Psychiatrische Einrichtungen

1. Rahmenbedingungen

 

Der Weg in die Kinder- und Jugendpsychiatrie

Durch Gründung der Kinder- und Jugendpsychiatrie als eigenständige Fachdisziplin in den 1950er Jahren, entstanden in den Kliniken vermehrt eigene Abteilungen dieser Disziplin. Trotzdem gab es eine ständige Unterversorgung und Mangel an Plätzen.

An der Entscheidung zur Aufnahme wurden Kinder und Jugendliche in der Regel nicht beteiligt. Sie waren somit bereits hier struktureller Gewalt ausgesetzt. Abweichendes Verhalten galt damals als krankhaft. Viele Kinder und Jugendlichen fielen deshalb aus dem Jugendhilfesystem heraus und kamen stattdessen in die Psychiatrie. "Verwahrlosung" war häufig der Grund für die Einweisung. Sozial benachteiligte Minderheiten aus armen und familiär schwierigen Verhältnissen wurden überproportional oft in Psychiatrien eingewiesen.

2. Leid und Unrecht in den Kinder- und Jugendpsychiatrien

Chronische Unterfinanzierung, dauerhafte Überbelegung sowie Personal- und Raumnot prägten den Alltag in den Kinder- und Jugendpsychiatrien. Die Kinder und Jugendlichen waren dort ständiger Missachtung und fehlender Wertschätzung ausgesetzt. Nahezu jeder Einfluss auf ihre Lebensführung wurden ihnen verwehrt. Sogar Briefe an die Familien wurden kontrolliert, wodurch die Kinder kaum Möglichkeiten zur Beschwerde über die schlechte Behandlung hatten.

Statt Förderung, Zuwendung und angemessene Freizeitmöglichkeiten gab es Disziplinierungsmaßnahmen und Strafen sowie medikamentöse Ruhigstellung.

Die Kinder und Jugendlichen in den Psychiatrien galten als Randgruppe der Gesellschaft, deren soziale Ausgrenzung sich auch an den abgeschiedenen Lagen in denen sich die Einrichtungen oft befanden zeigte.


Verweigerung von Individualität und Lebensgestaltungsmöglichkeiten

Teilhabe und Entscheidungsmöglichkeiten gab es kaum. Persönliche Interessen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen wichen den Notwendigkeiten der Einrichtung. Die Erzieherinnen und Erzieher griffen in die Intimsphäre der Kinder und Jugendlichen ein, um ein anstaltskonformes Verhalten zu erzwingen.

Mangelnde Beteiligung, auch bei der Auswahl und Durchführung therapeutischer Maßnahmen, führten zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins und der Fremdbestimmtheit bei den Kindern und Jugendlichen.

Medizinische Gewalt

Auch schon in der Zeit von 1949-1975 galten medizinische Eingriffe ohne Einwilligung oder gegen den Willen der Patientinnen und Patienten in der BRD als Körperverletzung. Dennoch war die ärztliche Grundhaltung gegenüber minderjährigen Patientinnen und Patienten bevormundend. Es wurden belastende medizinische Maßnahmen durchgeführt wie z. B. Verabreichung von Psychopharmaka, Elektrokrampftherapie, Lumbalpunktionen. Auf die Einwilligung von Sorgeberechtigten und die Aufklärung bzgl. Nebenwirkungen wurde häufig verzichtet. Die Betroffenen erlebten dies als Bevormundung, Zwang und Misshandlung.
Die Gabe von Psychopharmaka war in psychiatrischen Einrichtung damals üblich. Auch Minderjährige waren davor nicht geschützt. Eine regelmäßige Überprüfung der Medikation fand in der Regel nicht statt.

Medikationen fanden auch im direkten Zusammenhang mit disziplinierenden Ereignissen statt. In diesem Kontext wird von einer "unsachgemäßen" Indikation gesprochen.
In den 1950er Jahren befand sich die Arzneimittelgruppe Neuroleptika noch in der Entwicklungsphase. Da es erst ab 1978 in der BRD ein rechtsverbindliches Zulassungsverfahren für Medikamente gab, war davor der Übergang zwischen Therapieversuchen, klinischer Forschung und Markteinführung fließend. Es ist davon auszugehen, dass Minderjährige in psychiatrischen Einrichtungen unwissentlich zur klinischen Erprobung von Medikamenten herangezogen wurden.

Pädagogische Gewalt

Die Atmosphäre in den Kinder- und Jugendpsychiatrien war oft von Angst und Unsicherheit geprägt. Die Minderjährigen waren physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Bestrafungen dienten als Erziehungsmittel. Dazu gehörten körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt.

Fazit

Die beschriebenen strukturellen Ungerechtigkeiten verletzen die moralischen Rechte der Kinder und Jugendlichen und haben tiefgreifende, langfristige Auswirkungen auf ihre Lebenswege. Die Bedingungen in den psychiatrischen Einrichtungen behinderten sie in ihrer persönlichen Entfaltung. Diese negativen Erfahrungen können ihre Lebensgestaltung und -entwicklung bis heute beeinflussen und prägen. Aufgrund ihrer erhöhten und institutionell bedingten Verletzlichkeit stehen ihnen nur begrenzte Bewältigungs- und Verarbeitungsmechanismen zur Verfügung, was ihr Leben bis ins Erwachsenenalter erheblich beeinträchtigen kann.