Broschüre

Fachliche Empfehlungen zur Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz gemäß § 52 SGB VIII

Beschluss des Bayerischen Landesjugendhilfeausschusses vom 21. Juli 2021

Als bundesweit erster (überörtlicher) Träger der öffentlichen Jugendhilfe veröffentlicht das ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt fachliche Empfehlungen zur Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz gemäß § 52 SGB VIII auf der Grundlage des „Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG)“.

Auf der Grundlage der Referentenentwürfe und noch vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung von Verfahrensrechten von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren“ am 17.12.2019 und dem damit korrespondierenden „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ (Inkrafttreten am 13.12.2019), setzte der Bayerische Landesjugendhilfeausschuss im Oktober 2019 einen Expertenkreis ein, der sich mit der Neufassung der fachlichen Empfehlungen zur „Mitwirkung der Jugendhilfe in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz“ aus dem Jahr 2012 befassen sollte. Die genannten Bundesgesetze sind beide Ergebnis einer Anpassung an die EU-Richtlinie 2016/800, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Übernahme von Verfahrensgarantien für „Kinder“, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, in nationalen Gesetzgebungsverfahren vorsah. Auch die Bundesrepublik Deutschland mit ihren vergleichsweise hohen Qualitätsstandards in der Jugendstrafrechtspflege war in diesem Zusammenhang gefordert, die national gültige Rechtsprechung mit besonderem Blick auf das Wohl und die Rechte von jungen Straftäterinnen und Straftätern anzupassen.

Ferner trat am 10.06.2021 das „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG)“ in Kraft, welches u. a. auch Änderungen im „Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)“ mit sich brachte. Auch diese beiden gesetzlichen Grundlagen beinhalteten teils maßgebende neue Rechtsvorschriften für den Mitwirkungsauftrag der Kinder- und Jugendhilfe in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz, wie z. B. die §§ 52 Abs. 1 S. 2 und S. 3 SGB VIII oder § 5 Abs. 1 KKG.

Die normativen Änderungen gaben somit Anlass und Rahmen für die Neufassung der fachlichen Empfehlungen aus dem Jahr 2012. Die veränderte Gesetzeslage bedingte die Neubeschreibung eines spezifischen Arbeitsfeldes der Kinder- und Jugendhilfe, der einzelnen Arbeitsprozesse der (sozial-)pädagogischen Fachkräfte sowie die Weiterentwicklung geltender Qualitätsstandards. Die Beschreibung des gesetzlichen und organisatorischen Rahmens bildet das Grundgerüst der nun vorliegenden Empfehlungen. Es folgen Ausführungen zur Ausgestaltung des Mitwirkungsauftrags, die bezogen auf das jugendstrafrechtliche Erkenntnisverfahren und für jedes einzelne Stadium konzipiert wurden. Ein Kernstück der Empfehlungen ist das Kapitel zur Mitwirkung der Jugendhilfe an den Rechtsfolgen von Jugendstraftaten. Hier treffen pädagogisch fundierte und am individuellen Bedarf von jungen Menschen orientierte Angebote der Kinder- und Jugendhilfe auf die Notwendigkeit, diese am Rechtsfolgensystem des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) mit seinem spezifischen Erziehungsgedanken, dem Blick auf Elternrechte und -pflichten sowie unter besonderer Beachtung von verfahrensbezogenen Rechten der jungen Menschen auszurichten.

Das Wissen um eine höchst unterschiedliche Handhabung von Qualitätsstandards im Kontext der Aufgabenerfüllung nach § 52 SGB VIII erforderte eine Konkretisierung in den fachlichen Empfehlungen dahingehend, wie diese zu bestimmenden Qualitätsstandards in der Arbeit der pädagogischen Fachkräfte sichergestellt und wie diese gegenüber den kooperierenden Akteurinnen und Akteuren und vor allem gegenüber den betroffenen jungen Menschen plausibel und transparent dargelegt werden können. Hierzu gehört auch die professionelle Handhabung datenschutzrelevanter Aspekte.

