Fachliche Empfehlungen

Jugendsozialarbeit und junge Menschen in besonderen Problemlagen

 

Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 24.01.1996

I. Ausgangssituation

Die Förderung und Unterstützung der sozialen und individuellen Integration Jugendlicher stellt eine gesellschaftliche Notwendigkeit dar. Diese zeigt sich in besonderer Weise dort, wo vorrangig junge Menschen von sozialen Problemlagen getroffen sind und durch diese in der Entwicklung eines eigenständigen Lebensentwurfes sowie selbständigen eigenverantwortlichen Lebensführung beeinträchtigt werden. Nicht zuletzt auf diese Entwicklungen hat der Gesetzgeber Bezug genommen, indem im Kinder- und Jugendhilfegesetz der § 13 "Jugendsozialarbeit" als eigenständiger Leistungsbereich der Jugendhilfe aufgenommen wurde. § 13 Abs.1 SGB VIII verpflichtet somit die Jugendhilfe, jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen im erhöhten Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sozialpädagogische Hilfen anzubieten, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.

II. Selbstverständnis der Jugendsozialarbeit

Alle junge Menschen haben Recht und Anspruch auf Teilhabe und einen menschenwürdigen Platz in unserem sozialstaatlichen demokratischen Staatswesen. Jugendsozialarbeit übernimmt Anwaltsfunktion, gibt mit ihren Angeboten Antworten auf gesellschaftliche Entwicklungen und stellt eine professionelle sozialpädagogische und berufsbezogene Hilfe zur Integration und Verselbständigung benachteiligter junger Menschen bis 27 Jahren dar. Hervorzuheben ist, dass Jugendsozialarbeit u.a. ihre Angebote zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen gestalten soll, womit der gesellschaftliche Auftrag der Jugendhilfe in diesem Bereich zum Ausdruck kommt und die Defizitbeschreibung nicht einseitig an die jungen Menschen gebunden bleibt. Jugendsozialarbeit ist dabei dem präventiven Charakter des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verpflichtet.

III. Zielgruppen der Jugendsozialarbeit

Zielgruppe der Jugendsozialarbeit sind alle jungen Menschen bis 27 Jahren, deren Chancen an gesellschaftlicher Teilhabe aufgrund ihrer individuellen Beeinträchtigung und/oder sozialen Benachteiligung reduziert oder gefährdet sind und die in erhöhtem Maße auf unterstützende Hilfen angewiesen sind.

IV. Handlungsfelder

Die bestehende gesellschaftliche Aufgabe, soziale und individuelle Integrationsleistungen junger Menschen zu ermöglichen und zu unterstützen, wird es auch mittel- und langfristig geben. Jugendsozialarbeit wird da tätig, wo individuelle Beeinträchtigung und/oder soziale Benachteiligung von jungen Menschen vorliegt. Als Leistungsbereich der Jugendhilfe bietet Jugendsozialarbeit vorrangig Hilfs- und Unterstützungsangebote angesichts folgender Problembereiche:

  • (Jugend-)Arbeitslosigkeit sowie mangelnde berufliche Integration für besondere und schwierige Zielgruppen;
  • Eingliederungsschwierigkeiten ausländischer Jugendlicher, junger Flüchtlinge und junger Menschen aus Aussiedlerfamilien;
  • Wohnbedarf junger Menschen, die aus beruflichen und sonstigen Gründen außerhalb der elterlichen Familien wohnen;
  • Schwierigkeiten junger Menschen im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt und bei der beruflichen Integration;
  • Orientierungslosigkeit junger Menschen und Zunahme extremer Gruppierungen, gewaltbereiter Gruppen, der Drogenszene und des Prostituiertenmilieus;
  • Zunahme seelischer und psychischer Belastungen junger Menschen.

Angebote zu diesen Problembereichen finden insbesondere in den folgenden Formen statt:

  • Jugendberufshilfe, v.a. Qualifikations- und Beschäftigungsprojekte für den ersten Arbeitsmarkt
  • Migrations- und Integrationshilfen
  • Jugendwohnen
  • Schul- und schülerbezogene Jugendsozialarbeit
  • Aufsuchende Jugendsozialarbeit

Bei der konzeptionellen Ausgestaltung der Angebote sind die unterschiedlichen Lebenslagen von Jungen und Mädchen, Deutschen und Nichtdeutschen, Behinderten und Nichtbehinderten zu berücksichtigen. Geschlechtspezifische Benachteiligungen sind durch Jungen- und Mädchenarbeit abzubauen.

