Fachliche Empfehlungen - Merk­male, die bei sogenannten Sekten und Psychogruppen als kindeswohlgefährdend einge­stuft werden können

  1. Hat eine von der "sogenannten Sekte oder Psychogruppe" verfügte Fremdbetreuung Vorrang vor der elterlichen Erziehung? Wird den Eltern die Entscheidungsgewalt mehr oder weniger entzogen?
     
  2. Werden die Kinder und Jugendlichen durch die "Sekten"-gesteuerte Erziehung systematisch sozial isoliert, mit der Konsequenz, dass sie in eine Außenseiterrolle gedrängt werden?
     
  3. Werden nichtaltersgerechte Methoden oder Psychotechniken angewandt (z. B. harte Meditationstechniken, Auditing)?
     
  4. Werden individuelle, altersangemessene Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen unterdrückt (z. B. Aggressionen, Eigeninitiative)? Zählen bereits die Kinder nur als womöglich besonders hoffnungsvolle Funktionsträger der "so genannten Sekte oder Psychogruppe" und nicht als individuelle Persönlichkeit?
     
  5. Werden bereits die Kinder und Jugendlichen emotional, ideell und materiell ausgebeutet (Überforderung, beispielsweise durch Spendensammeln oder andere Arbeit, sexuelle Ausbeutung, Übertragung besonderer Verantwortlichkeit, "Lebensübergabe" oder andere Formen der Selbstaufopferung), oder werden sie systematisch vernachlässigt (da sie beispielsweise der "spirituellen Entwicklung" der Erwachsenen im Wege sind)?
     
  6. Wird in der Erziehung das Einflößen von Angst oder Schuldgefühlen durchgehend als Erziehungsmittel eingesetzt (Verweise auf die Karma-Schuld, Bedrohung durch Dämonen oder teuflische Mächte, Endgericht, Verdammnis)?
     
  7. Werden bereits an Kindern exorzistische Handlungen vorgenommen ("Befreiungsdienste", Bußübungen, rituelle Übungen zur Reinerhaltung)?
     
  8. Herrscht eine extreme Strenge in der Erziehung durch Sanktionen wie (körperliche) Züchtigung, Unterwerfung, Liebesentzug und Einschränkung persönlicher Freiheiten, Strafarbeit (Schulungen, Trainings, Zwangsmeditation)?
     
  9. Werden bereits Kindern rigide, vorgefertigte Denkstrukturen
    (z. B. Feindbilder) beigebracht, gegen die sie sich nicht wehren können, ohne dafür bestraft zu werden? Wird eine derartige Indoktrination durch eine "Sekten"-eigene Sprache zusätzlich unterstützt?
     
  10. Herrscht bis in die Familie und Erziehung eine totalitäre Führungsstruktur hinein, die demokratische Rechte bereits im Ansatz in Frage stellt oder auf deren Abschaffung hinarbeitet (Befehlsgehorsam, Führerprinzip, Intoleranz, Fanatismus, keinerlei freie Meinungsbildung, Verbot, sich am demokratischen Leben zu beteiligen)?
     
  11. Wird bereits den Kindern ein völlig irreales bzw. wahnhaftes Wirklichkeitsverständnis vermittelt (z. B. wirre Endzeitvorstellungen, "Ufo-Sekten", panik- oder verfolgungs-wahnartige Realitätswahrnehmung infolge angeblicher Offenbarungen oder Visionen)?
     
  12. Wird die psychosexuelle Entwicklung durch sexualfeindliche, asexuelle oder umgekehrt durch perverse oder besonders freizügige Haltungen und Praktiken gestört oder verhindert?
     
  13. Sind gesundheitliche Vorsorge und medizinische Versorgung eingeschränkt (Ernährungsvorschriften, Arzt- und Medikamen­ten-Verbot usw., beispielsweise aufgrund "Sekten"-spezifischer Bedeutung von Gesundheit und Krankheit; Hinweise: Glaubens­heilung, Exorzismus)?
     
  14. Widerspricht die Rolle der Frau in der "Sekte" (als Leitbild insbesondere für die Mädchen) dem heute allgemein anerkannten Status von Frauen in krasser Weise?
     
  15. Welchen Stellenwert haben Schulbildung und berufliche Perspektive (absoluter Vorrang von Missionstätigkeit und "Sekten"- spezifischer "religiöser" oder "geistiger" Entwicklung; Schulpflichtverletzung)?

aus: Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 03/1997