Betreutes Wohnen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige

Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 17.02.1993

Präambel

Der Bayerische Landesjugendwohlfahrtsausschuss hat in seiner 48. Sitzung am 8.2.1990 die von seinem Arbeitsausschuss "Heimerziehung" erarbeiteten Empfehlungen zum Betreuten Wohnen im Rahmen der Jugendhilfe beschlossen. Das Inkrafttreten des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (Kinder- und Jugendhilfegesetz) und die Erfahrungen mit dieser Betreuungsform machen eine Fortschreibung der beschlossenen Empfehlungen von 1990 erforderlich. Das Betreute Wohnen hat seine Grundlage in § 34 in Verbindung mit § 27 sowie in § 41 SGB VIII.

1. Allgemeiner Überblick

Im wesentlichen lassen sich folgende Zuordnungen treffen:
1.1 Heime (einschließlich verselbständigte Innen- und Außenwohngruppen)
1.2 Wohngruppen bzw. Wohngemeinschaften in eigener Trägerschaft
1.3 Betreutes Wohnen
1.4 Nachbetreuung

2. Definition

Betreutes Wohnen ist in der Regel die Unterbringung junger Menschen in einer separaten Wohnung, die vorn Träger der Jugendhilfe zur Verfügung gestellt wird, bei gleichzeitiger Gewährung praktischer Hilfen, erzieherischer Betreuung, Beratung und Sicherung des Lebensunterhalts.
Aufgabe dieser Erziehungshilfeform ist es, "dem jungen Menschen, der eine gewisse Selbständigkeit erreicht hat oder aus unterschiedlichen Gründen in einer Gruppe nicht mehr gefördert werden kann, ein Angebot zur Verselbständigung machen zu können" (Empfehlungen der BAGLJÄ, in: Mitteilungsblatt des Bayer. Landesjugendamtes 1986, S.20).
Die Wohnung soll vom Träger angemietet sein. Nach Abschluss der Maßnahme soll der junge Volljährige die Möglichkeit haben, in der Wohnung zu verbleiben und selbst in den Mietvertrag einzutreten.
Der Träger gewährleistet, dass die Betreuung für den jungen Menschen "rund um die Uhr" sichergestellt ist.

3. Rechtsgrundlage

Rechtliche Grundlagen für das Betreute Wohnen sind:
§ 34 SGB VIII Sonstige Betreute Wohnform in Verbindung mit § 27, § 41 SGB VIII Hilfen für Junge Volljährige, Nachbetreuung.
Bei Hilfen für junge Volljährige sollen die Begriffe der Ausbildung und Beschäftigung weit ausgelegt werden. Sie können sich an § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes orientieren. Sie beschränken sich nicht auf die Berufsausbildung, die Teilnahme an einem Grundausbildungs- oder Förderlehrgang; andere berufsvorbereitende Maßnahmen (z. B. Arbeitserprobung) sind eingeschlossen.
Diese Empfehlungen gelten nicht für die Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII) und die Unterbringung in Vater-/Mutter-Kind-Einrichtungen (§ 19 SGB VIII). Sie genügen nicht den Anforderungen der "Intensiven Einzelbetreuung" nach § 35 SGB VIII.
Kommt Jugendhilfe oder Hilfe für junge Volljährige nicht oder nicht mehr in Betracht, können die Voraussetzungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG gegeben sein. Auf die Beratungspflicht des Jugendamtes nach § 36 SGB VIII und der Sozialhilfeverwaltung wird hingewiesen.

4. Entscheidung

Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Durchführung des Betreuten Wohnens im Einzelfall obliegt dem Jugendamt.

5. Zielgruppe

Für das Betreute Wohnen kommen unterschiedliche Gruppen junger Menschen in Betracht. Jede Gruppe bedarf einer unterschiedlich intensiven Form der Betreuung.
Junge Menschen nach Vollendung des 16. Lebensjahres
- in Heime, die durch Betreutes Wohnen zur Selbständigkeit der Lebensführung befähigt werden sollen,
- die der Betreuung in einem Heim nicht bedürfen, aber auf erzieherische Hilfe angewiesen sind (z. B. bei massiven Ablösungsproblemen vom Elternhaus),
- für die erzieherische Hilfe notwendig ist, die aber für eine Unterbringung in einer Wohngruppe eines Heimes nicht geeignet sind oder diese nicht annehmen können.

6. Voraussetzungen

Das Betreute Wohnen ist eine Maßnahme der Jugendhilfe, an die entsprechende fachliche Anforderungen gestellt werden müssen. Dazu gehören insbesondere
- die Bereitschaft des jungen Menschen, an der Maßnahme aktiv mitzuwirken.
- die relative Selbständigkeit in den Alltagsvollzügen, der die Intensität und die Dauer der Betreuung zu entsprechen hat,
- die Erstellung, Durchführung und Fortschreibung eines individuellen Hilfeplanes,
- die vorherige Erklärung der Übernahme der Kosten durch das zuständige Jugendamt.