Mit besonderem Blick auf die neu gefassten §§ 37a, 38 Abs. 4 und 7 JGG galt es zudem, neue Handlungsroutinen in etablierten Kooperationsbeziehungen einzelfallbezogen und fallübergreifend unter geänderten Rahmenbedingungen darzustellen. Die hier vorgenommene Beschreibung einer möglichen Ausgestaltung von Kooperationsbeziehungen zu den Akteurinnen und Akteuren in Jugendstrafverfahren orientiert sich dabei naturgemäß an den Maßgaben zur strukturellen Zusammenarbeit gemäß § 81 SGB VIII.

Im Zuge der Angleichung an die skizzierten gesetzlichen Änderungen werden neben den vorliegenden Empfehlungen auch die Veröffentlichungen des ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt zur „Personalbemessung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Bayern (‚PeB‘) zur Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz (§ 52 SGB VIII)“ und zu „Nebenstrafen und Nebenfolgen der Jugendgerichtsbarkeit“ aktualisiert. Diese drei Publikationen bauen aufeinander auf und bedingen sich wechselseitig. Eine Veröffentlichung dieser Produkte ist für das 1. Quartal 2022 vorgesehen.

Wir sind zuversichtlich, dass es uns mit den vorliegenden fachlichen Empfehlungen gelungen ist, den Mitwirkungsauftrag nach § 52 SGB VIII auf der Grundlage aktueller rechtlicher Normen in all seinen Facetten, die sich im Handeln der (sozial-)pädagogischen Fachkräfte widerspiegeln, zeitgemäß und repräsentativ abzubilden. Im Sinne der kontinuierlichen und dynamischen Weiterentwicklung von Aufgaben und Prozessen der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 79a SGB VIII sind sie gleichzeitig als Impuls an die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe zu verstehen, die vor Ort geltenden Qualitätsstandards zu überprüfen und nötigenfalls weiterzuentwickeln. Die praktische Umsetzung und Implementierung vor Ort wird das ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt gerne und entlang seines gesetzlichen Auftrags gemäß § 85 Abs. 2 SGB VIII begleiten.

Unser ausdrücklicher Dank geht an die verantwortlichen Expertinnen und Experten, die an der Erstellung dieser Veröffentlichung mitgewirkt haben, sowie an die sie entsenden Stellen. Kraft ihres Engagements und ihrer konstruktiven und kreativen Zusammenarbeit war es trotz widriger Arbeitsbedingungen in Pandemiezeiten möglich, ein umfassendes und wegweisendes Papier für die Fachpraxis zu entwickeln.

Redaktion: Dr. Harald Britze, Florian Kaiser, Stefanie Zeh-Hauswald

Die Fachliche Empfehlung können Sie sowohl mit einem Klick auf das Titelbild ganz einfach herunterladen, oder Sie können die Empfehlung über das Broschüren-Portal kostenfrei bestellen.

Stand: 2021

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Grundlagen

1.1 Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zur Jugendkriminalität 

1.2 Rechtliche Grundlagen 

1.2.1 Jugendhilferecht und Jugendstrafrecht 
1.2.2 Rechte von Jugendlichen und Heranwachsenden in Jugendstrafverfahren 
1.2.3 Kindeswohl und Wohl der Jugendlichen 

1.3 Adressatinnen und Adressaten

1.4 Zielstellungen des Jugendstrafrechts 

1.5 Aufgaben und Grenzen der Jugendhilfe in Strafverfahren

 

Kapitel 2 - Organisatorischer Rahmen

2.1 Organisationsformen 

2.2 Sachliche und örtliche Zuständigkeit 

2.2.1 Fallübergaben 
2.2.2 Amtshilfe 

2.3 Personal 

Kapitel 3 - Mitwirkung der Jugendhilfe im Verlauf des Jugendstrafverfahrens

3.1 Jugendhilfestandards im Verlauf des Jugendstrafverfahrens 

3.1.1 Beteiligung junger Menschen im Kontext des Jugendstrafverfahrens 
3.1.2 Sozialpädagogische Diagnostik aus Anlass des Jugendstrafverfahrens 
3.1.3 Stellungnahme zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit gemäß § 3 JGG 
3.1.4 Stellungnahme zur Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende gemäß § 105 JGG 

