Kooperation als Leitungsaufgabe

Über die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Warnung vor der Konsensfiktion: "Kooperation"

Prävention heißt heute die Zauberformel, mit der vielfältige Schwierigkeiten und Probleme von vornherein verhütet werden sollen. Wenn Probleme angesprochen werden und man nach Lösungen sucht, dann ist ein Hinweis immer anzutreffen, nämlich, dass das Problem von einem allein oder einer Institution allein nicht zu lösen sei und deshalb alle zusammen arbeiten müssen. Zusammenarbeit wird auch dann immer empfohlen, wenn Dinge effizienter werden sollen. Unterstellt wird dabei der Gedanke, dass alle beteiligten Institutionen den gleichen Auftrag haben, das gleiche Ziel verfolgen oder etwa die gleichen für den Erfolg hätten.
Auffällig häufig wird der Konjunktiv bemüht, wenn man von der Notwendigkeit von Zusammenarbeit spricht. Möglicherweise lässt dies den Schluss zu, dass das Anliegen nicht so sehr aus eigenem Organisationsinteresse formuliert sondern eben als fremdbestimmt empfunden wird.

Also Vorsicht, wenn von der Notwendigkeit von Kooperation gesprochen wird. Vorsicht deshalb, weil man leicht einer so genannten "Konsensfiktion" erliegt, zu unterstellen, alle hätten gemeinsame Aufgaben zu verfolgen, gemeinsame ZieIperspektiven.
Im Alltag ist man dann sehr verwundert wenn die unterstellten Gemeinsamkeiten wie Seifenblasen zerplatzen. Die Enttäuschung äußert sich häufig in dem wechselseitigen vorwurfsvollen Unverständnis: "Warum tut denn die Jugendhilfe, die Schule... nicht dieses oder jenes".
Viele Kooperationsprojekte scheitern daran, dass Unterschiede im gesellschaftlichen Auftrag sowie die jeweiligen Verantwortlichkeit nicht genau benannt oder Schlichtweg unterschlagen werden. Es fehlt häufig einfach an dem Wissen über die Aufgaben der jeweiligen Organisation und somit die grundsätzliche Akzeptanz der anderen Arbeitsansätze. Wir erleben die Prinzipien der jeweils anderen Organisation als fremd. Genau hier sollte jedoch ein Umdenkprozess stattfinden, in dem das Trennende daraufhin überprüft wird, ob nicht die besonderen Ressourcen der anderen Organisation auch eine Chance bieten. Möglicherweise können die bisher nicht oder nicht zufrieden stellend gelöst werden konnten tatsächlich in Kooperation besser gelingen.

Worin besteht die Leitungsaufgabe?

Kooperation setzt einen Klärungsprozess voraus, jedoch nicht wie man zunächst meinen könnte mit dem jeweiligen Kooperationspartner sondern zu erst in der eigenen Organisation.

Hilfreich ist es zu klären, bei welcher Aufgabenstellung überhaupt eine Kooperation infrage kommt und was man vom Kooperationspartner erwartet. Welchen Nutzen erwartet man von der Zusammenarbeit? Je präziser dieser Nutzen zu beschreiben ist, umso stärker wird die Motivation sein, sich auf Kooperationen einzulassen und sie auch trotz auftretender Schwierigkeiten weiterzuführen. Noch nachhaltiger kann die Motivation zur Zusammenarbeit gefördert werden, wenn es gelingt, Erfolgsfaktoren zu beschreiben. "Wer sein Ziel kennt, der rennt", drückt plakativ aus, dass eine klare Zielausrichtung für alle Organisationsmitglieder eine Handlungsmaxime vorgibt, und diese strategische Ausrichtung einer Organisation ist eindeutig Führungsaufgabe. Wenn definiert ist, welche Ziele erreicht werden sollen, kommt man nicht umhin, auch die Grenzen für die Kooperation zu beschreiben.
Hierbei ist gerade mit Blick auf die Kooperation von Jugendhilfe und Schule zu beachten, dass es sich um zwei Systeme handelt, die sich von ihrer Größenordnung sehr unterscheiden. In Bayern gibt es 96 Jugendämter und ca. 5.500 Schulen. Öffentliche Jugendhilfe ist somit im Vergleich zur Schule eine relativ kleine Organisationseinheit. So ist der Wunsch vieler Schulen nach konkreten Ansprechpartnern im Jugendamt, die auch in der Schule präsent sind, sehr verständlich, kann jedoch im Einzelfall zu einer Überforderung der Jugendhilfe führen. Deshalb sollte die Organisation nicht nur realistisch prüfen, welche Angebote an den Kooperationspartner sich langfristig realisieren lassen, sondern natürlich auch, welche rechtlichen Bestimmungen (z. B. Datenschutz) bei der Zusammenarbeit zu beachten sind.
Am Ende dieses internen Klärungsprozesses sollte die Frage beantwortet sein: "Wieso wollen wir die Kooperation mit der Schule/Jugendhilfe (dies gilt im Übrigen auch für Polizei, Kinder- und Jugendpsychiatrie, etc.) und welchen Nutzen erwarten wir uns davon?" Erst wenn beide Kooperationspartner ihre jeweils eigenen Kooperationsziele geklärt haben, lässt sich auf dieser Basis ein bilateraler Aushandlungsprozess beginnen, mit dem Ergebnis, einen Minimalkonsens der Zusammenarbeit festzuhalten.

