Vollzug der §§ 17 und 50
SGB VIII

Unter Berücksichtigung der am 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Reform des Kindschaftsrechts hat die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V. (DAJEB) im Auftrag des Bundesfamilienministeriums die 40seitige Broschüre "Eltern bleiben Eltern - Hilfen für Kinder bei Trennung und Scheidung" in der nunmehr 7. Auflage herausgegeben. Die von einem Autorenteam aus Psychologen und Familienrichtern verfasste Informationsschrift enthält die Behauptung, dass der Inhalt des fachlichen Berichts, bevor er an das Familiengericht weitergeleitet wird, mit den Eltern "grundsätzlich abgesprochen" werden müsse (S. 39). Wie dies aus der Sicht der Jugendhilfe zu werten ist, fragte der Allgemeine Sozialdienst der Stadt Würzburg beim Landesjugendamt nach.

Seit der Reform des Kindschaftsrechts sind seitens des Landesjugendamts noch keine neuen Vollzugshinweise in Sachen Trennung und Scheidung herausgegeben worden. Im Einvernehmen mit der obersten Landesjugendbehörde arbeitet die Verwaltung aber derzeit an einer "Arbeitshilfe zum Beratungs- und Mitwirkungsauftrag der Jugendhilfe bei Trennung und Scheidung", die die vom Sozialministerium 1993 veröffentlichten "Vorläufigen Empfehlungen über die Rollen der am Trennungs- und Scheidungsverfahren Beteiligten" und "Vorschläge zur Kooperation der am Trennungs- und Scheidungsverfahren Beteiligten" (AMS VI 1/7302/1/92 vom 19.2.93 und AMS VI 1/7302/1/94, beide bekanntgegeben mit AMS VI 1/7302/1/94 vom 10.7.94, Auszug siehe Kasten) vor dem Hintergrund zwischenzeitlich vorliegender Erfahrungswerte und nach Maßgabe des KindRG aktualisieren soll. Eine Veröffentlichung ist im Laufe des kommenden Jahres zu erwarten.

Im Hinblick auf die Frage, ob der Inhalt des fachlichen Berichts des Jugendamts grundsätzlich mit den Eltern abgesprochen werden muss, sind drei Fallkonstellationen zu unterscheiden, wobei jeweils rechtliche und sozialpädagogische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen.

1. Einvernehmen im Regelfall

Nach Aufhebung des Entscheidungsverbunds zwischen Ehescheidung und Sorgerechtsregelung ist wegen des grundsätzlichen Fortbestands der gemeinsamen elterlichen Sorge auch nach Trennung und Scheidung eine regelhafte Mitwirkung des Jugendamts (und damit die Erstellung eines fachlichen Berichts) nicht mehr gegeben. Gleichwohl wird im Scheidungsverfahren (soweit Minderjährige betroffen sind) vom Richter die elterliche Sorge angesprochen und auf die Unterstützungsangebote der Jugendhilfe hingewiesen. Das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft über das Wohl betroffener Kinder liegt hier in Händen des Familiengerichts.
Entwickeln Eltern (mit oder ohne Unterstützung der Jugendhilfe) ein einvernehmliches Konzept der elterlichen Sorge nach der Trennung oder Scheidung, ist eine eigenständige Berichterstattung des Jugendamts an das Familiengericht nicht erforderlich, zumal es in diesem Fall ohnedies im Ermessen der Eltern liegt, von den Beratungs- und Unterstützungsangeboten der Jugendhilfe Gebrauch zu machen oder nicht.