3.2 Mitwirkung im Ermittlungs- bzw. Vorverfahren 

3.3 Mitwirkung im Zwischen- und Hauptverfahren 

3.4 Mitwirkung an der Haftentscheidung und der Untersuchungshaft 

3.5 Mitwirkung im Vollstreckungsverfahren 

3.6 Mitwirkung während des Vollzugs 

3.7 Besondere Verfahrensarten und die Mitwirkung der JuHiS 

Kapitel 4 - Jugendhilfe und Rechtsfolgen der Jugendstraftat

4.1 Diversion 

4.2 Weisungen nach § 10 JGG 

4.2.1 Erbringen von Arbeitsleistungen 
4.2.2 Betreuungsweisung 
4.2.3 Sozialer Trainingskurs 
4.2.4 Täter-Opfer-Ausgleich 
4.2.5 Aufenthaltsbezogene Weisungen 
4.2.6 Annahme einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle 
4.2.7 Unterlassen des Verkehrs mit bestimmten Personen oder
des Besuchs von Gast- oder Vergnügungsstätten 
4.2.8 Teilnahme an einem Verkehrsunterricht 
4.2.9 Heilerzieherische Behandlung 
4.2.10 Weitere Maßnahmen und pädagogische Angebote 

4.3 Hilfe zur Erziehung nach § 12 JGG 

4.4 Zuchtmittel 

4.4.1 Verwarnung 
4.4.2 Auflagen nach § 15 JGG 
4.4.3 Jugendarrest 

4.5 Jugendstrafe 

4.6 Maßregeln der Besserung und Sicherung 

4.7 Mehrere Straftaten und mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen 

4.8 Nebenstrafen und Nebenfolgen 

4.9 Sondervorschriften für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr 

Kapitel 5 - Qualitätsmerkmale

5.1 Dokumentation und Berichtswesen 

5.2 Statistische Erhebungen

5.3 Qualitätsbildung und Personal 

5.3.1 Einarbeitung und Personalentwicklung 
5.3.2 Reflexion und Supervision 
5.3.3 Fort- und Weiterbildung 
5.3.4 Evaluation 
5.3.5 Wissensmanagement 
5.3.6 Weitere qualitätsbildende Maßnahmen 

Kapitel 6 - Datenschutz

6.1 Datenerhebung und -erfassung 

6.2 Datenspeicherung und -löschung; Einschränkung und Widerspruch 

6.3 Datenübermittlung und -nutzung 

6.4 Zeugnisverweigerungsrecht 

6.5 Verletzung von Privat- und Dienstgeheimnissen 

Kapitel 7 - Kooperation

7.1 Träger im Kontext des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 

7.1.1 Träger der öffentlichen Jugendhilfe 
7.1.2 Träger der freien Jugendhilfe 
7.1.3 Andere Sozialleistungs- und Rehabilitationsträger 

7.2 Kooperation im System der Justiz 

7.2.1 Jugendgericht und Jugendstaatsanwaltschaft 
7.2.2 Bewährungshilfe 
7.2.3 Jugendarrest- und Jugendstrafvollzugsanstalten 
7.2.4 Familiengericht 
7.2.5 Rechtsanwälte 
7.2.6 Beistände 

7.3 Kooperation mit Ordnungs- und Sicherheitsbehörden 

7.3.1 Polizei 
7.3.2 Landratsamt und Stadtverwaltung 

7.4 Kooperation mit weiteren Institutionen 

7.4.1 Schule und schulbezogene Angebote 
7.4.2 Arbeitsweltbezogene Angebote 
7.4.3 Gesundheitswesen und Beratungsstellen 
7.4.4 Weitere Kooperationsformen und Gremienarbeit 

Anhang

I. Erhebungsbogen 

II. Muster zur Einhaltung des Datenschutzes 

III. Einladung zum Beratungsgespräch vor Erhebung der Anklage (Muster) 

IV. Einladung zur Diversion (Muster) 

V. Anschreiben bei Vollzug eines Dauerarrestes oder einer Jugendstrafe (Muster) 

VI. Einladung zum Beratungsgespräch nach Erhebung der Anklage (Muster) 

VII. Anforderungsprofil für Fachkräfte der Jugendhilfe in Strafverfahren 

VIII. Schaubilder 

IX. Mitglieder des Expertenkreises des ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt