Problematische Anbieter im Bereich Nachhilfe, Lernför­derung und Therapie

Immer häufiger wenden sich besorgte Eltern, aber auch Lehrer und Fachkräfte der Jugendhilfe bezüglich der Förderung schulischer Kompetenzen direkt an das Bayerische Landesjugendamt oder an die Scientology-Krisenberatungsstelle. Meist wird eine Auskunft über die Unbedenklichkeit unterschiedlicher Angebote gewünscht, die im weitesten Sinn mit Nachhilfe, Lernförderung oder auch mit Therapie­angeboten für Kinder mit Teilleistungsstörungen wie Legas­thenie oder Aufmerksamkeitsstörungen zu tun haben. Zum Teil beziehen sich die Anfragen somit auch auf Jugend hilfemaßnahmen im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gemäß § 35a SGB VIII.

Gerade weil manche Angebote besonders dubios erscheinen, wird oftmals ein Zusammenhang zu kon fliktträchtigen Gruppierungen wie etwa der Scientology-Organisation vermutet. Aber auch eine Vielzahl anderer Anbieter nutzt offenbar die Not von Eltern und Kindern, um mit wenig qualifiziertem Personal mög lichst große Gewinne zu erzielen.

Bedeutung von Bildung

Als Basis beruflichen Erfolgs wird schulischer und außerschulischer Bildung und damit auch der möglichst frühzeitigen intellektuellen Förderung von Kindern von der Mehrzahl der Eltern ein besonders hoher Stellenwert eingeräumt.

Auch das wiederholt mittelmäßige Abschneiden deutscher Schüler bei der Pisa-Studie führt nicht nur zu umfangreichen öffent­lichen Dis­kus­sio­nen über das bestehende Schulsystem, sondern wird häufig von Anbietern verschiedenster Förderangebote als Werbeargument benutzt. Durch die Medien und Werbemaßnahmen unterschiedlicher Hersteller und Anbieter wird Eltern suggeriert, mit der Förderung eines Kindes nicht früh genug beginnen zu können. Pädagogisch wertvolle Spielsachen, unterschiedlichste Kurse und Bildungsangebote, gymnastische Übungen oder auch Einrichtungs- und Aus­stattungs­gegen­stände sollen mit dazu beitragen, dass sich ein nicht nur gesunder sondern auch ein intelligenter Mensch entwickelt. Darüber hinaus sollen auch Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente, oft aus dem Bereich der Naturheilverfahren, einen wichtigen Beitrag zur optimalen kindlichen Entwicklung beisteuern.

Die mit dem Versprechen optimaler Fördermöglichkeiten ein­her­gehen­de indirekte (Werbe-)Botschaft bein haltet aber auch den Umkehrschluss; Eltern, deren Kinder Schwierigkeiten oder Ent­wick­lungs­verzöge­rungen aufweisen, hätten nicht genügend für ihr Kind getan oder hätten zumindest nicht die richtige Auswahl an Förderung für ihr Kind getroffen.

Differenzierungsprobleme bei Bedarf und Angebot

In vielen Fällen treten Leistungsprobleme in der Schule zusammen mit kindlichen Verhaltensproblemen auf. Nicht nur für Eltern ist es hier ganz besonders schwier ig den geeigneten Ansatzpunkt zur Förderung des Kindes zu bestimmen, auch weil die entsprechenden Angebote nicht klar zu differenzieren sind.

Die Grenzen zwischen reinem Nachhilfeunterricht zur Behebung von Wissenslücken, einer eher allgemeinen Lernförderung und thera­peuti­schen Maßnahmen zur Behebung psychischer Auf­fällig­keiten, wie etwa Konzentrationsstörungen, sind unscharf. Es gibt kaum ein deutige Begrifflichkeiten und viele Methoden oder Berufsbezeichnungen sind nicht geschützt. Das führt dazu, dass Anbieter gerade im Bereich der schulischen Förderung und bei verhaltensverändernden Therapien die wohlklingendsten Titel und Zertifikate verwenden, was jedoch keinerlei Beleg für eine tatsächliche Qualifikation der Betreffenden darstellt. Dasselbe gilt für die Be­zeich­nun­gen angebotener Kurse, Unterrichtsformen, Trainings oder Therapien. Firmengründungen in diesem Bereich benötigen keinerlei pädagogischen oder psychothera­peutischen Befähigungsnachweis.

