Spiritualisierung psychothera­peutischer Angebote

Immer wieder wenden sich Fachkräfte der Jugendhilfe oder auch besorgte Bürger bezüglich der Einschätzung psychotherapeutischer Angebote direkt an das ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt oder an die Scientology-Krisenberatungsstelle. Meist wird eine Auskunft über die Unbedenklichkeit unterschiedlicher Angebote gewünscht, weil etwa ein Therapeut besonders merkwürdige Methoden anwendet, ein Elternteil seit einer therapeutischen Behandlung in seiner Persönlichkeit verändert ist oder ein passender Therapeut für eine Person gesucht wird, die in Kontakt mit einer konfliktträchtigen Gruppierung stand.
Gerade weil manche Angebote dubios erscheinen, wird oftmals ein Zusammenhang zu konfliktträchtigen Gruppierungen, wie etwa der Scientology-Organisation vermutet. Insgesamt lässt sich beobachten, dass der sogenannte "Psychomarkt" bzw. "Lebenshilfe- und Gesundheitsmarkt" sich zunehmend mit weltanschaulichen und spirituellen, wenn nicht gar religiösen Inhalten vermischt.  

1. Hintergrund

Die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen sind von einer zunehmenden Komplexitätssteigerung und der Ausdifferenzierung verschiedener Sinnsysteme geprägt und bewegen sich zwischen Multioptionalität, Werterelativität und "neuer Unübersichtlichkeit" (Prof. Dr. Jürgen Habermas). Diese Entwicklungen sind vielfach begleitet von Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, was in breiten gesellschaftlichen Schichten das Bedürfnis nach Orientierung und Sinngebung hervorgerufen hat.

Um die vielfältigen Bedürfnislagen herum hat sich ein schnell wachsender Markt der Sinnangebote etabliert, wie dies insbesondere der seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts boomende Psychomarkt mit einem überaus breiten Spektrum psychologisch geprägter Behandlungsangebote veranschaulicht.
Diesen Markt kennzeichnen psychologisch ausgerichtete Angebote der Selbstentfaltung, Gesundung und Sinnfindung, d.h. neben Wohlbefinden und Heilung stellen Lebensbewältigungshilfeangebote zunehmend auch Sinnorientierung in Aussicht.
Begleitet wird dies von dem Versprechen der Postmoderne: Nichts ist unmöglich, alles ist machbar.  

2. Aktuelle Entwicklungen  

Zu beobachten ist eine zunehmende Thematisierung und Verlagerung religiöser und weltanschaulicher Orientierungs- und Sinnfragen an das psychotherapeutische Feld.
Diese Entwicklung deutet auf einen Bedarf sowohl auf Patienten- bzw. Kundenseite als auch auf der Anbieterseite hin. 

Einerseits werden auf dem oft unseriösen Psychomarkt Teile psychologischer Konzepte und Methoden mit tradierten, spezifischen Glaubensüberzeugungen in Verbindung gebracht. Heilsversprechen, religiöse Deutungen, magische Vorstellungen, Intuition und antirationale Affekte werden gemischt mit wissenschaftlich anerkannten psychologischen Methoden und Techniken. Heilmittel, Verfahren und Methoden erscheinen in bunten Kombinationen und überschneiden sich vielfach mit verschiedenen Ansätzen der sog. Alternativmedizin und dem Wellnessbereich.
Die große Nachfrage ruft selbsternannte Therapeuten und Geschäftemacher auf den Plan, die oftmals schnelle und einfache Wege zu Wohlbefinden und Heilung in Aussicht stellen. Die mittlerweile unüberschaubare Vielfalt an Konzepten und Anbietern hat zudem zu einer inflationären Verwendung der Bezeichnung "Psychotherapie" geführt.  

Andererseits werden der Psychologie und psychologischen Behandlungsansätzen selbst zuweilen religiöse Orientierungskompetenzen zugeschrieben, die dann als neue "Sinngebungsmodelle" in Erscheinung treten.
Dies bringt es mit sich, dass sowohl ausgebildete als auch selbst ernannte Psychotherapeuten zunehmend mit spezifischen Erwartungshaltungen hinsichtlich Sinngebung und Heilung konsultiert werden, womit ihnen "religiöse Funktionen" zugetragen werden: Psychotherapeuten erscheinen als die neuen Wunderheiler der Gegenwart. Für eine wachsende Zahl der Menschen scheinen sie heute das Erbe der spirituellen und religiösen Lehrmeister angetreten zu haben.
Oftmals findet in einigen wenig wissenschaftlichen Ansätzen eine fragwürdige, in ihren Konturen "verschwimmende" Synthese von Psychologie, Therapie und Religion statt; aus psychologischen und sonstigen Theorien werden in der Folge Sinn-Lehren, die zur Beantwortung existentieller Lebensfragen herangezogen werden.
Diesbezügliche Ansätze werden vielfach umschrieben als New-Age-Therapien, Psychomarkt oder Psychoszene, esoterische Therapien, alternative Gesundheitskultur, weltanschauliche Lebenshilfe oder transpersonale Psychotherapie.
Vor allem für den Hilfe suchenden Laien ist es kaum mehr durchschaubar, wo die Grenze zwischen wissenschaftlich fundierten und weltanschaulich überformten Lehr- und Behandlungsansätzen gezogen werden muss.  

3. Psychotherapie und Spiritualität  

3.1. Psychotherapie  

Psychotherapie ist das gezielte Behandeln einer psychisch, emotional und/oder psychosomatisch bedingten Erkrankung mit Hilfe von systematischen, psychotherapeutischen Interventionen, Methoden und Techniken. Sie setzt am Erleben und Verhalten an, um Störungen von Krankheitswert zu heilen, zu bessern oder zu lindern. In der Psychotherapie wird der Patient mit psychologischen Mitteln dabei unterstützt, die psychische Erkrankung durch eine bewusste Auseinandersetzung mit ihren Ursachen und/oder durch gezieltes Einüben neuer Verhaltensweisen zu überwinden. Eine solche Therapie verlangt jedoch immer auch die Bereitschaft des Patienten, an sich selbst zu arbeiten. Eine wirkliche Veränderung kann auch mit Hilfe der Therapie nur dann herbeigeführt werden, wenn der Patient aktiv an seinem Erleben und Verhalten arbeitet, was nicht leicht und manchmal schmerzhaft ist.  

Kriterien einer wissenschaftlich fundierten Therapiemethode sind1  

  1. Es besteht ein wissenschaftlicher Nachweis der erwünschten Wirksamkeit.
  2. Sie beruht auf Voraussetzungen, die mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbar sind.
  3. Sie geht nach Regeln vor, deren Grundlagen von bewährten psychologischen Gesetzen hergeleitet sind.
  4. Die Therapieziele sind ethisch legitimierbar.
  5. Die Methode selbst ist ethisch vertretbar.
  6. Die zu erwartenden unerwünschten Wirkungen sind in ihrer Art und Wahrscheinlichkeit untersucht und veröffentlicht.
  7. Es besteht eine sinnvolle Kosten-Nutzen-Relation.

Derzeit sind lediglich die Titel "Psychotherapeut", "Psychologischer Psychotherapeut", "Ärztlicher Psychotherapeut" sowie "Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut" gesetzlich geschützt.
Voraussetzungen zum Erwerb dieser Titel sind ein abgeschlossenes medizinisches oder psychologisches Hochschulstudium (beim Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ist auch ein Studium der Pädagogik oder Sozialpädagogik möglich) und eine abgeschlossene Zusatzausbildung in einem wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren (wie etwa Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte oder analytische Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie oder Familientherapie). Erst durch diese Ausbildungen erhält der Betreffende die so genannte Approbation, wird damit automatisch Mitglied der Psychotherapeutenkammer und unterliegt damit der entsprechenden Berufsordnung, die unter anderem dazu verpflichtet, die Würde des Patienten unabhängig insbesondere von Religion, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung, Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung zu achten. Außerdem darf weder eigenes Interesse noch das Interesse Dritter über das Wohl des Patienten gestellt werden. Patienten ist ideologisch und weltanschaulich neutral zu begegnen, Psychomanipulation, Indoktrination und Missbrauch für eigene Ideologien und Philosophien sind nicht zulässig. Die Beziehung des Therapeuten zum Patienten soll von positiver Wertschätzung, Einfühlung, Authentizität, sozialer Kompetenz, Ehrlichkeit, Offenheit und Direktheit geprägt sein.
Zur Einschätzung der Qualifikationen eines Psychotherapeuten stellt somit die Approbation ein Minimalkriterium dar, welches die Fachlichkeit des Therapeuten weitgehend sicherstellt.
Zurzeit sind die Verhaltenstherapie sowie tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie, ausgeübt von dem oben genannten approbierten Personenkreis, zur Kostenerstattung durch die Krankenkassen zugelassen. Das heißt, kassenzugelassene Psychotherapeuten können die Behandlungskosten über die Chipkarte des Patienten direkt mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse abrechnen.  

Vom Psychotherapeutengesetz nicht geschützt ist hingegen der Begriff "Psychotherapie". Sie darf auch von anderen Personen ohne entsprechende Qualifikation angeboten werden. Da die Phantasie der Anbieter in der Kreation neuer Bezeichnungen schier unerschöpflich ist, finden sich darüber hinaus viele unterschiedliche Angebote – deren Bezeichnung gesetzlich ebenso wenig definiert bzw. geschützt ist - , die ähnliche Inhalte, Heilung und Besserung psychischer Leiden und Belastungen versprechen.  

3.2 Spiritualität

Spiritualität kann als "ein Modewort der religiösen Gegenwartskultur" gesehen werden, als "eine sich auf eine innere Erfahrung berufende und freigeistige Haltung gegenüber religiösen Fragen, die sich im Gegensatz zur "dogmatischen Religion" traditioneller Christlichkeit sieht."2 Insbesondere im Kontext der New-Age-Bewegung und damit auch der Entwicklung eines bunten "Esoterik"-Marktes hat sich diese Bedeutung und Verwendung weit verbreitet.
Mit der Verwendung des Begriffs der Spiritualität wird so ermöglicht, auf eine spirituelle Dimension Bezug zu nehmen, die zwar allgemeine religiöse Konnotationen hervorruft, sich zugleich aber auch von bisherigen Sozialformen von Religion abgrenzen will.
Mit der Bezeichnung "spirituell" kann vor allem auch eine emotionale Betonung individueller und subjektiver religiöser Erfahrung vorgenommen werden.  

3.3 Gemeinsamkeiten und Unterscheidungsmerkmale von Psychotherapie und Spiritualität

Berührungspunkte zwischen beiden Bereichen ergeben sich vor allem bei Sinn- und Wertfragen, wie etwa bei der Erarbeitung persönlicher Lebensziele oder bei Fragen nach dem Lebenssinn, welche vor allem bei Patienten mit depressiven Erkrankungen im Vordergrund stehen.
Psychische Störungen oder Konflikte können aber auch in Zusammenhang mit einer religiösen Identitäts- und Orientierungs-Suche entstehen oder sich aus religiös bzw. weltanschaulich mitbedingten Konflikten im sozialen Nahumfeld entwickeln.  

Allerdings ist bei Behauptungen, Sinnfindung könne auf psychologischer Grundlage ermöglicht werden, größte Zurückhaltung geboten.
Vielfältige Publikationen vom Weg zum Erfolg, Glück, Reichtum oder mit Titeln wie "Denken Sie sich gesund" suggerieren unrealistische Erwartungen an die Psychologie und überschätzen ihre Erkenntnismöglichkeiten. Festzuhalten ist, dass die Psychologie keine normativen Modelle bereitstellen kann.
Hinsichtlich des möglicherweise von Patientenseite geforderten weltanschaulichen Orientierungswissens und Sinngebungen gelangt die Psychotherapie schnell an Grenzen: Sobald es sich um Fragen mit "existentieller Reichweite" handelt, sind die fachlichen Grenzen der Psychotherapie bezeichnet. Sie vermag keine Antworten auf existentielle Fragen oder gar eine transzendente Wirklichkeit zu geben und kann auch keine Werte- und Sinnfragen beantworten. So werden seriöse Psychologen und Psychotherapeuten keine allgemeingültigen Modelle propagieren, sondern vielmehr gemeinsam mit ihren Patienten nach individuellen Lösungsmöglichkeiten suchen.
Therapiemethoden, die "ganzheitliche" Heilung prognostizieren, sind dagegen als problematisch einzuschätzen.
Derartige Interpretationen bzw. Selbstdefinitionen bedeuten in der Regel eine Überschätzung ihrer Kompetenzen.
Notwendig wird eine deutliche Abgrenzung eines wissenschaftlich begründeten psychotherapeutischen Verfahrens, das auf seelische Gesundung zielt, von einer auf Glaubensüberzeugungen basierenden Behandlung.  

4. Unterscheidungsmerkmale zwischen seriösen Psychotherapieangeboten und Lebenshilfeangeboten mit spirituellem Hintergrund  

Psychotherapeutische Angebote lassen sich hinsichtlich der folgenden Kriterien von spirituellen Lebenshilfeangeboten unterscheiden3.

Anspruch und Prognose
Während wissenschaftlich fundierte Therapieangebote begrenzte aber konkrete Erfolgsaussichten benennen, sind die Erfolgsversprechen unseriöser Anbieter oft sehr umfassend, aber vage. Letztere versprechen meist eine schnelle und umfassende Persönlichkeitsveränderung ohne eigene Bemühungen. Außerdem sind "ganzheitliche" Heilung, Glück und Zufriedenheit bzw. Ausgeglichenheit in allen Lebensbereichen beliebte Werbeslogans. 

Weltbild
Wissenschaftlich ausgebildete Psychotherapeuten handeln auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und rationaler Grundlagen.
Das Weltbild anderer Lebenshilfeangebote ist meist in weiten Teilen "energetisch-spirituell". In einigen Fällen findet auch eine prinzipielle Abwertung von Leiden, Schmerz und Behinderung statt. Sie werden bisweilen als selbstverursacht oder selbstverschuldet definiert.  

Ätiologie
Grundannahmen über die Entstehung von Störungsbildern sind bei wissenschaftlich fundierter Psychotherapie immer theoriegeleitet.
Andere Anbieter hingegen ziehen weltanschauliche Erklärungsmuster heran, die meist weder bestätigt noch widerlegt werden können. Häufig dient dabei eine religiöse Lehre als Deutungsgrundlage für persönliche Konflikte und zur Welterklärung.  

Diagnose
Psychologische oder ärztliche Psychotherapeuten stellen ihren therapeutischen Interventionen in jedem Fall eine umfassende Diagnoseerstellung voran, um gezielte Maßnahmen einleiten zu können. Unseriöse Anbieter benötigen demgegenüber oft keine Diagnose im eigentlichen, wissenschaftlichen Sinn. Selbst eine von anderer Seite erstellte Diagnose interessiert meist nicht. Einige dieser "Therapeuten" arbeiten zwar mit Diagnosestellungen, begründen diese jedoch mit "Intuition". 

Vorgehen
Das zentrale Werkzeug psychotherapeutischer Therapieverfahren ist in der Regel das Gespräch. In pseudotherapeutischen Angeboten soll Heilung dagegen häufig mittels unterschiedlichster Rituale herbeigeführt werden.  

Wirksamkeit
Die Wirksamkeit seriöser Verfahren wurde wissenschaftlich überprüft und erst nach einem langwierigen "Beweisverfahren" erfolgt eine Kassenzulassung.
Bei unseriösen Psychotherapieangeboten sind demgegenüber nicht überprüfbare Glaubensüberzeugungen maßgeblich. Die Wirksamkeit wird als symptomunspezifisch propagiert. Ursachen für Misserfolge werden regelmäßig nicht in der Methode sondern ausschließlich beim Patienten gesucht.  