Kooperation muss von der Leitung gewollt sein und von ihr veranlasst werden oder salopp ausgedrückt: "Die Treppe wird von oben gekehrt".

Kooperation hat Auswirkung auf die Binnenstruktur einer Organisation. Sie ist ein Test für die Flexibilität und für die Veränderungsbereitschaft einer Organisation. Kooperation führt häufig dazu, dass Arbeitsprozesse neu überdacht und gegebenenfalls verändert werden müssen. Dies setzt voraus, dass die Grundlagen der Kooperation den Mitarbeitern einsichtig und glaubhaft sind, also als Organisationsziele erkannt und als Arbeitsgrundlage akzeptiert sind. Wenn Kooperation wirksam werden soll, so muss sie auf Kontinuität ausgerichtet sein. Dies bedeutet, sie ist strukturell zu verankern, d. h. es sind konkrete Ansprechpartner mit entsprechendem Arbeitsauftrag zu benennen.
Es gibt immer wieder Fachkräfte und auch Lehrerinnen und Lehrer, die mit ungeheuerem Engagement Kooperationen vorantreiben. Man braucht diese Mitarbeiter, aber man darf sich nicht auf dieses Engagement allein verlassen. Kooperationsbeziehungen sind nicht auf diese Personen zu beschränken sondern müssen von jedem mitgetragen werden.
Insofern ist es Aufgabe von Leitung, einen internen Kommunikations- und Austauschprozess zu organisieren, der die Reflektion der Kooperationserfahrungen zum Ziel hat. Gerade weil dem Aufbau von Kooperationsbeziehungen häufig der Abbau von Vorurteilen und Befürchtungen vorausgehen muss, erweist sich der persönliche Kontakt der unmittelbar Kooperierenden als wirksame Methode und als "Hebel", um die Zusammenarbeit vor Ort zu fördern.

Organisationen werden dann wahrgenommen, wenn man ihnen eindeutige Aufgaben zuordnen kann, wenn ihr spezifischer Auftrag für Außenstehende leicht beschreibbar ist. Dies trifft für die Schule im hohen Maße zu. Für die Jugendhilfe stellt sich dies leider ganz anders dar. Für Außenstehende sind die Jugendhilfe selbst und speziell die Aufgaben eines Jugendamtes nur schwer zu durchschauen. Die Kinder- und Jugendhilfe hat ihre Grundlage in einem Bundesgesetz (SGB VIII), dessen Ausführung auf die kommunalen Gebietskörperschaften übertragen wurde. Dies hat zur Folge, dass es regionale Ausgestaltungen der Hilfegewährung gibt. Nicht jede Hilfeart wird in jedem Landkreis in ausreichendem Maße bereitgehalten. Es gibt nicht nur eine große Trägervielfalt (öffentliche und freie Jugendhilfe), die Jugendhilfe spricht auch mit "vielen Zungen".
Eine Leistung nach dem SGB VIII, die ein Sozialpädagoge, eine Sozialpädagogin an einer Schule anbietet, die die schulische und berufliche Ausbildung und Integration fördern soll, kann (so das Ergebnis einer bundesweiten Umfrage) mit folgenden fachlichen Begrifflichkeiten bezeichnet werden: Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit an Schulen, schulbezogene Jugendarbeit, Schoolworkers, Schuljugendarbeit.
Die Aufzählung macht deutlich, welche Anforderungen an die Jugendhilfe zu stellen sind, will sie Transparenz schaffen über ihren spezifischen Auftrag und ihre Aufgaben sowie über ihre arbeitsfeldspezifischen Kompetenzen. Hier sind vor allem die Leitungskräfte der Jugendhilfe gefordert, vor Ort für ihren Aufgabenbereich Materialien zu erstellen, die die Kooperationspartner über gesetzliche Grundlagen, Organisation, Zuständigkeiten, Erreichbarkeit und Arbeitsprinzipien u. a. informieren.

