Die Arbeitsgruppe favorisiert vor dem Hintergrund klarstellender europarechtlicher
Regelungen und der Absicht des Gesetzgebers zur umfassenden Betreuung und Ver-
sorgung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger die zweite Rechtsauslegung.
1.8 Urteil des BVerwG 5 C 9.15 vom 17.12.2915 zur Kostenerstattung bei Inobhut-
nahme eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers
Nach § 111 Satz 1 SGB X sind Kostenerstattungsansprüche ausgeschlossen, wenn
Erstattungsberechtigte sie nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten
Tages geltend machen, für den die Leistungen erbracht wurden.
Die bisherige Entscheidungspraxis der Gerichte ging überwiegend davon aus, dass
Jugendhilfe bzw. Jugendhilfeleistungen abschnittsweise in Monatszeiträumen ge-
währt und abgerechnet werden und die Kostenerstattung sich damit auf die letzten
12 Monate vor dem Erstattungsantrag beschränke.
Das BVerwG befand in seiner Entscheidung über die Verfristung von Kostenerstat-
tungsansprüchen für rückwirkende Zeiträume ab dem Fristbeginn im Sinne des § 111
Satz 1 SGB X.
Das Gericht stellte in Bestätigung seiner bisherigen Entscheidungspraxis zweierlei
klar, dass
– bei Inobhutnahmen im Kontext der Ausschlussfrist des § 111 SGB X von eigen-
ständigen Gesamtleistungen im kostenerstattungsrechtlichen Sinne auszugehen
ist, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit daran anschließenden Ju-
gendhilfeleistungen zu sehen seien und
– Kostenerstattungsansprüche bei Anmeldung innerhalb des Jahreszeitraums des
§ 111 Satz 1 SGB X den gesamten Zeitraum der Jugendhilfemaßnahme umfassen.
Damit ist für den Beginn der Ausschlussfrist der gesamte Gewährungszeitraum der
Jugendhilfe maßgebend, ausgehend vom letzten Tag ihrer Gewährung.
Die Abkehr von der zeitabschnittsweisen Betrachtung bedeutet für erstattungsbe-
rechtigte Jugendhilfeträger unter Umständen erhebliche verwaltungsmäßige Erleich-
terungen bei der Durchsetzung ihrer Erstattungsansprüche, weil Streitigkeiten über
den Umfang der Erstattungszeiträume damit meist obsolet geworden sind.
1.9 Urteil des OVG Koblenz 7 A 10607/13.OVG vom 03.03.2016 zur Inobhutnahme
von UMA durch einen Träger der freien Jugendhilfe
Inobhutnahmen im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII sind hoheitliche Maß-
nahmen, die nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich in Verantwortung der
öffentlichen Jugendhilfe erbracht werden dürfen.
Inobhutnahmen durch Träger der freien Jugendhilfe entsprechen nach Auffassung
des Gerichts auch dann nicht den Vorschriften des SGB VIII im Sinne des § 89f Abs. 1
SGB VIII, wenn sie zwar im Wege einer Allgemeinverfügung des Jugendamts grund-
sätzlich für alle Inobhutnahmen ausgesprochen werden, der tatsächliche Akt der Ent-
scheidung über die Inobhutnahme jedoch einem Träger der freien Jugendhilfe zur
Ausführung übertragen und ggfs. eine individuelle Verbescheidung durch das Ju-
gendamt zeitversetzt nachgeholt wird.
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BLJA Mitteilungsblatt 4/16
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