Empfehlung "Mütterzentren in Bayern"
Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 15.07.1992
Warum Mütterzentren
Kindern geht es gut, wenn es der Familie gut geht. Familien geht es gut, wenn es auch den Frauen gut geht. Frauen geht es gut, wenn sie ihre Lebensentwürfe verwirklichen können, auch wenn sie Mütter sind. Mütterzentren tragen dazu bei. Sie stärken die Wertschätzung der Mutterrolle und machen die Arbeit von Frauen in und für Familie und Gesellschaft sichtbar. Sie erhöhen die Lebensqualität der Familienphase und verleihen den Interessen von Kindern und Eltern politisches Gewicht.
Familie heute ist in zunehmendem Maße gekennzeichnet durch Vereinzelung, steigenden Anteil von Ein-Kind-Familien und Alleinerziehenden, kinderfeindliches Wohnumfeld, Infrastrukturmängel und Änderungen im Rollenverständnis der Frau. Mütterzentren sind eine Antwort auf diese Situation. Die Mütterzentrumsidee hat sich seit den 70er Jahren kontinuierlich entwickelt und etabliert, in Bayern gibt es mittlerweile ca. 50, bundesweit ca. 200 Mütterzentren. Das Deutsche Jugendinstitut hat diese Entwicklung wissenschaftlich begleitet.
Gesetzliche Grundlage
Die Arbeit der Mütterzentren bezieht sich auf das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Dessen wesentliche Zielvorstellung ist die Stärkung der Familie. Dabei kommt der präventiven Arbeit gerade im Selbsthilfebereich eine große Bedeutung zu, die im § 16 SGB VIII "Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie" zum Ausdruck kommt. Der Gesetzgeber hat dort verankert, dass Familien und andere Erziehungsberechtigte befähigt werden sollen, ihre Erziehungsverantwortung besser wahrzunehmen und Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe zu entwickeln.
Der gesetzliche Erziehungsurlaub, heute noch überwiegend nur von Müttern wahrgenommen, erfährt durch die Existenz der Mütterzentren eine qualitative Aufwertung, die letztlich auch und vor allem den Kinder zugute kommt.
Arbeitskonzept
Das Mütterzentrum ist zu allererst ein Angebot der Jugendhilfe in Stadtteil und Gemeinwesen. Es ist Anlaufstelle für Frauen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Lebensräumen mit Kindern aller Altersstufen. Besonders Frauen mit kleinen Kindern fühlen sich vom Mütterzentrum angesprochen. Flexible Öffnungszeiten tragen in einem hohen Maße zur Akzeptanz der Mütterzentren bei. Kinder sind immer dabei. Die Prinzipien der Selbstorganisation, der Selbstverwaltung und der Hilfe zur Selbsthilfe prägen das Profil der Mütterzentren. Mütter sind Praxisexpertinnen im Zentrum, die von ihnen geleistete Arbeit wird in Form von Aufwandsentschädigungen und Honoraren bezahlt.
Der Begriff Mütterzentrum steht auch für Angebote, die unter anderem Namen, wie z. B. Familienzentrum oder Nachbarschaftszentrum, aber mit dem gleichen Konzept arbeiten. Sie unterscheiden sich als Angebot der Familienselbsthilfe jedoch von beispielsweise professionell betriebenen Familienbildungsstätten, aber auch von Mutter-Kind-Gruppen, Elterninitiativen, Spielkreisen und anderen Nachbarschaftshilfen.
Was Mütter leisten
Mütterzentren sind Bausteine im örtlichen sozialen Netz. Sie helfen, familiäre Isolation abzubauen. Mütterzentren sind eine moderne Form des "Dorfbrunnens", sie unterstützen den Aufbau eines wohnfeldnahen Netzes nachbarschaftlicher Beziehungen. Sie gestalten positive Lebensverhältnisse von Familien und Kindern im sozialen Nahraum, im Stadtteil, in Gemeinwesen und Gesellschaft mit. Die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Institutionen in Stadtteil und Kommune gehört zur Mütterzentrumspraxis.
