Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle & Hilfeplan
Das für jede längerfristig eingesetzte Hilfe zur Erziehung vorgesehene Hilfeplanverfahren ist ein wichtiges Qualitätsinstrument der Einzelfallhilfe (mit Bezug zur Jugendhilfeplanung). Dem Hilfeplanverfahren geht grundsätzlich ein Beratungsprozess voraus, in dessen Rahmen hinsichtlich möglicher Folgen für die Entwicklung des jungen Menschen Personensorgeberechtigte, Kinder oder Jugendliche aufzuklären sind und zwar vor ihrer Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe. Sofern die Familie die Probleme aus eigener Kraft oder mit Hilfe ihres sozialen Umfelds nicht lösen kann und die zuständige Jugendbehörde das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen feststellt, ist ein Leistungsanspruch auf Hilfe im rechtlichen Sinn gegeben.
In der Medizin und Psychologie ist die Stellung einer Diagnose regelhafter Arbeitsalltag. Je sorgfältiger sie ausfällt, desto zielgenauer kann geholfen werden. Relativ neu ist das diagnostische Verfahren für Sozialpädagoginnen und -pädagogen in den Allgemeinen Sozialen Diensten und bei den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen des Bayerischen Landesjugendamts helfen die Lebenssituation eines jungen Menschen, seiner Familie und seines sozialen Umfeldes umfassend zu betrachten und in strukturierter Form zu bewerten. Dabei werden Risiken und Ressourcen eines Familiensystems gleichgewichtig betrachtet. Zugute kommt ein solch strukturiertes Vorgehen in der Kinder- und Jugendhilfe letztendlich den hilfebedürftigen jungen Menschen und ihren Familien, da zu einem höheren Prozentsatz effektive Hilfen ausgewählt werden, Anschlusshilfen eher entfallen und die Zufriedenheit der Leistungsberechtigten steigt. Zudem erhalten die sozialpädagogischen Fachkräfte im Jugendamt mehr Handlungssicherheit.
Rechtsgrundlagen
Fortschreibung der Sozialpädagogischen Diagnose
Die ursprünglich 2001 vom Bayerischen Landesjugendamt für sozialpädagogische Fachkräfte herausgegebene und 2009 nach erfolgreichem Abschluss eines fünfjährigen Evaluationsprojekts aufgelegte Handreichung „Sozialpädagogische Diagnose“ wurde im Jahr 2013 unter dem Titel „Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle & Hilfeplan“ komplett überarbeitet und neu aufgelegt. Mit der Neufassung aus dem Jahr 2020 wurden die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, v.a. in Bezug auf die jüngsten Entwicklungen und Anforderungen an die Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund der Anforderungen durch das Bundesteilhabegesetz, erweitert.
Wesentliche Veränderungen der Neufassung der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen:
- Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle zur Prüfung einer Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a SGB VIII,
- Ergänzung des Hilfeplans um die Aspekte der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII,
- an die Bedarfe der Kinder- und Jugendhilfe angepasster Mustervordruck Teilhabeplan auf Grundlage der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation.
Wie schon in der Fassung von 2013 liegen die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen weiterhin in Form einer bearbeitbaren PDF-Datei vor, die eine Verknüpfung mit dem an die Sozialpädagogische Diagnostik angeschlossenen Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahren ermöglicht.
Das diagnostische Verfahren hilft, die Arbeit der Jugendämter, die immer wieder im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik stehen, zu verbessern. Haben sie doch die schwierige Aufgabe, Eltern einerseits in Erziehungsfragen zu beraten, andererseits Kinder zu schützen und rechtzeitig wirksame Hilfe zu leisten, wenn es ohne Unterstützung von außen nicht mehr geht. Die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, Hilfeplan & Teilhabeplan tragen auch dazu bei, den Wandel des Jugendamts von der ehemaligen Fürsorgebehörde zum modernen sozialen Dienstleistungsunternehmen in der öffentlichen Meinung deutlich zu machen.
