Fachliche Empfehlungen „Kriterien für persönliche Kontakte in der Vormundschaft gemäß § 55 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII, § 1793 Abs. 1a BGB“
Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 15.07.2014
Im Text wird durchgehend die zivilrechtliche Form des Begriffes „der Mündel“ verwendet.
Ebenso wird durchgehend der Begriff „der Vormund“ verwendet, auch wenn „der Pfleger“ gemeint ist. Besonderheiten zur Pflegschaft werden gesondert erwähnt.
Einleitung
Der Vormund erfüllt seine Aufgaben nach den Normen des Privatrechts. Bei der inhaltlichen Wahrnehmung seiner Aufgaben ist er nicht an Weisungen gebunden.
Vereins- und Amtsvormünder unterliegen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung jedoch den organisatorischen Standards und der Dienstaufsicht ihres Anstellungsträgers.
Der Vormund beteiligt den Mündel in allen ihn betreffenden Angelegenheiten und trägt damit seiner Subjektstellung Rechnung.
Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Empfehlungen eine fachliche Orientierung zur Umsetzung der persönlichen Kontakte mit dem Mündel im Rahmen einer Vormundschaft geben.
Der Amtsvormund nimmt in der kommunalen Verwaltung einer Gebietskörperschaft eine Doppelrolle ein.
Als Beschäftigter des Jugendamtes unterliegt er dessen Organisationshoheit und nimmt seine Aufgabe im Rahmen öffentlich-rechtlicher Richtlinien bzw. Standards und der Dienstaufsicht der Trägerkörperschaft wahr. Er unterliegt damit innerhalb der Behördenhierarchie grundsätzlich dem Weisungsrecht seiner Vorgesetzten.
Das Jugendamt überträgt die Führung von Amtsvormundschaften nach § 55 Abs. 2 SGB VIII einzelnen seiner Beschäftigten. Ab diesem Zeitpunkt nimmt der Amtsvormund die rein zivilrechtliche Aufgabe der Personen- und Vermögenssorge für seinen Mündel wahr. Er ist im Zusammenhang mit der rechtlichen Vertretung seines Mündels nicht an Weisungen gebunden. Die Aufsicht des jeweiligen Anstellungsträgers beschränkt sich hier auf das Einschreiten, wenn der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin sich pflichtwidrig verhält, also insbesondere rechtliche Vorgaben oder Interessen des Mündels nicht beachtet.
Anwendungsbereich der Empfehlungen
Diese Empfehlungen gelten, soweit nicht an einzelnen Stellen anders beschrieben, sowohl für ehrenamtliche Einzelvormünder, Amts- wie auch Vereinsvormünder. Bei Vorschlag von Einzelvormündern nach
§ 53 Abs. 1 SGB VIII ist es wünschenswert, auf die bestmögliche Qualifikation des Vormundes im Sinne der nachstehenden Empfehlungen zu achten.
- Einzelvormundschaft (§§ 1791b Abs. 1 Satz 1, 1791a Abs. 1 Satz 2 BGB)
Grundsätzlich haben ehrenamtliche Einzelvormundschaften Vorrang vor der Bestellung von Vereinen oder des Jugendamtes.
Jugendämter müssen sich daher um die Gewinnung ehrenamtlicher Vormünder bemühen. - Vereinsvormundschaft (§§ 1791a Abs. 1 BGB i. V. m. § 54 SGB VIII, § 1776 Abs. 1 BGB)
Die Bestellung eines Vereins zum Vormund setzt die Erlaubnis des Landesjugendamtes zur Übernahme von Vereinsvormundschaften voraus. Die Bestellung ist nur zulässig, wenn ein geeigneter ehrenamtlicher Einzelvormund nicht vorhanden ist oder der Verein von den Eltern benannt wurde. Eine gesetzliche Vorrangstellung vor Amtsvormundschaft gibt es nicht. - Bestellte Amtsvormundschaft des Jugendamtes (§ 1791b
Abs. 1 BGB i. V. m. § 55 SGB VIII)
Sie ist nur zulässig, wenn ein geeigneter ehrenamtlicher Einzelvormund nicht vorhanden ist. Das Jugendamt kann von den Eltern weder benannt noch ausgeschlossen werden (§ 1791b Abs. 1 Satz 2 BGB). - Gesetzliche Amtsvormundschaft des Jugendamtes (§ 1791c BGB)
Sie tritt kraft Gesetzes in den dort genannten Fällen (z. B.