7. Form

Das Betreute Wohnen wird neben der besonderen Möglichkeit der Individualisierung durch folgende Qualitätsanforderungen bestimmt:
- Die Art der Betreuung ist nach § 36 SGB VIII zwischen dem jungen Menschen, gegebenenfalls dem Sorgeberechtigten, dem Jugendamt, und dem Träger der Maßnahme schriftlich zu vereinbaren.
- Der Träger mietet in der Regel für und mit dem jungen Menschen eine Wohnung an und gestaltet sie mit ihm entsprechend aus.
- Der Träger garantiert die kontinuierliche erzieherische Betreuung im vereinbarten Umfang und informiert das Jugendamt zur Fortschreibung des Hilfeplanes.

8. Betreuungsschlüssel

Bei den unter 5. genannten Zielgruppen ist von einem Betreuungsschlüssel von einer geeigneten Fachkraft (in der Regel Sozialpädagoge/-in) von 4 bis 8 Betreuten auszugehen. Abweichungen nach unten sind mit der Zielgruppe zu begründen. Zusätzlicher Personalaufwand, z. B. für Koordination, Vertretung, ist zu begründen.

9. Finanzierung

Die Finanzierung erfolgt entweder über einen Pflegesatz oder über Einzelvereinbarung. Zu den Kosten zählen insbesondere:

Betreuungskosten

Es wird eine Pauschale für die Stunden der Betreuung, einschließlich Vor- und Nachbereitung, festgelegt. Als Stunde gilt ein Zeitraum von 60 Minuten. Ausgangspunkt ist das Gehalt eines Sozialpädagogen einschließlich der gehaltsbezogenen Nebenkosten.
Analog der Richtlinien für die Förderung der Sozialpädagogischen Familienhilfe kann ohne Nachweis von dem jeweils gültigen Stundensatz ausgegangen werden, wobei eine monatliche Höchststundenzahl vereinbart wird.

Kosten der Wohnung

  • Kosten für die Miete der Wohnung. Übernommen werden die ortsübliche Miete. Höchstgrenzen sollen festgelegt werden.
  • anfallende Maklergebühr.
  • Eine eventuell anfallende Kaution soll grundsätzlich vom Träger der Maßnahme aufgebracht werden. In begründeten Ausnahmefällen kann der Kostenträger diese übernehmen.
  • Nebenkosten, die nach dem Mietvertrag gesondert zu übernehmen sind.
  • Heizungskosten (einmalige Beihilfen oder laufende monatliche Kostenübernahme).
  • Telefon (Kosten für die Einrichtung und mtl. Grundgebühr bei Berücksichtigung möglicher Ermäßigungen).
  • Erstausstattung mit Möbel und Geschirr. Hier soll ein Pauschalbetrag (bis 1.500 DM) zur Verfügung gestellt werden. In besonders begründeten Fällen sind auch höhere Kosten zu übernehmen. Rechnungen über den Kauf müssen dem Jugendamt vorgelegt werden. Die Möbel werden nach erfolgreichem Abschluss der Maßnahme Eigentum des Hilfeempfängers.

Kosten des Lebensunterhalts

Regelsatz für einen Haushaltsvorstand zuzüglich Zuschläge nach 23 BSHG. Sonderregelungen sind möglich.

  • Bekleidung
  • Gegen Vorlage der Rechnungen werden in der Regel bis zu 800 DM jährlich übernommen; in begründeten Einzelfällen sind auch höhere Aufwendungen zu übernehmen.
  • Berufsbedingte Aufwendungen
  • Die Kosten für Berufskleidung, Werkzeug, Schulbedarf, für Gesellenstücke und ähnliche Aufwendungen, sind in erforderlichem Umfange zu übernehmen. Die Fahrten zur Arbeitsstelle bzw. zur Schule werden gesondert übernommen.
  • Zuschüsse für Ferien- und Tagesfahrten
  • Übergangsbeihilfe
  • Zur Überbrückung bis zur ersten Lohn- oder Gehaltzahlung in angemessenem Umfang.
  • Weihnachtsbeihilfe.

Verwaltungskosten

  • Einrichtungen, die Betreutes Wohnen im Rahmen der Binnendifferenzierung anbieten, können monatlich ohne Nachweis 50 DM Verwaltungskosten abrechnen.
  • Träger die nur Betreutes Wohnen anbieten, können vereinbarte Verwaltungskosten gegen Nachweis abrechnen.

Preisangleichungsklausel

Die Pauschalbeträge sollen entsprechend dem Preisindex für Lebenshaltungskosten angepasst werden (Ausgangspunkt 1992).

10. Eigenbeteiligung

Minderjährige bzw. junge Volljährige sind dazu anzuleiten, eigenverantwortlich mit ihrem erzielten Verdienst umzugehen. Hierbei sind sie angemessen zu unterstützen.
Sie haben gegebenenfalls nach den §§ 91 ff. SGB VIII und den bayer. Empfehlungen vom 17.12.1991, in der jeweils gültigen Fassung, einen Kostenbeitrag zu den Aufwendungen des Jugendamtes zu leisten.