Das Jugendamt schätzt nach Durchführung der Sozialpädagogischen Diagnostik die Lebenssituation des jungen Menschen, seiner Familie und seines sozialen Umfeldes in Hinblick auf den Beratungs-, Leistungs- oder Interventionsbedarf ein. Hierzu hat das Bayerische Landesjugendamt ein eigenes Hilfeplanverfahren entwickelt. Im Zusammenwirken mit der Familie, weiteren Bezugspersonen und anderen Fachkräften wird beraten, welches Leistungsangebot der Familie unterbreitet werden kann. Die sich daran anschließende Problemanalyse im Fachkräfteteam, an deren Ende ein Entscheidungsvorschlag im Hinblick auf die notwendige und geeignete Hilfeart in Form einer knappen „Zusammenfassenden Feststellung des Hilfebedarfs“ steht, soll nicht nur defizitäre oder problematische Entwicklungen berücksichtigen, sondern gleichermaßen Ressourcen und perspektivische Potenziale, wie zum Beispiel tragfähige und verlässliche Beziehungen im sozialen Nahraum, die negative Erfahrungen und Handlungsmuster ausgleichen könnten.
Stimmen die Leistungsadressaten und die angefragten Leistungserbringer zu, entfaltet der Vorschlag Wirkungskraft und die Hilfeplanung im engen Sinn kann beginnen. Das Hilfeplanverfahren enthält alle Schritte zur Steuerung einer Hilfe, bis hin zu deren Abschluss und Evaluation im Einzelfall.
Der an die Bedarfe der Kinder- und Jugendhilfe angepasste Teilhabeplan, der auf dem Mustervordruck Teilhabeplan der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation basiert, stellt für den örtlichen Jugendhilfeträger die Grundlage für das, nach § 19 SGB IX, vorgeschriebene Teilhabeplanverfahren dar.
Aufgaben des Landesjugendamtes
Das Landesjugendamt berät und qualifiziert die Fachkräfte der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe in Bayern grundsätzlich und fallbezogen in rechtlichen, sozialpädagogischen und administrativen Fragen. Zur Ausführung der §§ 36 und
37 SGB VIII wurden seit Anfang der 1990er Jahre detaillierte Arbeitskonzepte entwickelt und fortlaufend aktualisiert. Darüber hinaus werden offene und zielgruppenspezifische Fachveranstaltungen durchgeführt.
Fachbeiträge und Publikationen
Veröffentlichungen des Landesjugendamts
Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle, Hilfeplan & Teilhabeplan. Arbeitshilfe zur Prüfung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls, zur Abklärung von Leistungsvoraussetzungen einer Hilfe zur Erziehung und einer Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, zur Durchführung des Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahrens in der Praxis
ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt 2020
Britze, Dr. Harald; Fingerhut, Marie; Wunsch, Angelika; Völkl, Vanessa: Arbeitshilfe zur Anwendung der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen, des Hilfeplans und des Mustervordrucks Teilhabeplan
ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt, 2020
Hillmeier, Hans; Britze, Harald: Sozialpädagogische Diagnose – ein Meilenstein auf dem Weg zu einer wirkungsorientierten Prozessgestaltung in der Einzelfallhilfe; in: Gahleitner, Silke Brigitta; Wahlen, Karl; Bilke-Hentsch, Oliver; Hillenbrand, Dorothee. (Hrsg.): Biopsychosoziale Diagnostik in der Kinder- und Jugendhilfe – Interprofessionelle und interdisziplinäre Perspektiven; Kohlhammer Verlag; S. 143 – 158; Stuttgart 2013
ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt; Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration; Institut für Kinder- und Jugendhilfe Mainz (Hrsg): EST! Evaluation der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen. Abschlussbericht ; München 2008
Weitere empfohlene Veröffentlichungen
Harnach, Viola: Psychosoziale Diagnostik in der Jugendhilfe; Weinheim 2007; 5. überarbeitete Auflage
Merchel, Joachim: Hilfeplanung bei den Hilfen zur Erziehung: § 36 SGB VIII; Stuttgart 2006; 2. neu bearbeitete und ergänzte Auflage
Schmid, Heike: Die Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII; Frankfurt a. Main 2004
Urban, Ulrike: Professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle. Sozialpädagogische Entscheidungsfindung in der Hilfeplanung; Weinheim 2004
Institut für soziale Arbeit (Hrsg.) Hilfeplanung und Betroffenenbeteiligung; Münster 1994.