§ 1791c Abs. 1 Satz 1 BGB) ein.
Gesetzliche Grundlagen:
§ 55 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII: Amtspfleger und Amtsvormund haben den persönlichen Kontakt zu diesem (Anm.: dem Kind oder der/dem Jugendlichen) zu halten sowie dessen Pflege und Erziehung nach Maßgabe des § 1793 Abs. 1a und § 1800 des Bürgerlichen Gesetzbuchs persönlich zu fördern und zu gewährleisten.
§ 1793 Abs. 1a BGB: Der Vormund hat mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll den Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten.
§ 1800 BGB: Das Recht und die Pflicht des Vormunds, für die Person des Mündels zu sorgen, bestimmen sich nach §§ 1631 bis 1633. Der Vormund hat die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten.
§ 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB:
(1) Auf die Pflegschaft finden die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
A. Persönlicher Kontakt des Vormundes mit dem Mündel
I. Sinn und Zweck/Ziel
- Gemäß § 1793 Abs. 1 BGB hat der Vormund das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen, insbesondere den Mündel zu vertreten. Der Vormund ist daher Inhaber des Sorgerechts gem. § 1626 Abs. 1 BGB und hat gemäß § 1800 Satz 2 BGB auch die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten. Für die Aufgabenerfüllung des Vormundes ist es unerlässlich, Vertrauensperson für den Mündel zu sein. Vertrauen wächst unter anderem durch regelmäßige, persönliche Kontakte, die der Gesetzgeber daher in § 1793 Abs. 1a BGB vorgesehen hat. Diese Aufgabe kann deshalb nur vom Vormund persönlich wahrgenommen werden.
- Der Vormund vertritt das Wohl des Mündels und dessen Interessen, „spricht“ für den Mündel. Hierbei hat der Vormund gem. §§ 1793 Abs. 1 Satz 2, 1626 Abs. 2 BGB die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Mündels zu selbständigem verantwortungsbewussten Handeln zu berücksichtigen, indem er beispielsweise die altersgerechte und ggf. kulturell entsprechende Beteiligung an Entscheidungen gewährleistet. Die Grundlage hierfür ist eine genaue Kenntnis des Mündels sowie von dessen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen. Auf diese Weise wird der Vormund auch in die Lage versetzt, wesentliche Entscheidungen für die Förderung und Entwicklung des Mündels zu treffen, um z. B. festzustellen, welche Betreuungsform (Pflegefamilie bzw. Einrichtung) den Bedürfnissen des Mündels am besten gerecht wird.
- Der regelmäßige, persönliche Kontakt kann dem Vormund zudem das frühzeitige Erkennen und Vermeiden von Kindeswohlgefährdungen ermöglichen.
- Bei der Pflegschaft kommt es für die Verpflichtung zum monatlichen Hausbesuch auf die jeweiligen Aufgabenkreise an. Jedenfalls dann, wenn dem Pfleger die Aufenthaltsbestimmung und/oder die Gesundheitssorge übertragen sind, wird auch bei diesen die regelmäßige Verpflichtung zum monatlichen Hausbesuch bestehen.
II. Ort des Kontaktes
- Gemäß § 1793 Abs. 1a Satz 2 BGB soll der Vormund den Mündel in der Regel persönlich in dessen üblicher Umgebung aufsuchen. Auf diese Weise kann er sich ein genaues Bild von den persönlichen Lebensumständen des Mündels verschaffen. Unter der „üblichen Umgebung“ sind in erster Linie die Wohnung der Pflegefamilie bzw. die Einrichtung, in der der Mündel untergebracht ist, oder auch die Wohnung der Eltern zu verstehen. Ein Treffen kann ausnahmsweise auch in sonstigen Lebensbereichen des Mündels stattfinden (z. B. Kita, Schule, Jugendzentrum), insbesondere, wenn der Mündel in Anwesenheit der Eltern/Pflegeperson nicht frei reden kann oder will. Auch im Hinblick auf die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Mündels zu selbständigem verantwortungsbewussten Handeln (vgl. § 1626 Abs. 2 BGB) kann ein persönlicher Kontakt an Orten ohne Anwesenheit der Eltern bzw. Pflegeperson angezeigt sein.