An dieser Stelle soll auf einen nicht unerheblichen Kulturunterschied in der Wahrnehmung von Leitungsaufgaben von Jugendhilfe und Schule hingewiesen werden: Dass Leitungskräfte in der Jugendhilfe Fachvorgesetzte sind und mit entsprechenden Weisungsrechten ausgestattet sind, ist keine Frage. Im Schulbereich steht man allerdings erst am Beginn, Personalführungsaufgaben auf die Schulleitung zu delegieren und Schulen insgesamt mehr eigenständige Entscheidungen zuzugestehen.

Zusammenarbeit braucht klare Regeln![1]

Ergebnisse des Aushandlungsprozesses sollten die Regelung der Zuständigkeiten umfassen sowie verbindliche Kooperationsabsprachen (Rahmenbedingungen, Verfahrensabläufe, Finanzierung gemeinsamer Projekte, Öffentlichkeitsarbeit u. a.) festhalten. Außerdem sollte eine funktionierende Kommunikationsstruktur mit regelmäßigen Kontakten aufgebaut werden. Es zeigt sich immer wieder, dass Konflikte in Kooperationsbeziehungen leichter zu klären sind, wenn sie im Rahmen der regelmäßigen Besprechungen behandelt werden können und nicht Anlass für eine Krisenintervention werden.
Die Dokumentation der Kooperationsabsprachen erleichtert nicht nur die Überprüfung und Bewertung der Ergebnisse, sondern hilft auch neuen Mitarbeitern, sich schnell und sicher im Kooperationsumfeld zu bewegen. Noch zu viele gute Kooperationen werden mit dem Weggang von Kooperationsprotagonisten beendet oder verschlechtern sich, weil bisher praktizierte Spielregeln nicht weitergegeben werden und der verbleibende Kooperationspartner sich um den Erfolg seiner bisherigen, häufig aufwendigen Arbeit gebracht sieht.

Kooperation kann man lernen![2]

Viele erfolgreiche Kooperationsprojekte haben mit einer interdisziplinären Fortbildung begonnen. Neben der Vermittlung von Wissen über die Aufträge, Aufgaben und Arbeitsweisen der jeweiligen Organisation sind der persönliche Kontakt und der informelle Austausch zwischen Fach- und Lehrkräften eine nicht zu unterschätzende Ressource für die Kooperation. Gemeinsame Fortbildungen, wechselseitige Hospitationen sind daher nicht nur für die Fachkräfte zu unterstützen. Auch Leitungskräfte sollten solche Veranstaltungen für sich persönlich nutzen.
Darüber hinaus sollten sich alle dafür einsetzen, dass Kooperation als Inhalt und Methode in den Ausbildungsplänen sowohl im Jugendhilfebereich als auch im Schulbereich verankert wird[3].

Kooperation als Leitungsaufgabe beinhaltet, dass Qualitätsstandards für die Zusammenarbeit definiert werden die

  • von der Institution gewollt,
  • von der Leitungsebene verantwortet,
  • in der Sichtweise der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verankert und
  • in Arbeitsprozessen festgelegt

sind.

Regina Hartmann

 

[1] Siehe auch Anlage Leitfaden zur Erstellung einer Kooperationsvereinbarung zwischen Jugendhilfe und Schule nach Nr. 3.3 der Richtlinie zur Förderung der Jugendsozialarbeit an Schulen (AllMBI)
[2] Hartmann, Regina: Kooperation kann man lernen! ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 5/1999
[3] Siehe auch <extern> www.jusasch.de - Jugendsozialarbeit im Netzwerk. Auf einer gemeinsamen virtuellen Lernplattform arbeiten Studierende der sozialen Arbeit (Universität Eichstätt) und Lehramtsstudierende (Universität Passau) am Projekt "Jugendsozialarbeit an Schulen".

aus: ZBFS Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 4/2005