2. Strittige Fälle

Können sich Eltern bezüglich der Sorge (trotz Beratung) nicht einigen, oder stellt zumindest ein Elternteil einen Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils davon (§ 1671 Abs. 1 BGB), hat im Zuge des familiengerichtlichen Verfahrens das Jugendamt gemäß § 50 Abs. 1 SGB VIII mitzuwirken, wobei diese Verpflichtung des Jugendamts, das Familiengericht zu unterstützen, mit seinem Recht auf Anhörung korrespondiert (§ 49a FGG). Die Art und Weise der Mitwirkung des Jugendamts liegt in der dortigen fachlichen Verantwortung und methodischen Ausgestaltung.
Das Landesjugendamt empfiehlt aus Gründen der Transparenz und Nachvollziehbarkeit, die Form der Mitwirkung in strittigen Fällen schriftlich vorzunehmen. Aufgabe des Jugendamts ist es, das Familiengericht gemäß § 50 Abs. 2 SGB VIII zu unterrichten, insbesondere (das heißt im wesentlichen, aber nicht ausschließlich) über angebotene und erbrachte Leistungen, erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des jungen Menschen und weitere Hilfsmöglichkeiten. Ziel ist, die dort zu treffende Entscheidung aus sozialpädagogischer Sicht zu optimieren.
Datenschutzrechtlich müssen die Beratungsleistung nach § 17 und die Mitwirkungsaufgabe nach § 50 SGB VIII zunächst unterschieden werden. Gleichwohl ist es erforderlich, den Betroffenen von Anfang an klarzumachen, dass Beratung gemäß § 17 SGB VIII und Mitwirkung gemäß § 50 SGB VIII zwei Seiten einer Medaille sind, sie um der Kinder willen zur Mitarbeit zu motivieren (und vielleicht doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen) und zu einer (schriftlichen) Einwilligung in die Weitergabe relevanter Daten an das Familiengericht zu veranlassen (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII).
Ohne Übermittlungsbefugnis dürfen Daten aus dem Beratungsprozess gemäß § 17 SGB VIII nicht übermittelt werden, was dann zum Tragen kommen wird, wenn die Eltern keine Einigung erzielen und ein Elternteil befürchtet, im fachlichen Bericht "schlecht wegzukommen". Werden die Aufgaben nach §§ 17 und 50 SGB VIII in Personalunion erledigt und liegt keine Befugnis zur Übermittlung der Daten vor, kommt es darauf an, die Daten, die in der Beratung anvertraut wurden, von denen zu unterscheiden, die zum Zweck der Mitwirkung erhoben worden sind.

Da Partizipation, Transparenz und Kooperation bedeutsame Handlungsmaximen des reformierten Jugendhilfe- und Kindschaftsrechts sind, erscheint es somit nicht nur aus rechtlicher (man denke nicht zuletzt an das Recht auf Akteneinsicht durch Beteiligte gemäß § 25 SGB X), sondern vor allem aus fachlicher Sicht sinnvoll und notwendig, den Beteiligten den Inhalt des fachlichen Berichts in Erfüllung der Aufgabe gemäß § 50 SGB VIII zur Kenntnis zu bringen und gegebenenfalls durchzusprechen, ehe er an das Familiengericht weitergeleitet wird. Nach Auffassung des Landesjugendamts sollte auch in Fällen, in denen das Jugendamt im Rahmen der Beratung nach § 17 SGB VIII keine Übermittlungsbefugnis erhalten hat, den Beteiligten der Inhalt des fachlichen Berichts offengelegt werden. Der Hinweis, dass eine fehlende Mitwirkungs- einschließlich Offenbarungsbereitschaft für das Familiengericht ein entscheidungsrelevantes Indiz sein kann, könnte sich überaus beratungsmotivierend auswirken.

In Anbetracht dessen muss die Jugendhilfe befähigt und bereit sein, dem Familiengericht und den Eltern gegenüber im Interesse des betroffenen Kindes einen eigenen fachlichen Standpunkt einzunehmen und qualifiziert zum Ausdruck zu bringen. In diesem Sinn darf die Aussage in der von der DAJEB herausgegebenen Broschüre, der Inhalt des Berichts müsse grundsätzlich mit den Eltern ab-gesprochen - im Sinne von abgestimmt - werden, nicht missverstanden werden. Der Inhalt des fachlichen Berichts sollte mit ihnen be-sprochen (und nicht abgesprochen) werden. Eine Rechtsnorm, die eine Jugendbehörde zu einer solchen Absprache verpflichtet, ist nach Ansicht des Landesjugendamts nicht erkennbar.