- Insbesondere auf Wunsch des Mündels kann ein Kontakt auch im Büro des Vormundes (z. B. Jugendamt, Vormundschaftsverein) stattfinden.
III. Häufigkeit und Dauer
- § 1793 Abs. 1a BGB sieht vor, dass der Vormund den Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen soll, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten. Dies bedeutet, dass der persönliche Kontakt grundsätzlich monatlich stattzufinden hat, sofern kein Ausnahmefall vorliegt.
- Soll im Einzelfall von den monatlichen Kontakten abgewichen werden, so ist dies sorgfältig zu dokumentieren und zu begründen, auch um der Berichtspflicht gegenüber dem Familiengericht zu genügen. Wünscht der Mündel einen häufigeren oder selteneren persönlichen Kontakt, so entscheidet der Vormund darüber in eigener Verantwortlichkeit, wobei Wünschen nach häufigerem Kontakt nach Möglichkeit zu entsprechen ist.
- Gründe für einen häufigeren persönlichen Kontakt können beispielsweise sein:
- Wunsch des Mündels nach mehr Kontakt
- Beginn des Amtes/„Anbahnungsphase“
- erhebliche Veränderung der Lebensumstände des Mündels („Übergänge“)
- schwierige Lebenssituation/Vermögenssituation des Mündels.
- Gründe für einen selteneren persönlichen Kontakt können beispielsweise sein:
- Wunsch des (jugendlichen) Mündels nach weniger Kontakt (vgl. § 1626 Abs. 2 BGB),
- aktuelle besondere zeitliche Beanspruchung des Mündels
(z. B. Abschlussprüfungen), sofern in beiden Konstellationen keine wesentlichen Veränderungen anstehen, ein Vertrauensverhältnis zwischen allen Beteiligten besteht und der Vormund über wichtige Ereignisse, z. B. durch die Pflegefamilie, informiert wird.
- Die Dauer der persönlichen Kontakte ist der aktuellen Situation und den Bedürfnissen des Mündels anzupassen. Als Orientierungswert kann der mittels der „Personalbemessung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Bayern“ (PeB) erhobene durchschnittliche Zeitbedarf von 70 Minuten (reine Gesprächszeit ohne Fahrtzeiten, Vor-/Nachbereitung, Dokumentation) dienen.
- Auslandsaufenthalte bedingen nicht zwingend eine geringere Besuchsfrequenz (z. B. Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 SGB VIII, Schüleraustausch).
IV. Form und Ausgestaltung
- Um eine weitgehende Partizipation des Mündels zu ermöglichen und eine vertrauensvolle Basis zwischen Vormund und Mündel zu schaffen, sollten bei der Planung und Durchführung der persönlichen Kontakte die Mitbestimmungsmöglichkeiten und Wünsche des Mündels berücksichtigt werden (z. B. Termin, Ort, Dauer).
- Im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme mit dem Mündel sollte der Vormund über seine Aufgaben sowie die Rechte und Möglichkeiten des Mündels (z. B. Wechsel des Vormundes) informieren. Gerade bei Erstkontakten werden die behutsame Kontaktaufnahme mit dem Mündel und das Signalisieren, dass Wünsche nach Möglichkeit Berücksichtigung finden können, essentiell für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sein.
- § 1793 Abs. 1a BGB sieht einen persönlichen Kontakt zwischen Vormund und Mündel vor. Es ist daher im Regelfall ein persönliches Einzelgespräch zu führen, das dem Mündel die Möglichkeit bietet, Vertrauen zu seinem Vormund zu gewinnen und Bedürfnisse zu äußern. Im Einzelfall kann es hierbei auch im Kontakt mit kleineren Kindern geboten sein, die Möglichkeit für ein Vier-Augen-Gespräch zu eröffnen.