Praktische Lebenshilfen
Mütterzentren bieten praktische Lebenshilfe durch gegenseitige Hilfestellung im Familienalltag und durch die Möglichkeit, Probleme und Fragen mit anderen Frauen zu besprechen. Diese Hilfe zur Selbsthilfe wird ergänzt durch Information über weiterführende Hilfsangebote und unterstützt durch den Abbau von Schwellenängsten. Die Mütterzentrumsbesucherinnen erfahren eine wesentliche Entlastung durch das Angebot der Kinderbetreuung während des Aufenthaltes im Mütterzentrum. Andere Formen der Kinderbetreuung können zusätzlich vermittelt werden. Verschiedene Dienstleistungen, wie z. B. Mittagstisch, Informationsbörse, Notmütterdienst erleichtern und unterstützen den familiären Alltag und die Vereinbarung von Familie und Berufstätigkeit. Weitere Familienmitglieder, v. a. die Väter aber auch Großeltern, Verwandte und Bekannte können einbezogen werden.
Raum zum Nachdenken und Lernen
Mütterzentren bieten Frauen die Chance, für sich und andere etwas zu tun, eigenes Engagement und Können zu entfalten. Das Selbstbewusstsein als Frau und das Selbstwertgefühl als Mutter wird gestärkt. Die Möglichkeit über sich selbst, seine eigenen Wertvorstellungen und sein Erziehungsverhalten nachzudenken, trägt zur Entwicklung elterlicher Erziehungskompetenzen maßgeblich bei. Das Mütterzentrum erweitert die Handlungsfähigkeit in sozialen Zusammenhängen und fördert die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Fragen. Die persönlichen Kompetenzen der Frau können in den verschiedenen Rollen, als Mutter, als Partnerin, als berufstätige Frau u. a., eingebracht und eingeübt werden. Neue (Berufs-) Perspektiven können sich entwickeln - nicht selten ist das Mütterzentrum Sprungbrett für den Wiedereinstieg in den Beruf.
Entwicklungschance für Kinder
Das Zusammensein von Kindern und Erwachsenen erweitert den kindlichen Lebens- und Erfahrungsraum. Die Verbindung von Kinderwelt und Erwachsenenwelt bietet ein vielfältiges soziales Lernfeld. Insbesondere der Aufbau von geschwisterähnlichen Beziehungen wird immer wichtiger angesichts der Zunahme von Ein-Kind-Familien. Die schrittweise Ablösung von der Mutter wird in einem geschützten Raum erleichtert und führt zur Akzeptanz anderer Bezugspersonen. Kinder werden dadurch selbstständiger. Das Bereitstellen von Anregungen und Angeboten erfolgt dabei stets unter Berücksichtigung von Zeit- und Lebensrhythmus der Kinder. Insofern ist das Mütterzentrum nicht nur ein guter Platz für Kinder, sondern auch ein Ort für Kinder, der Entwicklungschancen eröffnet.
Was Mütterzentren brauchen
Frauen, die sich in Mütterzentren engagieren, erwarten die Anerkennung ihrer Praxiskompetenz und ihres Einsatzes. Dies muss nicht zuletzt in angemessener Bezahlung zum Ausdruck kommen. Mütterzentren als bewährte Form der Familienselbsthilfe benötigen zur Erfüllung ihrer Aufgaben materielle Unterstützung und förderliche Rahmenbedingungen. So sind große, kinderfreundliche Räume - möglichst ebenerdig und mit Außenanlagen - erforderlich. Die Raumkosten, laufende Sach- und anfallende Personalkosten, wie Aufwandsentschädigungen und Honorare sind durch entsprechende finanzielle Förderleistungen abzudecken.
Die aktiven Mitarbeiterinnen brauchen Praxisberatung und Fortbildung, auch wenn sie ehrenamtlich tätig sind (vgl. § 73 SGB VIII). Wichtig sind Erfahrungsaustausch und Konzeptentwicklung in regionalen und überregionalen Koordinationstreffen, Arbeitstagungen und Fortbildungsseminaren. Ein Mütter-Büro kann diese Organisations-, Planungs- und Vernetzungsaufgaben übernehmen.
Der Bayerische Landesjugendhilfeausschuss setzt sich für die Entwicklung und Verstetigung geeigneter Förderstrukturen für die Bayerischen Mütterzentren als Angebot der Familienselbsthilfe gemäß § 16 SGB VIII ein.