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Daher wird empfohlen, vor Abschluss derartiger länderübergreifender Vereinbarun-
gen zunächst abzuklären, ob und in welchem Umfang diese im Rahmen der überört-
lichen Kostenerstattung berücksichtigt werden.
1.7 Auslegung des Begriffes „unbegleiteter“ Minderjähriger
Im Rahmen der Abwicklung von Kostenerstattungsverfahren gegenüber den zustän-
digen überörtlichen Jugendhilfeträgern für Kosten der Unterbringung, Versorgung
und Betreuung von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen können Fallkonstel-
lationen auftreten, in denen die Auslegung des Begriffes „unbegleiteter ausländi-
scher Minderjähriger“ auf unterschiedliche Rechtsauffassungen trifft.
Dies betrifft vor allem Fälle, in denen unbegleitete ausländische Minderjährige ent-
weder in Begleitung von Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder in Flucht-
gemeinschaften nach Bayern eingereist sind und daher zunächst eine Unterbringung
nach ausländerrechtlichen Vorschriften in einer Gemeinschaftsunterkunft erfolgte.
Im Anschluss daran wurde der junge Mensch aus unterschiedlichen Gründen und
Motivationslagen unbegleitet in der Einrichtung zurückgelassen oder im Rahmen nä-
herer Überprüfungen stellte sich nachträglich heraus, dass der junge Mensch mit
nicht vertretungsberechtigten Begleitpersonen eingereist ist.
Eine Rechtsauffassung geht davon aus, dass in diesen Fällen keine unbegleitete Ein-
reise erfolgte und damit auch kein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Land
im Sinne des § 89d Abs. 1 SGB VIII entstehen könne.
Daher käme lediglich eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII in Betracht. Im An-
schluss daran ergebe sich eine überörtliche Kostenerstattungsverpflichtung der Be-
zirke nach § 89b Abs. 2 SGB VIII in Verbindung mit Art. 52 AGSG, weil ein kosten-
erstattungspflichtiger örtlicher Träger nicht vorhanden sei.
Diese Auffassung verkennt dabei, dass nach der Gesetzesformulierung des § 89d
Abs. 1 SGB VIII die unbegleitete Einreise kein Kriterium für das Entstehen eines Kos-
tenerstattungsanspruches darstellt.
Die gegenteilige Rechtsauffassung beruft sich auf die Begriffsdefinition nach EU-
rechtlichen Vorschriften (z. B. Art. 2 Buchst. l) der Richtlinie 2011/95/EU – Qualifikati-
onsrichtlinie vom 13.12.2011), denen zufolge als unbegleitet entgegen der Gesetzes-
formulierung des § 42a Abs. 1 Satz1 SGB VIII auch Minderjährige gelten, die zwar be-
gleitet mit einem verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitglied-
staates einreisen, dort jedoch auf Dauer ohne Begleitung zurückgelassen werden.
Geschuldet ist diese weitgehende Auslegung des Begriffes der unbegleiteten Ein-
reise sowohl den europarechtlichen Vorgaben wie auch der Grundintention des Ge-
setzes, eine abstrakte Gefährdung Minderjähriger in Deutschland zu vermeiden (vgl.
dazu Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar in LPK-SGB VIII, § 42a RdNr. 4).
Folgt man dieser Auffassung, ist nach dem Zeitpunkt des Verlassens eine vorläufige
Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII erforderlich. Ein Kostenerstattungsanspruch wird
dabei auf § 89d Abs. 1 Satz 2, letzte Alt. SGB VIII gestützt, nach dem die Monatsfrist
des Satzes 1 mit dem Tag der ersten Vorsprache bei einem Jugendamt zu laufen be-
ginnt.
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BLJA Mitteilungsblatt 4/16