- Elektronische Kommunikationsmöglichkeiten (z. B. Videotelefonie, E-Mail, SMS) oder Telefonate können ergänzend zum Einsatz kommen, um die Kontakte zu intensivieren und das Vertrauen des Mündels zu stärken. Sie ersetzen jedoch keinesfalls den regelmäßigen persönlichen Kontakt.
- Bei Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien ist insbesondere auf den Schutz personenbezogener Daten sowohl des Mündels als auch des Vormunds zu achten.
- Zur Schaffung einer entspannten, vertrauensvollen Atmosphäre können kleinere Einladungen (z. B. Eis) und Geschenke zu besonderen Anlässen (z. B. Geburtstag, Weihnachten) beitragen, die ein entsprechendes Handgeld für den Vormund voraussetzen (siehe hierzu Punkt VII.). Zudem kann die Gestaltung einer individuellen Visitenkarte („Ich bin Dein Vormund… Du erreichst mich wie folgt: Büro…/mobil…“) hilfreich sein, um die Kontaktaufnahme zu vereinfachen und Vertrauen aufzubauen.
- Der Vormund sollte die Möglichkeit haben, den persönlichen Kontakt mit dem Mündel im Einzelfall bedarfsgerecht zu gestalten, z. B. in Abhängigkeit vom Stadium der Vormundschaft, Krisen, Rahmenbedingungen (Schulbesuch, Freizeitaktivitäten etc.).
- Sollte sich der Mündel neben den regelmäßigen persönlichen Kontakten, z. B. zur Klärung von Einzelfragen, an den Vormund wenden, so ist dies nicht automatisch als Ersatz für den in der Regel monatlichen Kontakt mit dem Vormund anzusehen, kann aber im gegenseitigen Einvernehmen zu einem solchen Gespräch genutzt werden.
- Zum Erhalt des Vertrauensverhältnisses zwischen Vormund und Mündel ist eine möglichst langfristige, kontinuierliche Vormundsbestellung erforderlich. Dies schließt kurzzeitige bzw. befristete Arbeitsverträge regelmäßig aus.
- § 87c Abs. 3 Satz 3 SGB VIII sieht einen Zuständigkeitswechsel sowie eine dahingehende familiengerichtliche Entscheidung vor. Mit Blick auf die Kontinuität der Beziehung zwischen Vormund und Mündel kann es aber im Einzelfall angezeigt sein, die Weiterführung der Vormundschaft in der bisherigen Zuständigkeit in Absprache der Jugendämter unter Einbeziehung des Mündels durch das die Vormundschaft weiterführende Jugendamt anzuregen.
V. Beteiligung bei der Auswahl (§ 55 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII)
- Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII soll das Jugendamt vor der Übertragung der Aufgaben des Amtspflegers oder Amtsvormunds das Kind oder den Jugendlichen zur Auswahl des bzw. der Beamten oder Angestellten mündlich anhören, soweit dies nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen möglich ist. Eine ausnahmsweise vor der Übertragung unterbliebene Anhörung ist unverzüglich nachzuholen (§ 55
Abs. 2 Satz 3 SGB VIII). - Nach der Gesetzesbegründung zu § 55 Abs. 2 SGB VIII soll die Pflicht zur Anhörung die Interessen des Mündels/Pfleglings und seinen Einfluss auf das Verfahren stärken. Sie soll nur dann entfallen, wenn der Mündel aufgrund seines Alters und Entwicklungsstandes nicht zu einer Äußerung imstande ist. Auch in Fällen, in denen die Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich der personellen Ressourcen des Jugendamtes begrenzt oder nicht vorhanden sind, soll eine Anhörung des Mündels/Pfleglings stattfinden, um seine Stellung als Subjekt des Verfahrens zu verdeutlichen.