3. Gefährdung des Kindeswohls

Als Anwalt des Kindes oder Jugendlichen ist die Jugendbehörde in seiner Wächteramtsfunktion gemäß §§ 1 Abs. 2, 50 Abs. 3 SGB VIII und 1666, 1666a BGB gefordert. Auch für den Fall, dass dem Jugendamt begründete Verdachtsmomente oder Erkenntnisse vorliegen, dass ein von den Eltern vorgelegtes Konzept für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge nach Trennung oder Scheidung zwar einvernehmlich, aber kindeswohlgefährdend sei, hat das Jugendamt dies dem Familiengericht mitzuteilen. Der besondere Schutz anvertrauter Sozialdaten entfällt zwar hier (§ 65 Abs. 1 Nr. 2), es ist aber auch hier eine Frage sozialpädagogisch-fachlicher Abwägung, Entscheidung und Verantwortung, ob die Offenlegung der Daten dem Kind oder möglichen Leistungen nützt oder eher schadet.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass der fachliche Bericht nach der Kindschaftsrechtsreform an Bedeutung gewonnen hat. So ist Kolleginnen und Kollegen im Jugendamt zu raten, gute Berichte zu machen, begründete fachliche Standpunkte einzunehmen und diese den Verfahrensbeteiligten gegenüber offenzulegen. Auf eine Aushändigung oder unterschriftliche Kenntnisnahme kann verzichtet werden. Die kind-orientierte Position muss abseits des Partnerkonflikts vertreten werden. Das ist ihr Job. Wenn jemand Unbehagen oder Widerstand verspürt, könnte dies ein Zeichen für kollegialen Supervisionsbedarf sein.

Fachlicher Bericht

In Anbetracht dessen ist Richtschnur für die Erstellung des fachlichen Berichts in streitigen Fällen das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen. Das Jugendamt hat zugunsten des Kindes oder Jugendlichen fachliche Position zu beziehen und dem Richter fachliche Kriterien an die Hand zu geben, deren Abwägung und Gewichtung dieser dann selbst vornimmt. Das Jugendamt versteht sich dabei allerdings nicht als Ermittlungsgehilfe des Familiengerichts, sondern entscheidet selbst - unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflicht - in fachlicher Verantwortung über Art und Umfang des Berichts.
In diesem Bericht hat das Jugendamt dem Familiengericht unter Beachtung der geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen alle aus seiner Sicht entscheidungserheblichen
Informationen zu übermitteln. Es muss jedoch gegenüber dem Familiengericht grundsätzlich keinen Entscheidungsvorschlag (mehr) unterbreiten, denn die Entscheidung ist alleinige Aufgabe des Gerichts. Wenn sich allerdings herausstellt, dass das Wohl des Kindes bei einem oder bei beiden Elternteilen gefährdet ist und diese Gefährdung nicht durch entsprechende Hilfen abgewendet werden kann, so hat das Jugendamt dies dem Familiengericht nach § 50 Abs. 3 SGB VIII mitzuteilen.
Fakten und Beurteilungen sollen in der Stellungnahme nach Möglichkeit klar voneinander abgegrenzt werden; ebenso Punkte, über welche sich die Eltern einigen konnten und über welche sie sich noch streiten. Bei Beurteilungen sollte auf Fairness im Wortlaut geachtet werden, um eine weitere vertrauensvolle Kooperation mit den Eltern zu ermöglichen. Der Inhalt der fachlichen Stellungnahme sollte den Eltern offengelegt und mit ihnen besprochen werden, d. h. ein transparentes Arbeiten mit der Familie sollte auch bei der Mitwirkung gewährleistet sein.

aus: Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 2/1999