Überprüfbarkeit
Die Wirksamkeit seriöser Therapieformen muss durch empirische Studien nachgewiesen worden sein, welche nachprüfbar sind.
Bei Lebenshilfe-Angeboten gibt es keine Überprüfbarkeit im wissenschaftlichen Sinn. Anbieter sprechen meist davon, dass ihr Angebot weder erklärbar noch überprüfbar ist, sondern nur erfahrbar.  

Kontrollmöglichkeit
Fundiert ausgebildete Psychotherapeuten mit Approbation sind verpflichtet, ihre Arbeit in Supervision zu überprüfen und so fortlaufend zu kontrollieren. Sonstige Anbieter unterschiedlicher "Therapien" unterziehen sich in der Regel keinem Überprüfungsverfahren.

Psychotherapeuten sind folglich qualifizierte Fachleute mit einem klar definierten Know-How und keine Gurus, Wunderheiler, "Weise Frauen", charismatische Götterboten, Schamanen, Chanelling-Medien, Neu-Offenbarer oder "geistige Führer".
"Ganzheitlichkeit", die den Anspruch von Rationalität, Wissenschaftlichkeit und damit von Objektivität und Überprüfbarkeit ignoriert oder ablehnt, wird dem "Ganzen" nicht gerecht.
Zu den mit Vorsicht zu genießenden, oft selbsternannten Psychotherapeuten, deren Angebote und Versprechungen kritisch zu prüfen sind, können beispielsweise sog. Chakrenheiler, schamanistische Heiler, Reiki-Meister oder Anwender fernöstlicher traditioneller Heilungsverfahren (Yoga, Ki-(Qi-, Ch`i-)Bewegungen, Ayurveda) gezählt werden.
Hier gilt für jeden Einzelfall, genau nachzufragen, was deren Versprechungen sind, ob beispielsweise Würde und Individualität gewahrt bleiben, ob Heilung und Wohlbefinden auch ohne die Übernahme der spezifischen Glaubensideen zu erreichen sind, usw.. 

Definiert sich ein Lebensbewältigungshilfeangebot eindeutig als weltanschaulich bzw. religiös orientierend (und damit als i. e. S. nicht-psychotherapeutisch), trägt dies zu einer wichtigen Klarstellung für Hilfesuchende bei. Bei der Frage nach konkreter weltanschaulicher Orientierung und der Beantwortung grundlegender existentieller Fragen kann Religion selbstverständlich sinnvoll ansetzen (auf den bekanntermaßen möglichen Missbrauch durch ideologische oder religiöse Beeinflussung muss in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden). Der Religion kann im Verhältnis zur Psychotherapie in gewisser Weise eine ganzheitliche Betrachtungsweise zufallen, insofern sie Erklärungsmodelle anbietet, im Zuge derer auch die Beantwortung von Existenzfragen geleistet werden kann, die über die Begrenztheit empirischer Wissenschaftlichkeit hinaus gehen.  

5. Versuche, seriöse psychotherapeutische Angebote mit spirituellen Inhalten zu verknüpfen

Seit einigen Jahren gibt es Anbieter (sowohl Einzelpersonen, kleinere Einrichtungen oder Zusammenschlüsse, wie auch Kliniken) die einen psychotherapeutischen Heilbehandlungsanspruch erheben.
Derartige Angebote stehen – je nach Perspektive – an der Schnittstelle von seriöser und unseriöser psychotherapeutischer Behandlung oder versuchen in wissenschaftlich akzeptabler Form, seriöse psychotherapeutische Behandlung unter ausdrücklicher Einbeziehung persönlich-spiritueller Aspekte zu betreiben.  