- Gesetzlich normiert ist damit kein Auswahlrecht des Mündels unter mehreren Vormündern im Sinne eines Wunsch- und Wahlrechts, sondern eine Beteiligung an der Auswahl, die jedoch im Einzelfall auch dazu führen kann, dass einer Person die Aufgabe eines Amtsvormunds nicht übertragen werden kann. Die Argumente des Mündels für bzw. gegen die Übertragung auf eine bestimmte Mitarbeiterin bzw. einen bestimmten Mitarbeiter sind zu berücksichtigen.
- Bei Vorhandensein mehrerer Vormünder kommen als Entscheidungskriterien für oder gegen die Übertragung z. B. in Betracht:
- Geschlecht
- Kultureller Hintergrund
- Fremdsprachenkenntnisse
- Zusatzqualifikationen
- Herkunft aus derselben (kleinen) Gemeinde
- Kind/Jugendliche/Jugendlicher hatte bereits Kontakt mit dem Vormund in anderer Funktion.
- Die Mündel sollten spätestens zu Beginn der Anhörung über die Aufgaben des Vormundes, ihre Rechte, wichtige Adressen usw. informiert werden (ggf. in Form eines Flyers).
- Zwar findet sich eine gesetzliche Regelung nur für die Amtsvormundschaft. Dennoch wird den Vereinen dringend empfohlen, geeignete Kriterien zur Beteiligung des Mündels bei der Auswahl des Vereinsvormunds zu anzuwenden.
VI. Qualifikation des Vormunds
Die Führung von Vormundschaften stellt einen komplexen Aufgabenbereich dar, der hohe berufliche und persönliche Anforderungen an die Fachkräfte stellt. Der Aufgabenbereich der Vormünder sollte die Möglichkeit zur Spezialisierung zulassen, weshalb Mischarbeitsplätze (z. B. Kombination mit Beistandschaften) möglichst zu vermeiden sind. Durch regelmäßige Fortbildungen, Supervisionen, Teambesprechungen und Maßnahmen der Qualitätssicherung kann sichergestellt werden, dass die Aufgaben auf einem fachlich hohen Niveau erfüllt werden.
Eine Ausbildung mit abgeschlossenem (Fach-)Hochschulstudium bzw. vergleichbarer Qualifikation in den Bereichen Sozialpädagogik oder Verwaltung und vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen in Recht und Verwaltung, Pädagogik und Psychologie gehören ebenso zu den Anforderungen wie besondere Fachkenntnisse und persönliche Fähigkeiten.
In folgenden Bereichen sollten Kenntnisse vorhanden sein oder im Laufe der Tätigkeit erworben werden:
Recht und Verwaltung
- Zivilrecht (Familien- und Abstammungsrecht, Unterhaltsrecht, Adoptionsrecht, Erbrecht, Vertragsrecht, FamFG),
- Sozialrecht (SGB Teile I, II, VIII und XII, Kindergeldrecht, OEG),
- Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrecht (SGB X, VwVfG, ZPO),
- Ausländerrecht (z. B. Asylrecht, Aufenthaltsrecht),
- Internationale Vereinbarungen und Vorschriften (HKÜ, KSÜ),
- Kenntnisse und Erfahrungen über den Aufbau öffentlicher Verwaltungen und Gerichtsorganisation.
Pädagogik und Psychologie
- Kommunikationspsychologie, insbesondere Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen,
- entwicklungspsychologische Kenntnisse,
- Wissen über die Auswirkungen von Trennungs-, Vernachlässigungs- und Verlusterlebnissen,
- Wissen über die Folgen körperlichen oder sexuellen Missbrauchs oder Misshandlung von Kindern.
Besondere persönliche Kompetenzen
- Lebenserfahrung
- Fähigkeit zur altersgerechten Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen
- Einfühlungsvermögen im Kontakt mit Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft
- Soziale Kompetenz und ein hohes Maß an Eigenverantwortung
- Kooperationsfähigkeit, Verhandlungsgeschick, sicheres und verbindliches Auftreten
- Durchsetzungsvermögen im Interesse der Vertretenen
- Eigenständigkeit, professionelle Distanz
- Selbstkritische Reflexion der beruflichen Rolle
- Fähigkeit zu analytischem Denken
- Gute mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit
- Physische und psychische Belastbarkeit
- Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung.
