialraum sind der Jugendhilfe zunächst auch nur zum geringen Teil unmittelbar
zugänglich. Wir wissen aber auch, dass die verschiedenen Sektoren dieses Sozialraums ziem-
lich unmittelbar auf die Chancen der jungen Menschen zu einem gedeihlichen Aufwachsen
einwirken. Ulrich Bürger hat in vielen Untersuchungen den korrelierenden Zusammenhang
zwischen der Wohnraumsituation, Arbeitslosigkeit, Armut einerseits und dem Bedarf an Hil-
fen zur Erziehung andererseits nachgewiesen
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. Wir wissen, dass die Häufung sozial unter-
privilegierter Schichten in einem Wohnquartier soziale Problemlagen geradezu potenziert.
Vor diesem Hintergrund dürfte eigentlich in der Jugendhilfe nicht vom Sozialraum gespro-
chen werden, ohne diese Verbindungen zu betrachten und nach ihrer Gestaltbarkeit zu fra-
gen. Mit anderen Worten: Es wird zu kurz gedacht, wenn der Sozialraum nicht sozialraum-
bedeutsame Faktoren wie Wohnen und Arbeiten mit einschließt.
In einer weiteren Schicht finden wir die Gemeinwesenarbeit als einen an sich traditionellen
Bestandteil der sozialen Arbeit, des professionellen Selbstverständnisses wieder (in der nach
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Exemplarisch hierzu – schon 2001 – Sozialpädagogisches Institut im SOS-Kinderdorf e. V. (Hrsg.): Sozialraumorientierung
auf dem Prüfstand. Rechtliche und sozialpädagogische Bewertungen zu einem Reformprojekt in der Jugendhilfe. München:
Eigenverlag 2001. Dessen Kern stellt ein Rechtsgutachten von Johannes Münder „Sozialraumorientierung und das Kinder-
und Jugendhilferecht“ dar.
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Siehe zum Beispiel: Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern, Dezernat Jugend – Landesjugendamt (Hrsg.),
Bürger, Ulrich: Zur Entwicklung von Jugendhilfebedarf und sozialstrukturellem Wandel. Zusammenfassung zentraler Ergeb-
nisse des Berichtes zum Zeitraum 1994 bis 1999. Nr. 5 aus der Reihe Jugendhilfeplanung und Qualitätsmanagement. Stutt-
gart: Juli 2002.