So vertritt die Akademie und Klinik Heiligenfeld in Bad Kissingen (www.heiligenfeld.de) z. B. ein ganzheitliches und integratives Konzept, das nach eigenem Verständnis in einem humanistisch-spirituellen Geist gründend, die religiöse spirituelle Dimension würdigt. Die Klinik ist auf religiöse und spirituelle Störungen und Krisen spezialisiert4 und propagiert eine Psychotherapie des Bewusstseins.
Damit zählt sie zu Vertretern von Psychologie- und Psychotherapieformen, die mit der Integrierung einer religiösen Dimension der Seele in ihre Konzepte und Methoden unter den Sammelbegriff "transpersonale Psychologie" subsumiert werden können.5

Ein weiteres Beispiel für eine Klinik mit vergleichbaren Ansätzen ist die Caduceus Klinik (Fachklinik für psychotherapeutische Medizin, Psychosomatik und Psychotherapie) in Bad Bevensen (www.caduceus.de). Auch sie vertritt ein integratives Konzept und würdigt die spirituelle Entwicklung mit ihren existentiellen und religiösen Fragen.  

Es bleibt abzuwarten, was die wissenschaftliche Fachdiskussion, die diese therapeutischen Ansätze kritisch würdigt, im Laufe der Zeit ergeben wird.
Im Kontext "spiritueller" Krisen stellt sich auch die Frage nach "Psycho-Moden": Ausgehend von der Überlegung, dass Störungen und Krankheiten auch modischen Regeln folgen können, können Störungsbilder wie etwa "spirituelle oder religiöse Krisen" auch als induziert, als spezifische "Systemkonsequenzen" in den Blick kommen, auf die Anbieter auf dem Markt reagieren und entsprechende Dienstleistungen schaffen (Klinik Heiligenfeld).
Im konkreten Einzelfall ist abzuwägen, ob Hilfesuchende mit entsprechend vorgetragenen spezifischen Erscheinungsbildern und Therapiewünschen an diese oder vergleichbare Einrichtungen verwiesen werden können.  

6. Informationsmöglichkeiten, Kontaktadressen, Internetadressen:  

  • Akademie für Psychotherapie und Seelsorge e. V. www.akademieps.de/start.php  
  • Bundesverband dt. Psychologinnen und Psychologen www.bdp-verband.org  
  • www.psychotherapeutenkammer-bayern.de
  • Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse www.dgpt.de  
  • Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie www.dgvt.de
  • Utsch, Michael: Grenzen der Psychotherapie - Chancen der Seelsorge. In: Ders. (Hg): Wenn die Seele Sinn sucht: Herausforderung für Psychotherapie und Seelsorge. Neukirchen 2000.
  • Utsch, Michael: Religiöse Fragen in der Psychotherapie. Psychologische Zugänge zu Religiosität und Spiritualität. Stuttgart 2005.
  • Wirtz, Ursula; Zöbeli, Jürg: Hunger nach Sinn. Menschen in Grenzsituationen - Grenzen der Psychotherapie. Zürich 1995.    

Marion Linsenmann
Helmar Bluhm
Angelika Wunsch

1 vgl. Perrez Meinrad, Baumann Urs (Hg.): Lehrbuch Klinische Psychologie, Band 2, Verlag Hans Huber Bern 1. Auflage 1991 

2 Bochinger Christoph: "New Age" und moderne Religion. Religionswissenschaftliche Perspektiven, S. 386, Gütersloh 2. Auflage 1995 

3 In Anlehnung an Utsch 2005 

4 In einem Vortrag differenziert Galuska zwischen religiösen und spirituellen Krisen. Störungen auf der religiös-spirituellen Entwicklungslinie können Störungen im Übergang von kindlicher zu erwachsener Religiosität betreffen (=religiöse Störungen), es kann sich aber auch um Störungen der Integration subtiler Erfahrungen im Bewusstsein (außersinnlichen Wahrnehmungen) handeln (=psycho-spirituelle Störungen); darüber hinaus sind Störungen im Übergang von personaler zu transpersonaler Spiritualität, d.h. transpersonale Störungen möglich (=mystische Erfahrungen) (Belschner Wilfried, Galuska Joachim: Empirie spiritueller Krisen. Transpersonale Psychologie. In: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. 1/1999, S. 73-94).  

5 Wirtz/ Zöbeli 1995: S. 299

 

ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 4/2010