Praxiserfahrung
- Beratung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen in besonders belasteten Lebenssituationen
- Mitwirkung bzw. Beteiligung an jugendhilferechtlichen Verfahren (z. B. §§ 27 ff., 36 SGB VIII).
VII. Ausstattung des Vormunds
- Es wird empfohlen, dem Vormund jährlich ein sog. Handgeld,
z. B. für Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke, besondere Anlässe, kleine Einladungen und die Kontaktgestaltung mit dem Mündel, zur Verfügung zu stellen. - Unabdingbar sind zudem die mobile Erreichbarkeit des Vormundes, z. B. mittels Diensthandy, und die Gewährleistung seiner Mobilität, beispielsweise durch die Bereitstellung von Fahrkarten oder eines Dienstwagens.
B. Rolle, Zusammenarbeit, Kooperation
- Zu den Aufgaben des Vormundes gehört es auch, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sowohl den Bezug des Mündels zu seinem bisherigen Herkunftssystem als auch seine aktuellen Lebensumstände zu berücksichtigen und so weit möglich zu fördern.
- Zudem hat er die Umgangskontakte des Mündels mit leiblichen Eltern und anderen Bezugspersonen zu regeln und zu gewährleisten.
- Als gesetzlicher Vertreter des Mündels ist der Vormund integraler Bestandteil der Hilfeplanung und sichert die Rechte des Mündels gegenüber der Verwaltung des Jugendamtes und den Erbringern von Hilfen zur Erziehung.
- Haben unter Umständen mehrere Stellen (z. B. Allgemeiner Sozialdienst/ASD, Pflegekinderdienst, Jugendhilfe in Strafverfahren) gleichzeitig Kontakt mit dem Mündel bzw. der (Pflege-)Familie, kann dies zur Überforderung des Mündels und/oder der (Pflege-)Familie sowie zu Konflikten führen. Es ist in diesem Fall empfehlenswert, vorbeugend die Zusammenarbeit, die Abgrenzung der Aufgabenbereiche etc. in einer Kooperationsvereinbarung bzw. durch amtsinterne Regelungen zu klären.
- Ist der Mündel in einer Pflegefamilie untergebracht, empfiehlt es sich, ergänzend zu den Regelungen im Hilfeplan eine Vereinbarung abzuschließen, um z. B. die Aufgaben von Vormund und Pflegeeltern abzugrenzen.
- Der Vormund untersteht der Fachaufsicht des Familiengerichtes (§ 1837 BGB). Er hat dem Familiengericht mindestens ein Mal jährlich einen Bericht gem. § 1840 BGB vorzulegen. Zudem zählt es zu seinen Aufgaben, z. B. gerichtliche Genehmigungen zu beantragen (z. B. §§ 1810, 1812, 1819 ff.).
- Für den Bereich des Datenschutzes gelten Sonderregelungen im SGB VIII. Diese dokumentieren die Sonderstellung im Bereich der Beistandschaft, Amtspflegschaft und Amtsvormundschaft und sind unter § 68 SGB VIII aufgeführt.
Zwar gelten die Datenschutzbestimmungen des SGB VIII unmittelbar nur für die Amtsvormundschaft, besondere Datenschutzordnungen wie zum Beispiel die kirchlichen Datenschutzordnungen der katholischen und der evangelischen Kirche, sehen aber eine entsprechende Anwendbarkeit dieser Bestimmungen ebenso vor.
C. Verantwortung, Haftung
- Der Einzelvormund haftet dem Mündel persönlich für Schäden, die durch eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten verursacht werden (§ 1833 Abs. 1 BGB).
- Die Gebietskörperschaft haftet für Verschulden des Amtsvormunds, ein Rückgriff ist im Innenverhältnis nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Vormunds möglich (Amtshaftung § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG).
- Bei Vereinsvormundschaften gelten die allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Grundsätze. Der ausreichende Versicherungsschutz ist gemäß § 54 Abs. 2 Ziffer 1 SGB VIII Voraussetzung einer Erlaubniserteilung durch das jeweilige Landesjugendamt.