Nachhilfe

Bei tatsächlichen oder vermeintlichen Schwierigkeiten in einzelnen isolierten schulischen Leistungsbereichen bemühen sich Eltern häufig um außerschulische Unterstützung. Mehr als ein Viertel aller Schüler erhält mitt lerweile Nachhilfeunterricht oder Ähnliches.

Auch in diesem rein schulbezogenen Bereich hat sich in den letzten Jahren ein ständig wachsender Markt entwickelt, auf dem sich nicht nur seriöse Anbieter tummeln.
Angebote im Nachhilfebereich bezeichnen sich als Nachhilfeunterricht, Hausaufgabenbetreuung oder Lernförderung. Ziel hierbei ist es immer, Wissens lücken zu schließen oder neue schulische Fertigkeiten zu vermitteln.

Zahlreiche kommerzielle Anbieter sind mit ihren so genannten Instituten zum Teil sogar bundesweit mit einer enormen Anzahl von Nieder­las­sun­gen vertreten. Viele arbeiten nach dem Franchise-System. Bei dieser Geschäftsmethode nutzt ein selbständiger Unter­nehmer Geschäftsidee, Schulungsangebote und möglicherweise auch Räume und Werbung eines so genannten Franchisegebers gegen Gebühr und Kontrolle.

Kritische Aspekte zur Qualität von Nachhilfeangeboten

Selbstverständlich sollte die Qualität eines Angebots zum Preis der Leis­tung in einer nachvollziehbaren Beziehung stehen. Relevante Kriterien beim Vergleich verschiedener Angebote sind in erster Linie die Qualifikation des Unterrichtenden als auch die Größe und Zusammen­setzung der Schülergruppe.

  • Qualifikation des Unterrichtenden
    Problematisch kann gerade bei großen Anbietern die unzureichende Ausbildung und/oder mangelnde per sönliche Befähigung der Mitarbeiter sein, die meist auf Honorarbasis tätig sind. Da die vertraglich vereinbarten Leistungen erbracht werden müssen, kann es durchaus vorkommen, dass ein häufiger Wechsel des Lehrperso nals erfolgt, was sich meist ungünstig auf den Lern erfolg niederschlägt.
     
  • Größe und Zusammensetzung der Schülergruppe
    Mangelnder Erfolg kann auch durch vergleichsweise
    preisgünstige Gruppenunterrichtsangebote der Institute bedingt sein.
    • Selbst die minimale Qualitätsanforderung, ausschließlich Kinder einer Klassenstufe gemeinsam zu unterrichten, wird in manchen Fällen nicht einge halten.
    • Ebenfalls problematisch ist die Mischung von Schülern, die unterschiedliche Schularten besuchen, da die schulischen Inhalte der selben Klassenstufe oft nicht vergleichbar sind.
    • Auch wenn die Gruppen aus Schülern der gleichen Klassenstufe und der gleichen Schulart zusammengesetzt werden, ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass das im Unterricht verwendete Lehrmate rial dasselbe ist bzw. gleiche Reihenfolge und Schwerpunktsetzung in der Stoffvermittlung statt findet.
    • Grundsätzlich können unterschiedliche individuelle Schwächen oder Lücken in der Gruppe oft nur unzu reichend individuell bearbeitet werden.

Therapeutische Angebote

Merkmale unseriöser psychotherapeutischer Angebote

  • Überzogene Erfolgsversprechungen
    Angebote, welche beispielsweise damit werben, Lernstörungen oder Legasthenie durch einen einwöchigen Kurs beseitigen zu können, einen vollständigen Abbau einer Aufmerksamkeitsstörung an einem Nachmittag versprechen oder gar dauerhaften Erfolg in allen Lebensbereichen nach Absolvieren eines Kurses zusichern, können nicht seriös sein.
  • Eine Methode für alle Störungen
    Ebenfalls kritisch zu bewerten sind Angebote, die mit ein und derselben Methode die verschiedensten Störungen und Auffälligkeiten beheben wollen. 
  • Mühelose Erfolge
    Oft wird die jeweilige Methode auch als völlig mühelos beschrieben. Kinder sollen praktisch nebenbei, ohne sich anstrengen zu müssen, intellektuelle oder andere Basisfähigkeiten erwerben können.

