Brüssel-IIb-Verordnung bzw. KSÜ
Wenn Kinder oder Jugendliche bei Pflegeeltern oder in einem Heim in einem anderen Staat untergebracht werden sollen und dies von einer staatlichen Stelle veranlasst wird, d. h. von einer Behörde oder einem Gericht, spricht man von einer grenzüberschreitenden Unterbringung.
Zum Schutz der Kinder und Jugendlichen wurden internationale Regelungen für die Voraussetzungen und Durchführung einer solchen grenzüberschreitenden Unterbringung getroffen, das sogenannte Konsultations- und Zustimmungsverfahren.
Die Unterbringung in EU-Mitgliedstaaten (außer Dänemark) wurde bisher in der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates der Europäischen Union über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel II a-Verordnung; Brüssel IIa-VO) geregelt. Ab 01.08.2022 wurde die bisherige VO durch die VO (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 (Brüssel II b–VO) abgelöst.
Im Haager Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kinderschutzübereinkommen; KSÜ) wird die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen aus Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, die nicht zugleich unter die Brüssel IIb-Verordnung fallen, geregelt. Die Liste der Vertragsstaaten ist auf der Internetseite der Haager Konferenz HCCH hinterlegt.
Die nähere Ausgestaltung der Unterbringung nach der Brüssel IIb-VO bzw. des KSÜ erfolgt durch nationale Gesetze der Aufnahmestaaten. In Deutschland ist dies das Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG).
Rechtsgrundlagen
Nach diesen Regelungen darf eine behördlich veranlasste grenzüberschreitende Unterbringung nur erfolgen, wenn das entsprechende Konsultationsverfahren durchlaufen wurde und die zuständige Zentrale Behörde des Aufnahmestaates die Zustimmung erteilt hat.
Dies gilt sowohl für die grenzüberschreitende Unterbringung von Kindern und Jugendlichen aus dem Ausland in Deutschland als auch von Deutschland ins Ausland.
Unterbringung in Deutschland
Zuständig für die Erteilung der Zustimmung zu einer Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen nach Artikel 82 Brüssel–IIb-VO bzw. Art. 33 KSÜ aus dem Ausland in Deutschland ist der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 45 IntFamRVG); bei einer Unterbringung in Bayern ist dies das Bayerische Landesjugendamt. Dieses führt ein Konsultationsverfahren durch, wie es in § 46 IntFamRVG festgelegt ist. Auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen zu dem jeweiligen Fall durch die ersuchende ausländische Behörde wird geprüft, ob die grenzüberschreitende Unterbringung dem Kindeswohl entspricht und plausibel ist.
Die beabsichtigte Unterbringung in Deutschland muss dem Wohl des Kindes entsprechen, insbesondere weil es eine besondere Bindung zu Deutschland hat.
Dem Ersuchen auf Zustimmung zur grenzüberschreitenden Unterbringung sind nachstehende Angaben bzw. Unterlagen beizufügen:
- Bericht und - soweit erforderlich – ärztliche Zeugnisse oder Gutachten, aus denen sich die Gründe für die beabsichtigte Unterbringung ergeben
- Angaben über die altersgemäße Anhörung des Kindes/Jugendlichen
- Zustimmung der geeigneten Einrichtung/Pflegefamilie und die Bestätigung, dass der Vermittlung dorthin keine Gründe entgegenstehen
- Regelung der Kosten der Unterbringung (i. d. R. durch Kostenübernahmeerklärung der ersuchenden Behörde im Ausland)
- Nachweis über die Krankenversicherung, z. B. gemäß EU-Formular E 109 (bzw. ecard)
- gegebenenfalls ein Auszug aus dem Strafregister bei straffälligen Jugendlichen
Eine freiheitsentziehende Unterbringung in Deutschland darf nur genehmigt werden, wenn im ersuchenden Staat über die Unterbringung ein Gericht entschieden hat und bei Zugrundelegung des mitgeteilten Sachverhalts eine freiheitsentziehenden Unterbringung nach deutschem Recht ebenfalls zulässig wäre (§ 46 Abs. 2 IntFamRVG).
Die Zustimmung zur grenzüberschreitenden Unterbringung eines ausländischen Kindes kann nur erteilt werden, wenn eine ausländerrechtliche Genehmigung erteilt oder zugesagt wurde. Das Bayerische Landesjugendamt setzt sich hierzu gemäß § 46 Abs. 4 IntFamRVG mit der für den Ort der Unterbringung zuständigen Ausländerbehörde in Verbindung.
Wenn alle Dokumente bzw. Angaben vorliegen, wird das zuständige Familiengericht gem. § 47 IntFamRVG um Genehmigung der Zustimmung gebeten.
Über die Entscheidung, ob der Unterbringung zugestimmt wird oder nicht, erhält die ersuchende Behörde eine schriftliche Mitteilung; die Entscheidung ist unanfechtbar, d. h. es können keine Rechtsmittel eingelegt werden.
Die Einrichtung / Pflegefamilie, ggf. die Heimaufsicht, das örtlich zuständige Jugendamt und das Bundesamt für Justiz. erhalten einen Abdruck der Entscheidung.
Kafala-Verfahren
Eine Kafala nach islamischem Recht entspricht in etwa einem Pflegeverhältnis mit Vormundschaftsübertragung an die Pflegeeltern. Die grenzüberschreitende Unterbringung eines Kindes zu den in Deutschland lebenden Kafala-Pflegepersonen erfordert ein Konsultations- und Zustimmungsverfahren nach Art. 33 KSÜ.
Wichtig: Die Kafala-Entscheidung darf erst nach der erteilten Zustimmung der zuständigen Zentralen Behörde in Deutschland ausgesprochen werden.
Wird die Kafala-Entscheidung vor der Zustimmung ausgesprochen, stellen deutsche Auslandsvertretungen i. d. R. kein Einreisevisum für das Kind aus.
Unterbringung im Ausland
Bayerische Jugendämter, die Kinder oder Jugendliche im Ausland unterbringen möchten, müssen ebenfalls ein Konsultations- und Zustimmungsverfahren durchführen. Das Bayerische Landesjugendamt ist hierbei nicht beteiligt.
Die Jugendämter müssen i. d. R. selbst mit der Zentralen Behörde des Aufnahmelandes Kontakt aufnehmen, bei einigen Staaten muss das Verfahren aber auch über das Bundesamt für Justiz als Zentrale Behörde Deutschlands geführt werden. Entsprechende Informationen sind daher direkt dort einzuholen.