Empfehlungen zur Umsetzung des Prinzips des Gender-Mainstreaming bei öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Bayern
Empfehlungen des Landesjugendhilfeausschusses vom 08.11.2005
Entstehungsgeschichte
Die Wurzeln der Strategie des Gender-Mainstreaming liegen in der weltweiten Frauenbewegung.
Im Anschluss an die dritte Weltfrauenkonferenz in Nairobi wurde auf der Ebene der Vereinten Nationen und in der Folge auch in der Europäischen Gemeinschaft gefordert, ein umfassendes politisches Konzept zu entwickeln, mit dem Ziel, die Einbindung von Chancengleichheit für die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik zu erreichen.
Auf der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking verpflichtete sich die Staatengemeinschaft, die Geschlechterperspektive in allen politischen Programmen und Bereichen zu berücksichtigen und alle politischen Maßnahmen und Entscheidungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Ziel der Herstellung der Gleichstellung von Frauen und Männer zu kontrollieren.
Die Vorgaben des Gender-Mainstreaming sind in eine Richtlinie der Europäischen Union (Amsterdamer Vertrag vom 01.Mai 1999) gefasst worden, die in allen Mitgliedsstaaten verpflichtend umgesetzt werden muss. Seither befassen sich Bundes- und Landesregierungen mit ihren Ministerien, Behörden und zahlreiche Träger der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege mit der Entwicklung hierfür notwendiger Maßnahmen.
Der bayerische Ministerrat verabschiedete am 25.07.2002 den Beschluss, Gender Mainstreaming (unter dem Begriff "geschlechtssensible Sichtweise") als Leitprinzip umzusetzen und weiter auszubauen.
Der bayerische Landesjugendhilfeausschuss richtete im Jahr 2002 einen ad-hoc Ausschuss ein, der eine Empfehlung zur Umsetzung des Prinzips des Gender-Mainstreaming bei öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Bayern als Beschlussvorlage erarbeiten sollte. Der ad-hoc Ausschuss setzte sich aus Expertinnen und Experten der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege, sowie dem bayerischen Jugendring zusammen.
Die Bedeutung des Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe
Die Umsetzung des Prinzips des Gender-Mainstreaming erfüllt unter anderem die Aufträge, die sich aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz der Bundesrepublik Deutschland (KJHG, SGB VIII) insbesondere für folgende Paragraphen ergeben:
§ 1: Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
§ 9: Bei der Aufgabenerfüllung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe müssen die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigt, Benachteiligungen abgebaut und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen gefördert werden.
Der Auftrag "die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" zu fördern und "auf die Beseitigung bestehender Nachteile" hinzuwirken, findet sich des weiteren im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und in Vorschriften der Bundesverwaltung. Das Prinzip des Gender Mainstreaming betont die Umsetzung von Gleichstellung in Organisationsstrukturen und die besondere Verantwortung der Führungs- und Leitungsebenen.
Das Prinzip des Gender-Mainstreaming berührt gewohnte Machtverhältnisse und verlangt von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Auseinandersetzung ihres eigenen Rollenverständnisses und -verhaltens. Dies gilt sowohl für die Führungs- und Leitungsebenen der Träger, als auch für die pädagogische Arbeit mit den Mädchen und Jungen in den Einrichtungen.
Ziel der Umsetzung dieses Prozesses ist, dass Mädchen und Jungen, Frauen und Männer - unabhängig ihres biologischen Geschlechts - einen gleichberechtigten und gleichgestellten Zugang zu unserer Gesellschaft und zu einer, den individuellen Fähigkeiten entsprechenden, bestmöglichen beruflichen Qualifikation haben.
Alle Träger und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind daher verpflichtend angehalten, ihre Organisationsstrukturen entsprechend anzupassen, sowie ihre pädagogische Arbeit auf dieses Prinzip hin auszurichten. Im Sinne der im Gender Mainstreaming verankerten Doppelstrategie bedeutet das, dass sowohl die koedukative als auch die Mädchen- und Jungenarbeit entsprechend weiterzuentwickeln sind. Beide Ansätze behalten ihre eigenständige Bedeutung und Berechtigung.