Aufgrund der meist vollmundig und aufwendig gestalteten Werbung werden häufig unrealistisch hohe Er wartungen an das Angebot geknüpft, die keinesfalls er füllt werden können. In der Folge kommt es oft zu einer resignativen Haltung bei Eltern und Kindern, die einer tatsächlichen Symptomreduzierung oder Leistungsver besserung zusätzlich entgegen wirken.

Anforderungen an die Qualifikation des Therapeuten

Eine zentrale Rolle spielt auch in diesem Bereich die Qualifikation des Anbieters:

  • Mindestvoraussetzung bei einem seriösen Therapieangebot ist ein belegbarer und einschlägiger Universitätsabschluss.
  • Eine abgeschlossene Zusatzausbildung in einem anerkannten und geeigneten psychotherapeutischen Verfahren ist ebenfalls notwendig.

Dagegen geben andere phantasiereiche Titel, die oft den Anschein besonderer Kompetenz erwecken sollen (wie etwa "Diplom-Lerntrainer" oder "Lerntherapeut" und Ähnliches) oder Zertifikate, die sich auf interne Schulungen beziehen, keinerlei Auskunft über eine tatsächliche Qualifikation in diesem Arbeitsbereich.

Esoterikangebote

Auch die stetig wachsende Esoterikbranche hat mittlerweile entdeckt, dass die Sorgen und Befürchtungen von Eltern gute Geschäfte verheißen. Dabei geht es oft nicht mehr ausschließlich um Förderangebote sondern auch um die Behandlung kindlicher Auffälligkeiten und Störungen. Hier werden einfache Erklärungen und Lösungen für nahezu alle Schwierigkeiten angeboten. Gegen ungenügende Schulleistungen, Lernschwierigkeiten, Konzentrationsprobleme, Teilleistungsstörungen aber auch gegen Nägelkauen, Schlaf- und Essstörungen und sogar Bettnässen gibt es im wahrsten Sinne "vielversprechende" Angebote aus dem Bereich der alternativen Medizin und Therapie.

Psychologische Therapeuten (mit fundierter Ausbildung) berichten, dass die Mehrzahl der Kinder bereits verschiedenste "alternative Therapien" durchlaufen haben, bevor sie bei ihnen vorgestellt werden. In den meisten Fällen richten die dargereichten Mittelchen und Behandlungen zwar keinen direkten Schaden an.
Es gibt jedoch einige schwerwiegende Gründe, die trotzdem gegen die Mehrzahl derartiger alternativer Behandlungsversuche sprechen:

  • Kindern und Eltern wird vermittelt, dass die Ursachen ihrer Probleme allein beim Kind liegen, da allein dort die Behandlungsmethode ansetzt. Forschungsergebnisse der modernen Psychologie, die monokausale Erklärungsmuster in nahezu allen Fällen ausschließen, werden auf diese Art einfach ignoriert.
  • Auf die fachlich notwendige und oft aufschlussreiche ausführliche Anamnese wird meist verzichtet. Die tatsächlichen Ursachen und Wirkfaktoren des betreffenden Verhaltens können somit nicht erkannt werden.
  • Eine in den meisten Fällen zumindest flankierend notwendige Modifikation im Erziehungsverhalten der Eltern wird häufig weder angestrebt noch in Betracht gezogen.

Angebote konfliktträchtiger Gruppierungen

Gerade weil es sich um einen lukrativen Markt handelt, mischen sich sowohl bei fachbezogenen Nachhilfean geboten, als auch bei therapeutisch ausgerichteten Angeboten auch konfliktträchtige Gruppierungen mit fragwürdigen weltanschaulichen Hintergründen und Methoden unter die kommerziellen Anbieter. Hier besteht die zusätzliche Gefahr, dass die gesamte Familie zunehmend in abhängig machende ideologische Strukturen der Gruppierungen eingebunden wird.

Eine Reihe sogenannter Sekten und Psychogruppen bietet ihre Dienste an, ohne sich zu erkennen zu geben. Der Name der Gruppierung wird meist gar nicht oder nur versteckt genannt. Üblich ist es auch hier, wissen schaftlich klingende Namen zu wählen, die den Eindruck fachlich fundierter Methoden vermitteln sol len. Natürlich sagen solche Begriffe in der Regel nichts über eine tatsächliche fachliche Befähigung der ent sprechenden Personen aus.