- Auch ein Verstoß gegen die in § 1793 Abs. 1a BGB normierte Rechtspflicht zu in der Regel monatlichen Kontakten mit dem Mündel kann zur Haftung des Vormundes gemäß § 1833 BGB führen. Gründe für ein Abweichen von dieser Regel sind daher sorgfältig zu dokumentieren.
- Zur Erfüllung dieser Pflicht ist eine bedarfsgerechte Personalausstattung erforderlich.
D. Dokumentation
Die Aufgabenübertragung auf den Vormund (§ 55 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) und die mündliche Anhörung des Kindes oder des Jugendlichen zur Auswahl des Amtsvormunds (§ 55 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) sind zu dokumentieren.
Gemäß § 1840 Abs. 1 BGB hat der Vormund dem Familiengericht über die persönlichen Verhältnisse des Mündels mindestens einmal jährlich zu berichten. Neben der Darstellung der persönlichen Verhältnisse des Mündels muss der Bericht gemäß § 1840 Abs. 1 Satz 2 BGB zusätzlich Angaben zu den persönlichen Kontakten des Vormunds mit dem Mündel enthalten. Das Gesetz nennt keine konkreten Vorgaben für die Berichte über die persönlichen Kontakte, jedoch werden Angaben zu den folgenden Punkten von der Mehrzahl der Familiengerichte als erforderlich angesehen:
- Zeitpunkt der Kontakte
- Ort der Kontakte
- Dauer des einzelnen Termins
- teilnehmende Personen
- wesentliches Ergebnis des Gesprächs
- ggf. einzelfallbezogene Begründung, wenn weniger als ein Besuchskontakt pro Monat stattgefunden hat.
Nach der Gesetzesbegründung liegt es im Ermessen des Gerichts, welche Anforderungen an die Berichterstattung gestellt werden. Es empfiehlt sich daher, dass das jeweilige Jugendamt bzw. der die Vormundschaft führende Verein und das zuständige Familiengericht Absprachen über das Vorgehen bei der Berichterstattung treffen. Die mit der Berichterstattung verbundene Weitergabe persönlicher Daten an das Gericht ist zur Erfüllung der Aufgaben des Vormunds und zum Zweck der Aufsicht durch die zuständige Stelle erforderlich und somit nach § 68 Abs. 1 SGB VIII bzw. den für Vereine geltenden Datenschutzbestimmungen rechtmäßig.
E. Besonderheiten bei der Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge
Die Führung von Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist im Regelfall aus folgenden Gründen wesentlich zeitaufwändiger:
- Vielfach bestehen sprachliche Barrieren, es sind Dolmetscher erforderlich.
- Oft ist der rechtliche und soziale Status als Minderjähriger, Flüchtling oder Asylbewerber zu klären.
- Schwierige rechtliche und/oder interkulturelle Fragestellungen erfordern das Hinzuziehen weiterer fachkundiger Personen, z. B. eines Rechtsanwalts und bedingen erhöhten Beratungsbedarf (u. U. Anwendbarkeit des Heimatrechts des Mündels).
- Das fremde Lebensumfeld, fehlende familiäre Kontakte oder Bezugspersonen und traumatische Erfahrungen erschweren die Vertrauensbildung.
- Die Organisation der Kontakte gestaltet sich oftmals schwierig (z. B. Auffinden eines geeigneten Ortes für die Gespräche außerhalb des Behördengebäudes.
- Im Regelfall sind die Verweildauern erheblich kürzer als bei anderen Mündeln (z. B. ausländerrechtliches Verteilungsverfahren, Asylverfahren).
- Monatliche Besuchskontakte sind meist nicht ausreichend, es bedarf einer höheren Kontaktdichte.
Zu weiteren Fragestellungen betreffend den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird verwiesen auf die Handlungsempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014.
Anhang 1:
Musterstellenbeschreibung des Amtsvormundes/Amtspflegers
(Ergebnis aus der Arbeitsgruppe einer bundesweiten Fachtagung des DIJuF vom November 2011 in Dresden zur Reform des Vormundschaftsrechts)