Umsetzung in der Kinder- und Jugendhilfe
In der Rahmenstrategie der Europäischen Gemeinschaft wurden für den Zeitraum von 2001 bis 2005 unter anderem folgende Ziele festgelegt:
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in politischen Entscheidungsprozessen.
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in Entscheidungsprozessen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich.
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in der Kommission.
Geschlechtergerechtigkeit in den Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe heißt damit:
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in träger- und einrichtungsbezogenen Entscheidungsprozessen.
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in Entscheidungsprozessen im wirtschaftlichen und pädagogischen Bereich.
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern sowohl in einrichtungs- und trägerinternen Gremien, als auch bei der Entsendung in externe Gremien.
- Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses von Mädchen und Jungen, beziehungsweise jungen Frauen und Männern, in Heimbeiräten und anderen träger- und einrichtungsinternen Partizipationsgremien.
Um die Umsetzung der Vorgaben des Gender Mainstreaming zu gewährleisten empfiehlt der bayerische Landesjugendhilfeausschuss den Trägern folgendes Vorgehen:
- Analyse der bestehenden Strukturen hinsichtlich der Zusammensetzung von Gremien und Arbeitsteams,
- Erarbeitung eines Personalentwicklungskonzeptes,
- Überprüfung sämtlicher Aufgaben, Leistungen und Vereinbarungen im Rahmen des SGB VIII,
- Erarbeitung von Zielvereinbarungen mit Erfolgskriterien sowohl hinsichtlich der Strukturen als auch der pädagogischen Arbeit, Auswertung und Überprüfung der Handlungsziele hinsichtlich einer Erfolgskontrolle.
Da inzwischen zahlreiche Publikationen erschienen sind, verzichtet der bayerische Landesjugendhilfeausschuss darauf, weiterführende Handlungsleitlinien in diese Empfehlung aufzunehmen. Er verweist statt dessen im folgenden auf Veröffentlichungen, die als praxisnahe Arbeitshilfen zu empfehlen sind.
Des Weiteren empfiehlt der bayerische Landesjugendhilfeausschuss den landeszentralen Fortbildungsanbietern, Fortbildungen und Workshops zur Entwicklung praxisorientierter Handreichungen in ihr Programm aufzunehmen.
Empfehlenswerte Veröffentlichungen zum Thema:
Bohn, Irina: Geschlechterdifferenzierte Jugendhilfeplanung und Gender-Mainstreaming-Prozesse - So geht's. Hrsg. v. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stuttgart: Kohlhammer-Verlag 2002.
Gender Mainstreaming - Zukunftswege der Jugendhilfe - ein Angebot. Hrsg. von Dorit Meyer / Gabriele v. Ginsheim. Stiftung SPI. Berlin 2002.
Gender Mainstreaming - neue Perspektiven für die Jugendhilfe. Hrsg. von Gabriele v. Ginsheim / Dorit Meyer. Stiftung SPI. Berlin 2001.
Gender in der Pädagogik. Ansätze einer geschlechterreflektierenden Jugendhilfe. Hrsg.: Evangelischer Erziehungsverband e.V. (EREV). Hannover 2004.
Zur Umsetzung des Gender-Mainstreamings im Kinder- und Jugendplan des Bundes. Empfehlungen der AGJ. In: Forum Jugendhilfe 4/2001.
Fokus: Gender Mainstreaming. In: Jugend Nachrichten 9/2003. Hrsg.: Bayerischer Jugendring München.
Auch das noch?! - Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe. Dossier. In: DJI Bulletin 66/2004. Hrsg.: Deutsches Jugendinstitut München.
Heiliger, Anita: Mädchenarbeit im Gendermainstream. München: Verlag Frauenoffensive 2002.
Materialien und Angebote des GenderKompetenzZentrums, Hausvogteiplatz 5-7, 10117 Berlin (gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), auch unter: www.genderkompetenz.info
Zur Umsetzung s. a. die Homepages der bayerischen Jugendämter, z.B.
Stadtjugendamt München, Beauftragte für Belange von Mädchen und jungen Frauen unter: gabriele.nuss@muenchen.de oder gst@muenchen.de