Eine bekannte Vorgehensweise sind kostenfreie Informationsabende für Eltern, in denen die angeblich einzig wirksame Methode angepriesen wird, die mit Sicherheit zum Erfolg führt und völlig anders vorgeht als bisher bekannte Methoden. In diesen (noch) kostenfreien Informationsabenden wird oft das bestehende Schulsystem und seine Lehrmethoden als völlig veraltet und als eigentliche Ursache der kindlichen Schwierigkeiten dargestellt. Als Beleg für die Richtigkeit der Aussagen werden häufig Beispiele aus dem Ausland herangezogen, die jedoch einer Überprü fung nicht einmal ansatzweise standhalten.

Die in der Öffentlichkeit besonders bekannte und umstrittene Scientology-Organisation, die auch in die sem Bereich aktiv ist, hat beispielsweise eine eigene sogenannte "Studiertechnologie" entwickelt. In Werbebroschüren und Unterrichtsmaterialien der Organisation taucht meist nur der Name des Scientology-Gründers Ron Hubbard auf. Die von Hubbard erfundene "Studiertechnologie" verspricht, "sämtliche Lernschwierigkeiten" beheben zu können. Betrachtet man die angepriesene Technologie genauer, ist die zentrale Aussage, dass lediglich nach "missverstandenen" Wörtern gesucht werden muss und Lernprobleme damit schon fast gelöst sind. Dazu kommt die Anweisung, sämtliche Begriffe aus Knetmasse und eventuell aus anderen kleinen Gegenständen aus dem Alltagsleben wie etwa Gummibändern oder Korken zu formen, um sie tatsächlich verstehen zu können. Auf diese Weise sollen, gemäß den Hochglanzbroschüren der Scientology-Organisation mit einem dreiwöchigen Kurs Fortschritte erreicht werden können, wie sie sonst nur in ein bis zwei Unterrichtsjahren möglich sind. Für die Richtigkeit dieser Behauptungen gibt es jedoch entgegen der Aussagen des Anbieters keine ernstzunehmenden, wissenschaftlich fundierten Beweise.

Bekannte Tarnorganisationen der Scientology-Organisation, die im Bereich Erziehung, Nachhilfe, Lernförderung oder Therapie als Anbieter auftreten können sind:

  • Applied Scholastics International (ASI), die vor allem Englisch-Fernkurse anbieten,
  • ZIEL: Zentrum für Individuelles und Effektives Lernen,
  • FAST: Elternverein zur Förderung der Anwendung der Studiertechnologie und
  • ABLE: Association for Better Living and Education

Zusammenfassung

Es ist grundsätzlich notwendig, allen Angeboten aus dem Bereich der Therapie und Nachhilfe mit einer skeptischen Haltung gegenüberzutreten. Werbematerialien versprechen oft viel und halten wenig. Das Angebot selbst, die angewendeten Methoden, die Qualifikation des Lehrpersonals sowie die vertraglichen Bedingungen sollten vor einer Unterschrift in jedem Fall einer kritischen Prüfung unterzogen werden.

Beratung

Bei Unklarheiten sollte schon im Vorfeld eine Fachberatungsstelle einbezogen werden:

  • Handelt es sich um Angebote, die sich in erster Linie auf die Vermittlung schulischer Inhalte beziehen, sind staatliche und städtische Schulämter und  Schulberatungsstellen die richtigen Ansprechpartner zur fachlichen Beurteilung pädagogischer Inhalte und Methoden. Oft findet sich auch ein passendes Angebot mit Hilfe von Erfahrungen, die bei der Schule, bei anderen Eltern oder Lehrern vorliegen.
  • Zur fachlichen Einschätzung psychotherapeutischer Angebote können der Psychotherapie-Informationsdienst des Berufsverbands deutscher Psychologin nen und Psychologen (Tel.: 0228/746699) oder die Beratungsstelle der Krankenkassen (Koordinationsstelle Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereini­gung Bayerns, Tel.: 089/55177-388) in Anspruch genommen werden.
  • Bei Fragen zu vertragsrechtlichen Vereinbarungen sind die Verbraucherzentralen, eine Rechtsberatungsstelle oder ein niedergelassener Rechtsanwalt die richtigen Ansprechpartner.
  • Sollten Zweifel bezüglich des weltanschaulichen Hintergrunds eines Angebots bzw. einer Gruppierung auftreten, stehen die kirchlichen Beratungsstellen oder die staatliche Scientology-Krisenberatungsstelle (Tel.: 0180/1000042 zum City-Call-Tarif) zur Verfügung.

  Angelika Wunsch

aus: ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 2/2005