V. Jugendsozialarbeit im Verbund

Die Aufgaben der Jugendsozialarbeit, die Verschiedenartigkeit ihrer Träger und die Vielzahl von Institutionen im Umfeld von Beruf, Arbeit, Wohnen und Schule machen eine Zusammenarbeit aller Beteiligten notwendig. Ziel ist es, dass die unterschiedlichen Träger der Jugendsozialarbeit sowie die regionalen und überregionalen Kooperationspartner nach den Prinzipien des Verbundes zusammenarbeiten, um der gesetzlichen Vorgabe zur Planung und Abstimmung gerecht werden zu können. § 13 Abs. 4 SGB VIII verpflichtet Arbeitsverwaltung, Betriebe, Schule und Träger von Maßnahmen der Jugendsozialarbeit zur Abstimmung.

Vl. Jugendsozialarbeit im Rahmen eines örtlich abgestimmten Leistungsangebots der Jugendhilfe

Jugendsozialarbeit ist ein notwendiger und eigenständiger Leistungsbereich der Jugendhilfe. Um ein abgestimmtes, dem örtlichen Bedarf angemessenes Angebot zu gestalten, ist es erforderlich, Jugendsozialarbeit im Rahmen der kommunalen Jugendhilfeplanung eigens zu berücksichtigen und entsprechende Einrichtungen, Dienste und Angebote vorzusehen.

VII. Forderungen/Empfehlungen

  1. Subsidiarität und Trägervielfalt
    Die Praxis der Jugendsozialarbeit ist gekennzeichnet durch eine Vielfalt von Träger- und Organisationsformen. Diese Vielfalt trägt zur Entwicklung eines flexiblen und bedarfsgerechten Angebotes bei. Plurales Angebot und fachliche Eigenständigkeit der freien Träger sind zu fördern und weiterzuentwickeln.
     
  2. Förderung der Jugendsozialarbeit
    Die öffentlichen Träger haben die Gesamtverantwortung und die Gewährleistungspflicht zur Förderung der Leistungen der Jugendhilfe; diese erstreckt sich im Rahmen des § 13 auch auf die Jugendsozialarbeit. Die Abstimmung der verschiedenen Förderungsinstrumente der Jugendsozialarbeit ist auf allen Ebenen durch die jeweils zuständigen öffentlichen Träger sicherzustellen. Die Förderung der Leistungen bedarf der klaren vertraglichen Regelungen und Vereinbarungen. Auf Landes- und Bezirksebene tätige Fachkräfte sind aus Landesmitteln zu fördern.
    Analog anderer Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe ist eine Förderung der Fort- und Weiterbildungsangebote für die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit von seiten des Landes einzurichten.
     
  3. Finanzierung statt Bezuschussung
    Ein nicht kostendeckendes und schwer kalkulierbares Bezuschussungssystem ist durch ein Finanzierungssystem nach klaren Leistungskriterien zu ersetzen. Parallel dazu erarbeiten die Träger der Jugendsozialarbeit Qualitäts- und Effizienzmerkmale für ihre Einrichtungen.
     
  4. Innovationsbedarf und Innovationsförderung
    Angesichts sich verändernder gesellschaftlicher Bedingungen ist es notwendig, dass sich die Jugendsozialarbeit im Zugang zu veränderten Zielgruppen um entsprechende Angebote bemüht.
    Es ist eine wesentliche Aufgabe des Landes, innovative Konzepte der Jugendsozialarbeit durch Modellvorhaben zu fördern.
     
  5. Gleichmäßiger Ausbau der Angebote der Jugendsozialarbeit
    Es ist Aufgabe des Landes, auf einen gleichmäßigen Ausbau von Angeboten und auf Berücksichtigung der Jugendsozialarbeit bei der Jugendhilfeplanung hinzuwirken.
    Die Konzentration auf Großstädte ist zu vermeiden, regionale Zentren der Jugendsozialarbeit sind modellhaft einzurichten und langfristig auszubauen.
     
  6. Administrative Verankerung
    Die administrative Verankerung der Jugendsozialarbeit in der öffentlichen Verwaltung und insbesondere in den Jugendämtern ist dringend notwendig.
    Der neuen Rechtslage entsprechend ist eine Ergänzung der Arbeitsverteilungspläne bzw. der Behördenstruktur sowohl auf kommunaler Ebene wie auch im Landesjugendamt notwendig.
     
  7. Europäische Jugendsozialarbeit
    Die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern ist weiter auszubauen. Entsprechende Fördermittel sollen den Trägern zugänglich gemacht werden.
     
  8. Fortschreibung des Jugendprogramms
    Bei der notwendigen Fortschreibung des Jugendprogramms der Bayerischen Staatsregierung von 1986 ist die Jugendsozialarbeit entsprechend den Vorgaben des SGB VIII und den Forderungen des Landesjugendhilfeausschusses zu berücksichtigen.